Tischgespräch [21]

Mutter [zu Kind]:
Also. Wie willst du das jetzt machen?
Kind:
Ich weiss es nicht, ich bin leer.
Vater:
Du bist leer, ich bin leerer, sie ist Lehrerin.
Kind:
Nein, sie ist auch mit „ee“.
Mutter:
Sicher. Würde man uns alle drei aufschneiden, wäre ich die Leerste.
Vater:
Aber aus dir würden garantiert lauter unfertige Sätze herausquillen.
Kind [grinst schief]:
Genau.

Verlassen

Verlassen
Tahar Ben Jelloun,
Verlassen
Berlin Verlag 2006

Vergangene Woche las ich in der Zeitung folgende Meldung:

Spanien hat eine erschreckende Bilanz der afrikanischen Flüchtlingswelle auf die Kanaren vorgelegt: Fast jeder sechste Afrikaner starb beim Versuch, in diesem Jahr die spanische Inselgruppe vor der Westküste Afrikas zu erreichen. Nach Angaben der Behörden kamen rund 6000 Flüchtlinge auf der oft wochenlangen Seereise nach Europa ums Leben. (…)

Dieses Buch ist ein hässliches Buch. In vierzig Kapiteln schlildert Ben Jelloun, was sich an der Südgrenze Europas abspielt – was vorher war, was danach kommt. Seine Kapitel heissen nach den Protagonisten, das Individuum ist hier Zentrum, Ursache und Wirkung. Aus der Summe der Leben schafft er eine Allegorie, wie sie zeitgenössischer nicht sein könnte.
Das klingt jetzt mächtig nach Problembuch. Nach dem häufig gescheiterten Versuch vieler Autoren, aus Zahlen der Statistik Menschen mit Biografien zu machen. Dieser Perspektivewechsel ist jedoch eine der zentralen Aufgaben der Literatur und seit jeher verantwortlich für ihr Überleben. Und warum? Weil wir in keinem Film, keiner Zeitung und keinem Sachbuch schneller und tiefer erfahren, wie etwas war oder ist, als in der literarischen Fiktion.
Müsste ich eine Hauptfigur benennen, wäre das Azel. Sein Leben berührt mehr oder weniger das Leben aller anderen. Er ist ein kluger, ansehnlicher junger Marokkaner, mit zwei Hochschulabschlüssen aus Rabat aber ohne Arbeit und besessen von der Idee, Marokko zu verlassen. Nichts hält ihn. Nicht, dass er soeben seinen Schwager als aufgeschwemmte Leiche identifiziert hat, nicht der Gouverneur, der das Fernsehen in die Leichenhalle bestellt und schreit „Nie wieder! Kommt her, ihr da, und macht Aufnahmen von den Leichen! Es muss in den Abendnachrichten kommen. Das muss aufhören. Marokko verliert seinen Saft, seine Jugend!“ – weder Mutter noch Schwester noch Freunde wären ihm Anlass zu bleiben.
Im Grunde weiss jeder vom anderen, dass er fort will, sogar die Kinder.
„Verlassen“ weiterlesen

They have their exits and their entrances;

(…) 200 million people have already stopped writing their blogs.

Everyone thinks they have something to say, until they’re put on stage and asked to say it.

sagt Gartner Analyst Daryl Plummer BBC. Via die schöne Sammlung 100 things we didn’t know last year. Entdeckt dank slashdot.
***
Ist Zukunftsangst irrational?

Nicht per se. Wenn Sie etwa in Israel wohnen und die Reden des iranischen Präsidenten hören, ist Zukunftsangst durchaus berechtigt. Auch ein aidskranker Dorfbewohner in Simbabwe hat allen Grund, düster in die Zukunft zu blicken. Das Seltsame ist das düstere Zukunftsbild der Menschen, denen es eigentlich ganz gut geht, die aber die Apokalypse durch Mobilfunkantennen fürchten.

sagt Dirk Maxeiner im Interview mit dem heutigen Migros Magazin (klick PDF, dann im Dropdown auf „Interview 16-19“). Er ist Mit-Autor des demnächst erscheinenden Buches Schöner Denken und Teil des Duos Maxeiner und Miersch. Beides Autoren, die sich – mehr oder weniger lesenswert – den Schattseiten der Weltverbesserung verschrieben haben. Das geht ja heut‘ nicht mehr ohne viel Hass auf sich zu ziehen.
***
Und in Zeiten der Selbstdarstellung sollten wir uns auch ohne Jubiläen ab und zu der Helden erinnern, die der Menschheit den Anstoss zum Performen geliefert haben. Zum Beispiel Shakespeare. Ist eigentlich bekannt, wie viele Volltextsuchen inzwischen zur Verfügung stehen? Die Überschrift hier ist aus dem bekannten Monolog von Jaques in „As You Like It“ Act II, Scene VII.

Mangel an Arbeitstechnik

Wäre meine Arbeitstechnik grundsätzlich schlecht, wäre das ja wohl einmal in einem Schulbericht oder Arbeitszeugnis erwähnt worden. Ist es aber nicht.
Nur arbeite ich leider wie meine Ahnen, die beispielsweise Feldmesser und Mauser waren – nicht allzu gestresst, dafür permanent. Und nehme ich mir die Auszeit, die das heutige hyperkommunikative und hochtechnisierte Arbeitsleben sehr wohl erfordert, also Ferien oder Feiertage, versinke ich anschliessend im Pendenzenchaos. Das äussert sich in Form entfesselter Befehle an mich selber auf Zetteln, auf Zeitungsrändern, auf Post-its, im Handy, im Outlook, im GroupWise, auf Buchzeichen – überall fliegt und piept ein Soll – von jeder Logik abgekoppelt und Lichtjahre entfernt von der mir sonst heiligen „Einheit der Materie“.
Meine Frau Supervision empfiehlt dasselbe wie die Millionenauflagen an Ratgeberliteratur für Neurotikerinnen zwischen Beruf und Familie. Genügend abschalten, Freizeit üben, sich selber Gutes tun. Dann das Gemachte aufschreiben, markieren, jubeln, auf den Moment konzentrieren, aufdenMomentkonzentrieren… Arbeit kann zur Sucht werden, Sport auch, Hobbys auch, Kinder auch, Küche auch, aufpassen! Und weil sie sehr nett und mir in der Regel eine Hilfe ist, auch wenn sie mich auf der Strasse nicht erkennt kann, was sie mir aufträgt, nicht schädlich sein. Ich soll jetzt also das Erledigte anstelle des Unerledigten und in gleicher Manier notieren.
Und bloggen. Also nicht, dass sie mir Letzteres geraten hätte, obwohl’s ein guter Tipp gewesen wäre.
Am 27.12. unternommen und erledigt

Wellennebel

Stockhorn heute
Schatten des Stockhorns auf dem Nebelmeer, welches heute Bern und das ganze Mittelland zudeckte.
Ich habe viele Monate meines Lebens an verschiedenen Meeren verbracht. Ich bin den Wellen seit meiner Kindheit mit Freude und Respekt begegnet. Die ertrunkenen Protagonisten der Literatur jedoch haben mich nicht sonderlich beeindruckt. Um den jungen Pater in Dornenvögel hat es mir als Jugendliche noch leid getan, aber den Partner der Frau in Ohio konnte ich ohne viel Emotionen im Meer lassen.
Seit dem Tsunami vor zwei Jahren hat sich mein Verhältnis zur Welle verändert. Ihre Form erinnert mich an Zerstörung und Ungleichheit. Selbst die asiatischen Holzschnitte und Tuschzeichnungen mit dem Motiv erscheinen mir eher todbringend denn ein Abbild positiver Wechselbewegungen des Lebens.
Ich habe sieben Jahre für die DEZA gearbeitet. Und ich war mir nie sicher, dass Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe die Lösungen für die grössten Probleme der Menschheit sind, obwohl genau diese deren Dauerauftrag rechtfertigen.
Man kann sagen, dass es bei einem Tsunami an der Pazifikküste weniger Tote gegeben hätte – das stimmt sicher. Aber jede Katastrophe, unabhängig davon wo sie geschieht, illustriert und verstärkt die Ungleicheit, die schon da ist. Dashalb sehe ich nach wie vor keine Alternative zur Entwicklungszusammenarbeit und zur Humantären Hilfe zwischen Nationen wie auch zwischen vereinigten Nationen. Und private oder semi-private Hilfswerke leisten ebenfalls Gutes – nicht alle, aber viele.
Zweifel darf – muss sogar – sein. Aber den Misstrauischen, Nörgelden, noch mehr Evaluationen Fordernden, kann ich nur entgegnen, dass kein noch so ausgeklügeltes Kontrollsystem über Steuer- und Spendengelder eine interessierte, politisierte Zivilgesellschaft und unabhängige Medien ersetzen kann.
„Wellennebel“ weiterlesen

Am Wintermorgen

von Werner Bergengruen
Am Wintermorgen zur bleichen Zeit,
grau starren die Gärten und kahl.
Zwei Mädchen frösteln im dünnen Kleid,
und der Wachtposten gähnt am Kanal.
Am Ende der 1. Stophe
Alte Weiblein, wie Dohlen dunkel und schmal,
flattern und rudern herum.
Sie huschen gescheucht ums Klosterspital,
doch ihre Schritte sind stumm.
Am Ende der 2. Stophe
Wie willst du den traurigen Tag bestehn?
Und zum Abend ist es noch weit.
Du wirst dir die Füsse blutig gehn
in deiner Verlassenheit.
Am Ende der 3. Stophe
Da tritt aus dem Düster tastend ein Strahl
wie schüchterne Vogelmusik.
Und über dem schwarzen Kirchenportal
aufglüht das Goldmosaik.
Am Ende der 4. Stophe
Guten Heiligmorgen.
Und schöne Weihnachtstage.

[Alle Jahre wieder]

[Kleine Orientierung für Nazis.]
Wegen einzelner Stichworte landen Sie wellenartig in grosser Anzahl bei mir. Manche von Ihnen erlauben sich, Links hierhin zu setzen. Und Sie, die Sie sich mindestens in einem Blog-Header auf Orwell berufen, haben ihn leider nicht gelesen, denn einen Falscheren können Sie gar nicht zitieren.
Ein gutes Indiz übrigens dafür, dass Sie nur als Stimmungs-Vieh eingesetzt werden, das das Internet befüllt. Ihre stillen Helfer würden sich hüten, Orwell’sches auf ihre Fahnen zu schreiben, aber das könnten die Ihnen eigentlich selber sagen.
Ich halte nichts von Beschimpfungen. Und ich halte nichts von Ihnen. Wie viele andere sind Sie Profiteure der Vernichtung. Aber Sie – damit meine ich genau Sie und nicht die „Fremdenfeindlichen“ oder die „Rechtsextremen“ – haben ein Nachwuchsproblem. Und ich gehöre zu denen, die dafür sorgen, dass es grösser wird.
Nur damit Sie wieder einmal wissen, wen Sie da verlinken.

Tischgespräch [20]

Mutter:
Du hörst mir gar nicht zu!
Kind:
Tu ich doch.
Mutter:
Und, was habe ich gerade gesagt…?
[etc. man kennt das schon.]
Mutter:
Du hörst Vater viel besser zu.
Kind:
Das ist ja klar!
Mutter:
Das ist gar nicht klar, das geht doch nicht! … Ähm, warum soll das überhaupt klar sein?
Kind:
Das solltest du doch wissen! Das steht in jedem Buch!
Mutter:
Also gestern habe ich gerade eines fertig gelesen, da stand es definitiv nicht drin.
Kind:
Ich meine in jedem Buch über Jungs und Pubertät!
Mutter:
…?…
Kind: [langsam, jedes Wort betonend.]
DEIN-VATER-WIRD-JETZT-IMMER-WICHTIGER-FÜR-DICH.

Heute back‘ ich,

Weihnachtsgebäck

morgen brau‘ korrigier‘ ich und übermorgen hol ich der Königin ihr Kind immer noch. Aber ich freue mich auf die Verlagsprofile, an denen die meisten Azubis über viele Wochen gearbeitet haben. Einige machen ihre Arbeit erst im letzten Augenblick – kommt ja selbst bei Lehrerinnen vor.
Ich folge in dieser Sache dem Arbeitskraft-Erhalt-Programm von Herrn Rau, der sagt „ich korrigiere schnell“ und damit wohl auch meint, er lasse nicht zu viel Zeit vergehen zwischen Auftrag und Korrektur.
„Profile“ sind nicht „Portraits“. Es geht nicht darum, den Verlag als Ganzes darzustellen. Es geht um das Profil, welches sich bei Buchhändlerinnen und Buchhändlern etabliert hat.
Eingereicht wurden Profile von:

Ammann
Arbor
Arena
AT
Aufbau
Bajazzo
bilgerverlag
Bohem Press
Brunnen
Carlsen
Die Gestalten
Diogenes
dörlemann
Eichborn
Gerth Medien
Globi-Verlag
Haupt
Himmelstürmer
Karger
Kiepenheuer und Witsch
Lübbe
marebuch
Nord-Süd
Peter Meyer
Rotten
Schwabe
Schwarzkopf & Schwarzkopf
Südwest
Taschen
Thienemann
Unionsverlag
Unrast

Lesealbum 3. Seite