Eisner, Will
Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion
DVA 2005
Originaltitel: The Plot. The Secret Story of the Protocols of the Elders of Zion
Will Eisner hat kurz vor seinem Tod dem zähsten Machwerk, das mir in der Buchgeschichte je begegnet ist, die Stirn geboten.
Ich mag gar nicht mehr zählen, wie oft diese Seite hier gewählt wird wegen meinem Eintrag zum Berner Prozess. Monate ist der Suchbegriff „Protokolle der Weisen von Zion“ oben auf der Hit-Liste, nur weil ich einmal mit freundlicher Genehmigung eine Zeitungsseite hier verlinkt habe.
Täglich suchen Tausende diese Fata Morgana im Internet. Und damit bin ich bei Eisners Motivation, seinen letzten Effort in einen Comic oder – wie er es nannte – in eine „grafische Novelle“ über diese unsägliche Geschichte zu stecken.
Ungeachtet aller Beweise sind die Protokolle noch heute weltweit im Handel und dienen nach wie vor als Quelle. Sowohl für andere üble Bücher wie für den Hass.
Oder wie Umberto Eco es in seiner Einführung erklärt:
Die Beweisführung [der Verleumder] ist makellos: „Die Protokolle bestätigen die Geschichte, die ich ihnen entnommen habe, und daher sind sie echt.“
Weil ich weiss, dass dieser Eintrag wieder Verwirrte anziehen wird, sage ich gleich am Anfang klar, wer hier falsch gelandet ist und entweder verschwinden oder seine Hirntätigkeit ausnahmsweise auf „selber denken“ vorspulen muss.
Eisner arbeitet in „Das Komplott“ Fakten auf. Er schreibt im Vorwort, er habe sich lange nicht darum gekümmert, er habe die Protokolle zusammen mit „mein Kampf“ in seine „Bücherei des Bösen“ gestellt und beinahe vergessen. Bis zum Netz. Gleichzeitig mit dem Einzug des Internets in die Welt der Privaten, erschienen 1999 erneut Beweise für die wahre Autorenschaft der Protokolle. Und da begann Eisner zu recherchieren und zu zeichnen. Eine einfache, anschauliche Geschichte darüber, wie aus einer Satireschrift des 19. Jahrhunderts der Beweis für die jüdische Weltverschwörung wurde. Eisner fungiert als Übersetzer, er gibt weiter, was historisch ohnehin mehrfach bewiesen, aber bei vielen nicht angekommen ist.
Ich erzähle den Inhalt in chronologischer Reihenfolge aber stark gekürzt nach und gehe nicht auf die grossen Skandale ein (wie z.B. die aktive Beteiligung Henry Fords an der Diffamierung).
Maurice Joly verfasste 1878 eine Schrift (laut Eco hat er die auch schon abgeschrieben), die die Mächtigen diffamieren sollte. Er liess in „Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu“ über die Weltherrschaft sinnieren, er wollte eine Metapher für den gierigen Kaiser. Natürlich war das für die Zensoren offensichtlich, er wurde verurteilt, sass lange im Gefängnis, schlug sich mit einem weiteren Buch „die Hungrigen“ durch und brachte sich schliesslich um. Niemand rechnete damit, dass er je wieder gelesen werden würde.
Leider kam es anders. 1894 versuchten liberale Ratsmitglieder, den Zaren Nikolaj II, seinerseits bekannt als Fähnlein im Wind, von der Notwenigkeit der Modernisierung Russlands zu überzeugen. Da kam der konservativen Gegnerschaft die Idee, die Modernisierungspläne den Juden in die Schuhe zu schieben, im antisemitischen Klima so nahe liegend wie gefahrlos. Nun brauchte man noch einen Regisseur für das Komplott, den man im Aufsteiger Matwej Golowinski rasch fand. Golowinski begann erst einmal mit dem Fälschen von Statistiken (über den schändlichen Einfluss der Juden), die er locker in der Presse unterbrachte und geriet schliesslich – über Umwege – in Frankreich an Maurice Jolys Werk. Das schrieb er zufrieden ab, ersetzte die Machthungrigen Jolys durch die Zionisten und fertig waren „die Protokolle der Weisen von Zion“. Sie kamen 1905 zum ersten Mal als Buch auf den russischen Markt und sind seither millionenfach in mindestens zwanzig Sprachen erschienen.
Bereits 1921 entlarvte die „Times“ die historische Fälschung zweifelsfrei. In dieser Sequenz im Comic stellt Eisner die einzelnen Stellen von Jolys Original über 15 Seiten den Protokollen gegenüber. Ein im Wortsinne ausgezeichnetes Stück Geschichte, das in dieser Klarheit noch nie einem breiten Publikum zugänglich war.
Die Nazis haben die Protokolle selbstverständlich dankbar aufgenommen und in Massen vertrieben. Daran änderte auch der Berner Prozess nichts. Im April 1935 schloss ihn der Richter mit einem Verbot (Verstoss gegen das Schundliteraturgesetz) ab, aber nicht ohne die Protokolle als „lächerlichen Unsinn“ zu bezeichnen, der dem Antisemitismus Vorschub leiste. Das Gericht schlug sogar vor, dass „Mittel gefunden werden müssten, solche Diffamierung zu unterbinden“.
Dass das nicht gelungen ist, wissen wir heute. Dass wir jeden einzelnen Tag dagegen antreten müssen, auch wenn es mit letzter Kraft ist, hat uns ein alter Zeichner vorgemacht.
RIP Will Eisner.