Schulwoche No. 1/2007

Es war eine Woche wie im Brief vom Erziehungsdirektor. Hart an der Grenze. Jemand weinte, einige waren frech, einige respektlos, einige äusserst widersprüchlich, der Chef winkte ständig nach mir, verzweifelt an seiner Maschine mit dem fremden Namen „PC“.
Jemand unglücklich und jemand glücklich schwanger. Eine Woche so schwer wie ein ganzes Quartal. Meine Bemühungen so wirkungslos wie die Bekämpfung der Desertifikation.
Erste Schulwoche 1
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Protokollieren

Schon ziemlich früh in meinem Berufsleben habe ich einen kausalen Zusammenhang zwischen Erfolg und Dokumentation eines Projektes gesehen. Ich gehörte zwar bereits zu der Stenographie-freien Generation, aber das Protokollieren habe ich in der Lehre und der Jugendbewegung bis an den Rand des Nervenzusammenbruchs gelernt. Erstaunlicherweise ist mir kein Unterschied aufgefallen zwischen den endlosen Protokoll-Korrekturen einer Vollversammlung anarchistischer Feministinnen und denen des mittleren Kaders eines Bundesamtes. Gottlob hat uns die rasante technische Entwicklung davor bewahrt, weiterhin das Heil jeder Projektplanung oder Revolution im Wortprotokoll zu suchen.
Gerade diese Woche habe ich den Eindruck, rund um die Uhr zu protokollieren. Ich brauche das halt auch im Unterricht. Ich hole Meinungen ein, lasse die Leute für Gruppenarbeiten ausschwärmen und bilde oft Expertengruppen, die den anderen dann etwas genauer erklären.
Ich finde es wichtig, dass aus solchen Arbeiten Produkte entstehen und sei es „nur“ ein Blatt. In der Rudolf-Steiner-Schule war das eine Selbstverständlichkeit, und es hat eine Weile gedauert, bis ich realisiert habe, dass das nicht überall so ist.
Die meisten Lernenden brauchen sehr genaue Anweisungen, um ein Produkt zu erstellen, das ihre neuen Erkenntnisse spiegelt. Deshalb mache ich entweder Vorlagen, die die Lernenden füllen können oder protokolliere die Ergebnisse so, dass ich sie danach zusammenfassen und abgeben kann. Klammer auf: Eine andere Möglichkeit ist die Projektfotografie und das Filmen. Ich bin da keine Expertin, sehe aber bei meiner Schwester Heilpädagogin wie gut es funktioniert, sofern man das Schneiden und Archivieren im Griff hat. Klammer zu.
Für die Sitzungen in der Schule haben wir eine neue Vorlage für ein Kurzprotokoll, die mir sehr entspricht und vieles erleichtert. Leider steht sie nicht zur öffentlich zur Verfügung. Für Interessierte versuche ich eine Erklärung in Prosa.
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Lauf, Junge, lauf

Lauf, Junge, lauf
Uri Orlev,
Lauf, Junge, lauf
Beltz und Gelberg 2004

[Foto und Besprechung vom Kind.]
Jurek heisst mit richtigem Namen zwar Srulik, aber das ist für ihn nach der gelungen Flucht aus dem Warschauer Ghetto unwichtig. Der Neunjährige weiss nicht, was aus seinen Eltern und Geschwistern geworden ist. Er muss sich alleine durch die Wälder schlagen, den ganzen Krieg lang. Jurek findet zwar Freunde, aber bei manchen trügt der Schein und sie verraten ihn an die Gestapo. Trotz der Geheimhaltung seines Namens und seiner Herkunft spüren ihn die Deutschen immer wieder auf.
Ich fand es ein sehr mitreissendes Buch, das sehr gut das Schicksal der Juden zu dieser Zeit beschreibt, wie sie erniedrigt und gejagt wurden. Ich lese gerne Bücher von Kindern mit Problemen, egal ob sie heute oder früher spielen. Aber im Moment interessieren mich Geschichten aus dem 2. Weltkrieg besonders.
Ich fand das Buch auch sehr gut geschrieben, ich würde es allen empfehlen, auch wenn sie sich weniger für dieses Thema interessieren, weil es zeigt, dass Kinder stark und selbständig sein können, auch in schlimmen Zeiten.
Heute gibt es vielleicht nicht mehr so viele Kinder auf der Welt, die sich durch die Wälder schlagen, aber dafür solche, die auf sich allein gestellt sind und vom Müll leben müssen.

Was das Herz begehrt

Sitzungsmarathon in der wahren Hauptstadt. Erstes Meeting schon im Zug, dann durchgehend und speditiv bei Äpfeln, Kaffee und Sandwichs bis in den späten Nachmittag, damit die Tagesordnung nicht zu einer Zweitagesunordnung wird. Nächste Sitzung zu anderem Zweck um 19.30 Uhr am Zentralbahnhof der Nation. Liegt ja an meinem Heimweg.
Eineinahalb Stunden gestohlene Zeit und niemand weiss, dass ich verfügbar wäre.
Es regnet.
Ich suche Schutz in der Buchhandlung. Kaufe endlich mein Buch. Möchte noch des Kindes Wunsch nach seinem Buch erfüllen, aber das fehlt. Renne in die nächste Buchhandlung. Der nette junge Mann hier verkauft mir den Kinderwunsch.
Mein Kopfweh verschwindet mit den Tabletten aus der Apotheke neben der gleichnamigen Bar. Ich quetsche mich auf den letzten freien Hocker. Zu meiner Linken eine alte Dame mit Zigarillo und Nerzstola zu meiner Rechten ein Herr, den ich kennen sollte. (Progammchef DRS? Journalist aus dem Dufourhaus? Pascal Mercier? Adolf Muschg? Eher Mercier.) Er unterhält sich angeregt mit einer Zufallsbekanntschaft über das Interieur und die wilden Siebziger in diesem Etablissement. Die Zufallsbekanntschaft ist ein Herr mit dicker Brille und Zigarre aus Mecklenburg-Vorpommern und war in selbigen Siebzigern in die Bankenstadt abdelegiert worden. Der erste Trabi in Züri, ho, ho.
Ich lese.
Sonst passiert nichts. Die Nerzstola-Dame fragt mich ab und zu leise lächelnd, ob ich ein Bücherwurm sei. Und ob es immer noch regne draussen. Als ich bezahlt habe, begleitet sie mich wie eine Gastgeberin zur Tür.

Manifeste der Bestimmtheit

Vor vielen Jahren beschloss die damalige Sekretärin eines gern zitierten Professors der Pädagogik, die Bücher für ihren Eigenbedarf „versuchsweise“ zusammen mit der Fachliteratur an das Institut liefern zu lassen. Eine Idee, die ich als Buchhändlerin nach Kräften unterstützte, weil es ja Freude bereitete noch etwas anderes zu liefern als beispielsweise Abhandlungen über Lernschwächen von Scheidungskindern, wie sie damals in Mode waren.
Ich lieferte ihr also Sachbücher zur Ansicht, ich verpackte Geschenke mit dem einen Papier und legte das andersfarbige sicherheitshalber noch dazu, ich wählte Kinderbücher für ihre Nichten aus, nahm sie wieder zurück, wenn sie „scheusslich“ waren, ich radelte auch ausserhalb der Lieferzeiten zum Institut, damit sie den Reiseführer rechtzeitig bekam und ich nahm ihn natürlich wieder mit, wenn zwar genügend Restaurants, aber zu wenig Museen der ligurischen Küste verzeichnet waren.
Einmal wollte sie einen besonderen Krimi empfohlen haben, was damals noch schwieriger war als heute, weil in diesem Genre noch hauptsächlich Highsmith und Chandler dominierten. Ich und ein Kollege trafen die Wahl, lieferten zur Ansicht, die Dame behielt den Titel und schien zufrieden zu sein. Bis nach ein paar Tagen das Telefon klingelte und sie mich anfauchte, das sei das hinterletze Buch gewesen, die Pointe peinlich. Ich sagte sofort, wir nähmen es zurück und fügte an, ich würde es in die antiquarische Kiste stellen, vielleicht bereite es ja doch noch jemandem Vergnügen.
Und da verlor sie die Beherrschung. Sie rief meinen Vorgesetzten an, beschuldigte mich, sie des unsachgemässen Lesens bezichtigt zu haben, denn jedes von ihr gelesene Buch sie immer noch schöner, als das abgetaschte Zeug, das in den Buchhandlungen rumläge. Ich hätte meinen Beruf verfehlt und sie würde alles tun um ihren Vorgesetzen davon abzuhalten, je wieder in dieser Buchhandlung zu bestellen.
Wenn man als Lehrerin oder im Verkauf arbeitet, sind Verunglimpfungen und Unhöflichkeiten recht häufig. Es ist daher gesünder, schnell zu vergessen. Was meine Einnerung an diese Episode geweckt hat, war Herr Abendscheins lesenswertes Gleichnis von den „Gansen“, die ihre Ä-Punkte verloren hatten, was Kundin K. zu verzeihen von allem Anfang an nicht gewillt war. Abendschein merkt ganz richtig an:

Man könnte schnell über die Fallhöhe von Fehlern und ihre Behebbarkeiten ins Verhandeln kommen. Über pragmatische versus grundsätzliche Problembehandlungsansätze auf einem äusserst schwierigen Terrain sinnieren.

Ich musste lachen und weinen zugleich. Und dachte wieder einmal an den optimistischen Schiller, der den Buchhändlern folgenden Werbetext empfohlen hat:

Buchhändler Anzeige
Nichts ist der Menschheit so wichtig als ihre Bestimmung zu kennen;
Um zwölf Groschen Courant wird sie bey mir jetzt verkauft.

Bestimmungen werden in Buchhandlungen auch bey der Reklamation gefunden.

Publikum

von Theodor Fontane
Das Publikum ist eine einfache Frau,
Bourgeoishaft, eitel und wichtig,
Und folgt man, wenn sie spricht, genau,
So spricht sie nicht mal richtig.
Bloggerin
Eine einfache Frau, doch rosig und frisch,
Und ihre Juwelen blitzen,
Und sie lacht und führt einen guten Tisch,
Und es möchte sie jeder besitzen.
Bloggerin2
Guten Tag, neues Jahr.