Standblogbestimmung

Am nja‘ schen Schreiben hat sich – für mich zumindest – einiges geändert. Seit ich Produktleiterin bin, fällt mir Bloggen weniger leicht. Nicht, weil es mir an Zeit fehlte – dass es dem modernen Menschen per se an ihr gebricht, ist ein hier bekanntes Thema – und nicht, weil es mir an Ideen mangelte.
Es ist nur so, dass ich seltener unterrichte. So gibt es weniger bloggisch ertragreichen Alltagsstoff. Meine jetzige Arbeit braucht ebenfalls Fingerspitzengefühl und wäre ebenfalls erzählenswert. Doch selbst wenn ich anonym bloggen würde, weiss ich nicht, wie viel davon ich mir notieren möchte. Denn die Reflexion läuft an einer Linienstelle anders, schneller, hastiger, mit seltener Aussicht auf Übungsmöglichkeiten und eher zufälligen Verbesserungschancen.
Ich habe viel höhere Besucherzahlen. Mehr Leserinnen und Leser kommen durch das Ergoogeln meines Namens hierher. Das ist verständlich (ich google Sie ja auch). Und in den meisten Fällen auch sehr nett. Andererseits bringt es halt gewisse Hemmungen mit sich. Zum Beispiel die Angst vor Rückschlüssen.
Neulich habe ich einen Beitrag gelöscht, der an sich amüsant und unproblematisch war. Einen Beitrag über meine Not, für eine andere Lehrpersonen einzuspringen, was ich als Troubleshooterin ab und zu muss. Ich bin jedoch keine begnadete Diktiererin französischer Texte, verstehe manchmal eine Buchhaltungsübung selber nicht und mir bleibt schleierhaft, welche Seiten aus dem Deutschbuch ich kopieren soll, damit die Klasse die geforderten Antworten auf merkwürdige Fragen der Literaturhistorie findet. Ich dachte ja, ich läse schnell, aber mir reicht die Zeit zwischen Krankmeldung und Klingel nicht unbedingt für den Durchblick. Wie auch immer – solche Beiträge lassen für Lernende wie Lehrfirmen Rückschlüsse darauf zu, wer krank gewesen ist. Und das gehört ja nun wirklich nicht ins Internet.
Dieses Weblog hat als Lernportfolio in einer Didaktik-Weiterbildung begonnen. Ich habe mir damals – bei einer Leserschaft von höchstens zwanzig wohlgesinnten Nasen – überlegt, was ich preisgeben will und was nicht. Das klappt bis heute gut. Ich bin mit meinem neuen Job in manchen privaten Bereichen zurückhaltender geworden, beispielsweise lasse ich blasphemische Tischgespräche (was, wenn jemand das für bare Münze nimmt?) und überquellende To-do-Listen (ein Zeichen von Managment-Schwäche) weg. Aber weil ich mich ohnehin oft vorstellen muss und mich schlicht mehr Leute kennen und ausfragen, bin ich in anderen privaten Bereichen offener.
Beruflich war ich hier stets frisch-von-der-Leber-weg, solange es um positive Darstellungen ging und Negatives höchstens mich selber betraf. So salopp zu sein, passt nicht mehr.
Der Mensch, der ein Blog füllt, verändert sich und seine Einträge. Ein Blog ist eben doch ein Tagebuch.

10 Gebote für Wochenenden

-1 Du sollst dir nicht zu viel vornehmen
-2 Du sollst in einem guten Buch lesen
-3 Du sollst zwei Stunden länger schlafen
-4 Du sollst der Familie zuhören
-5 Du sollst einmal richtig aufwändig essen
-6 Du sollst ein Glas dir unbekannten Weins trinken
-7 Du sollst einen Spaziergang machen
-8 Du sollst die vergangene Woche Revue passieren lassen
-9 Du sollst in der nächsten Woche leere Zeit einplanen
-10 Du sollst dir nicht zu viel vornehmen
Amen.

Ordentlich

Ich bewundere Kolleginnen und Kollegen, die Ordnung halten und das eine beenden, bevor sie das andere beginnen. Im Moment habe ich drei mit Schule überstellte Tische und bräuchte einen vierten zum Decken.
Tisch 1
Tisch 2
Tisch 3
Aber das neue Semester wartet, korrigieren muss ich auch und über Piatti möchte ich halt doch noch etwas machen. Schwer vorstellbar, dass von ihm nie wieder neue Eulen kommen.

Schlecht geordnete Gedanken zur Toleranz

Für mich gehört das Lesen von Blogs nicht minder zum Bloggen denn das Schreiben in solchen. Um Beiträge und Kommentare wie die zur Toleranz (z.B. bei Liisa) zu lesen, gebe ich gerne ein paar Stunden Schlaf her.
Manchmal versuche ich, mich einem gesetzten Thema zu nähern und scheitere. Bloggen ist für mich eine authentische Angelegenheit und sobald ich mich anhänge, will ich zwanghaft originell sein. (Ich wäre niemals fähig, einen Fragebogen ehrlich zu beantworten.)
Wenn mich eine Thema schon vorher argumentativ beschäftigt hat wie die Mohammed-Karikaturen oder Banlieu, kann ich leicht und offen darüber schreiben, auch wenn es ganz viele andere ebenfalls tun. Unbekanntes oder meinungstechnisch Abgeschlossenes wie eben Toleranz kann ich bloggisch weniger gut aufgreifen. Aber drei Bemerkungen dazu habe ich nun doch:

  • Die Toleranz gegenüber Intoleranten habe ich mir (vor allem dank Freiwilligenarbeit im Quartier) abgewöhnt und fahre gut damit.
  • Zu meinen jahrelangen Stammgebieten der Intoleranz (= Rassismus und Ungelichbehandlung von Frauen) ist mit dem Kreationismus leider noch ein drittes hinzugekommen. Es ist anstrengend für mich als Hippiekind auch noch Gläubigen gegenüber intolerant zu sein, ich hätte gern darauf verzichtet. Aber in der Volksbildung geht Naturwissenschaft vor. Immer. Sonst können wir auch gleich zumachen und unsere Leute schön auf Koranschulen und Klöster verteilen.
  • Übrigens etabliert sich „Toleranz“ im Schulbereich schleichend als Schimpfwort. Ich schätze, im Moment befindet sie sich auf halbem Weg zur Mutter aller pädagogischen Reizwörter, der Antiautorität. Wenn es so weitergeht, wird die Toleranz im Schulwesen in wenigen Jahren nur noch von wenigen Ewiggestrigen betrieben werden.
  • 1. Weihnachtsgeschäft (2007)

    Wie schon 2004, 2005 und 2006 gebloggt, mache ich jährlich eine kleine Umfrage bei den neuen Azubis über „Tops und Flops“ im Weihnachtsgeschäft. Diesen Aussagen gehören fortan und bis Ende 1. Lehrjahr die ersten fünf Minuten jeder Lektion.
    Ergebnisse 1. Lehrjahr A 2007
    Ergebnisse 1. Lehrjahr B 2007
    Zuerst kommt „Top“ und wir freuen uns. Dann kommt „Flop“ und eine kurze Diskussion (mit Tafelprotokoll) darüber, wie wir genau den vermeiden könnte. Dieses Jahr moderiere ich hier erstmals nicht selber, sondern jemand aus der Klasse wird das Gespräch leiten. Es gibt nicht nur einen Klimawandel im Klassenzimmer, wenn anstelle der Lehrerin eine Schülerin moderiert, es gibt auch viel schneller eine Gedankensturm-Stimmung. Man entfernt sich von den Theorien der „Aktiv-Zuhören“-Gurus und kommt am Ende doch meist wieder zum gleichen Schluss wie sie – aber irgendwie anders. Besser, als wenn die Lehrerin mit der Fachliteratur im Hinterkopf dirigert. Ob sich genügend Freiwillige melden oder ob ich zuteilen muss? Mmmh. Das klärt sich nächste Woche.

    Rebellen des 9. Januars

    Sie gaben einander hienieden die Klinke in die Hand.
    Am 9. Januar 1908 wurde das Zepter der Idyllen-Killer weiter gereicht: Wilhelm Busch starb, als Simone de Beauvoir geboren wurde. Meine eigene kleine Kulturgeschichte ist ohne die Folgen von Busch und de Beauvoir schlecht vorstellbar und auch persönlich bin ich beiden zugetan. Trotz grosser Frechheit, aufgesetzter Unverwundbarkeit und knalliger Ideen wider ihre Zeit sind sie weder tragisch gescheitert noch jung verblichen. Sie haben sich ihre Kränze redlich verdient.
    Busch hat hinterlassen, was dem Comic und dem Witzgedicht bis hin zur neuen Frankfurter Schule und weit über den Tag hinaus als Grund und Boden dient. Er reimte behände Bild und Vers zu einem Gesamten, dehnte schamlos da ein Wort und kappte ein anderes dort. Er wurde beliebt und übersetzt. Die Vereinigung von Illustration und lautmalerisch gebundener Sprache machte das Provinzielle zur Weltklasse. Die direkten Nachfahren übersahen das zwar, aber nach den Kriegen stiegen Max und Moritz, Fipps, Hans Huckebein, Lehrer Lämpel und die Fromme Helene wieder aus der Asche.
    Und de Beauvoir? Sie gilt als Frau von Sartre und als Feministin. Beides wahr, doch für mich ist zentral, dass sie als erste klipp und klar feststellte, was wir heute – historisch und globalisiert gebeutelt – endlich lernen: Das Verhalten entscheidet. Kant hat vielleicht die Frage schon gesellt, aber de Beauvoir hatte den Mut zu antworten. Würden wir ihr Kapitel „Mädchen für alles“ aus ihrem Hauptwerk „Das andere Geschlecht“ im Weltentwicklungsbericht 2008 lesen, wir merkten ihm sein Alter nicht an. Sie listete hier akribisch die Mechanismen der Aubeutung auf und zeigte, wie Frauenbiografien ins Leere laufen. Genau wie heute. Aber immerhin nicht überall. Dank ihr.
    Und weil der April ein blühender Monat ist, auf den man am 9. Januar in Europa sehnlich wartet, starb Simone de Beauvoir am 14. April 1986, einen Tag vor Wilhelm Buschs 154. Geburtstag.
    Unsere Kinder werden zwischen den beiden keine Analogien ausmachen, nicht sehen, wie nahe sie sich im Lexikon stehen, sie werden die Beauvoir unter „d“ suchen und in der digitalen Welt auch finden. Und so nimmt ein jedes Leben seinen Lauf samt seinen Folgen für die Nachfolgenden. Und dass die davon nichts merken, ist ein gutes Zeichen. Dann hat einer seinen Platz wenigstens ordentlich hinterlassen.

    Der formmen Helene ihr Ende

    Die heutige Jugend

    Ritter bemalen im Dezember 2007

    Ein Drittel der jugendlichen Handybesitzer hat im Freundeskreis den Austausch von gewalthaltigen oder pornografischen Inhalten mitbekommen.

    Aktuelle Untersuchungen zeigen: Über ein Viertel der Jugendlichen hört schlecht und fast 40 Prozent haben kein intaktes Gehör mehr.

    Auswirkungen von SMS-Sucht: Einschränkung von Aufmerksamkeit und anderen kognitiven Funktionen, Kreativitätsverlust, Sprachzerfall, finanzielle Schäden.

    Die Faszination ist unbestritten. (…) Chats, Games, MSN sind die ständigen Begleiter vieler Jugendlicher. Die Verlockungen sind mannigfaltig – das Suchtpotential ist eindeutig gegeben.

    Quellen in Reihenfolge der Zitate:

  • JIM-Studie 2007
  • Stiftung für Schadenbekämpfung der Winterthur, Januar 2006
  • Andreas Canziani in „Moderne Süchte und deren Folgen“, in der Zeitschrift Psychiatrie und Neurologie.
  • Vortrag Heinz Küng im September 2006: Internet als Lernort – was heisst das für die Schule?
  • Un message musulman de remerciement

    Diese gute Nachricht erschien am 31. Dezember 2007 als ganzseitiges Inserat in der französischen Presse: Un message musulman de remerciment et de voeux de Noël et de Bonne Année.
    Ich fand das neben Benazir Bhutto, Carla Bruni und dem französischen Rauchverbot den weitaus besinnlichsten Beitrag zum Neujahr. Als Anlass zu nehmen, dass unsere Feiertage diese Jahreswende in den ebenfalls höchst feierlichen Hajj-Monat (11.12.2007 bis 9.1.2008, am 10.1.2008 beginnt das neue islamische Jahr) fallen, war ein kluger Schachzug. Und Abraham als Stammvater aller zu nennen eine diplomatische Methode, neben dem Islam und dem Christentum auch das Judentum zwar nicht gerade sichtbar, so doch irgendwie denkbar zu machen.
    Eine schöne Bestätigung meiner alten Leier: Es ist nie zu spät für gute Öffentlichkeitsarbeit.

    Les Baux

    Als Schweizerin habe ich das Privileg, sehr zentral zu wohnen. Ich erreiche die wundersamsten Destinationen Europas ohne viel Zeit und Geld. Zum Beispiel dieser Tage Les Baux-de-Provence, ein Städtchen, welches im Winter höchst angenehm zu besichtigen ist. Hier wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts das Aluminium-Erz entdeckt, weshalb man das Gestein gerade nach dem historischen Ort im Felsen benannte: „Bauxit“.
    Doch in Les Baux lassen sich Spuren der Menschheit entdecken, die noch viel weiter zurück reichen. Beim nächsten Mal, wenn Sie sich den Menschseins nicht recht erfreuen können, fahren Sie hier hin und Sie werden stolz sein, einer solch originellen Spezies anzugehören.
    Frohes neues Jahr!
    Les Baux auf dem Plateau In der Ruine von mon Moulin
    Eines der ersten Häuser mit Hof In der Höhle der Troglodyten
    Bildauschnitte zum Anklicken. Legende:
    – 1 Auf dem Kalksteinplateau, weit über dem Vallée-des-Baux
    – 2 In der Mühle-Ruine, Daudets Inspiration zu seinem Mühlen-Brief.
    – 3 Eine der ältesten Ruinen eines Hauses mit Entrée und Haushof
    – 4 In der Ruine einer Troglodyten-Höhle.