Woran erkennt man Herzblut?

Es ist schon eine Weile her und ich hatte es fast vergessen, dass ich mich für „schulpraxis“ zum Thema „Herzblut“ habe äussern dürfen. Erst als ich letzte Woche plötzlich Reaktionen wie E-Mails, Schulterklopfen oder Emoticons erhielt, fiel es mir wieder ein. Das Gespräch mit der Journalistin verlief damals so normal und beschwingt, dass mir gar nicht bewusst wurde, dass das Lehrpersonen im ganzen Kanton lesen würden. Als Einstieg sollte ich erklären, weshalb Leute auf die Idee kamen, mich für das Thema Herzblut zum empfehlen? Eine simple Frage zwar, aber für mich gar nicht leicht zu beantworten. Sie hat mich in bester Weise nachdenklich gemacht. Mir ist nämlich häufig unklar, woraus Menschen was schliessen. Aber ich bin natürlich dankbar dafür, einigen bei einem positiv besetzten Thema einzufallen.

Vom Kopftuch zum Nikab

Heute habe ich in der „NZZ am Sonntag“ ein treffendes Interview (auf Anmeldung online) mit britisch-muslimischen Feministin Huda Jawad (Website, Twitter) gelesen. Es ging wieder einmal um das Burka-, bzw. Nikab-Verbot, das als Volksinitiative „Ja zum Verhüllungsverbot“ heisst.
Die Diskussion erinnert mich an die Kopftuchdebatte in den Jahren nach 9/11, als Frauen, welche zuvor ihre Haar nicht bedeckt hatten, mehr und mehr Kopftuch oder Hidschab zu tragen anfingen, was zu aggressiven Bemerkungen, mehr Berichterstattung oder gar Angriffen führte. Allerdings war das damals wirklich sichtbar und ein merklicher Unterschied im Quartier, während wir Burka und Nikab kaum je zu Gesicht bekommen in diesem Land. Aber dass Empörung alle Fakten vom Tisch wischt und die abstimmende Mehrheit bereit ist, Diskriminierung in die Verfassung aufzunehmen, haben wir ja mit dem Minarettverbot gelernt. Weil wir aber ein Diskriminierungsverbot kennen, hat das Initiativkomitee die Erwähnung der Ganzkörperverschleierung verschleiert (mehr dazu unter dem schon zitierten Link von humanrights.ch).
Im Grunde ist es einerlei, weil hier ein immerwährender Stellvertreterkampf um Werte und Regeln im Gange ist und Differenzierung ungefähr so mühsam wie die ganze vermaledeite Migrationsbewegung auf dieser ganzen blöden Welt, die nun endlich einmal rückwärts drehen soll. Bref: Wenn’s nicht die Verschleierung ist, ist es etwas anders, auf das man einfach mit dem Finger zeigen kann. Vorausschauend gegen Rückwärtssehnsucht zu gewinnen ist dieser Tage unmöglich, denn sowohl die gebräuchlichsten Medien wie Messages versagen hier den Dienst. Ausser es gelingt eine Gegenbewegung zu der eine Mehrheit lieber gehört, aber das braucht sehr, sehr viel Mumm, Logistik und Freiwillige.
Was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass meine Meinung sich in den 12 Jahren nicht geändert hat, aber leider mein Mediengebrauch nicht mehr zeitgemäss ist. Zwar könnte ich ungefähr das Gleiche sagen wie damals an Weihnachten 2004, als in der Quartierzeitung ein Leserbrief von mir erschien, der mir unzählige Gespräche mit verschiedensten Menschen ermöglicht hat. Aber das dient nicht mehr, heute müsste ich mich anders und andernorts äussern, was mir nicht liegt, ich ertrage ja nicht einmal Facebook. So bleibt mir im Moment die eher bittere Erkenntnis, dass ich nicht viel mehr tun kann, als mich auf veralteten Kanälen wie hier oder im persönlichen Gespräch zu wiederholen.
Leserbrief Wolkenkratzer Dezember 2004

Could she win?

Meine Freundinnen wissen es, weil sie’s oft genug anhören müssen: Bei mir will einfach keine richtige Hoffnung aufkommen, dass Hillary Clinton die erste amerikanische Präsidentin wird. Ich halte sie für eine sehr fähige Politikerin und im Gegensatz zu vielen auch für glaubwürdig. Ich habe im Laufe der Zeit einiges von ihr und über sie gelesen und heute Abend wieder einmal ein paar Stunden Videos und Radiosendungen gehört, in denen sie sich über die Jahre hin geäussert hat. Sie argumentiert vor allem in innenpolitischen, sozialen Fragen stringenter als die meisten. Was andere ihr als Opportunismus auslegen, sehe ich eher als etwas misslungene Anpassung an die Backlashes, von denen die globale Welt heimgesucht wird. Den Umgang damit müssen alle Fortschrittlichen üben. Vor acht Jahren habe ich schweren Herzens eine Wette auf ihre Nicht-Nomination gewonnen, allerdings hätte ich dabei nie gedacht, dass ihr gerade Obama den Rang ablaufen würde.
Ich kenne die USA nur ein wenig. Ich habe das Land zwar mehrmals bereist (auch Flyover States) und zweimal in Behindertenheimen da gearbeitet (immer ländlich, einmal New York State, einmal Minnesota), es ist jedoch viel zu gross und zu verschieden, als dass ich es je erfassen könnte. Die Kontakte zu den Menschen haben mich viel gelehrt – eben auch, dass man in diesem Einwanderungsland nicht agnostischen, gescheiten Frauen vertraut. Als Schweizerin ist mir zudem die Situation geläufig, in der alles von der Mobilisierung abhängt und mehr als 50% für die anderen genügen, um Kamikaze-Entscheidungen zu fällen, die alle zurückwerfen. Den tiefen Graben – oder eher die klaffende Wunde – zwischen denen, die verlieren oder zu verlieren glauben und denen, die optimistisch in die Zukunft blicken, kenne ich ebenfalls aus vielen Jahren Politik in der Peripherie. In der Stadt wählen erstere wenig, sie sind nicht aktiv, in ländlicher Gegend hingegen sind sie häufig die einzige politische Kraft. Und Hillary Clinton vereint alles, was sie seit jeher hassen. Zudem lässt sich auf sie projizieren, was sie fürchten. Das bringt Mobilisierung für Trump in den Swingstates. „Could she win?“ weiterlesen

Eine feierliche Woche

Vom 28. Juni bis am 1. Juli haben wir unsere Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger gefeiert.
Die erste Schlussfeier war die der Buchhändlerinnen und Buchhändler. Ich organisiere diesen Anlass mithilfe von ein, zwei Kolleginnen und Kollegen. Das Fundraising mitgerechnet beschäftigt er mich über sieben Monate des Jahres regelmässig und im achten intensiv. Heuer hat Meral Kureyshi gelesen, der trotz der Ernsthaftigkeit ihres berührenden Textes witzigen Interaktionen mit dem Publikum gelungen sind. Jedes Mal denke ich, wie schön und gut es ist, dass wir diese Feier in – für unsere kleine Branche – opulenter Form ausrichten. (Das denke ich natürlich erst danach.)
Die Schlussfeierlichkeiten waren für mich in zweierlei Hinsicht besonders: Die Buchhandelsfeier mache ich nun schon eine ganze Dekade, das heisst zehn Reden, zehn Lesungen, zwanzig verabschiedete Klassen. Zudem habe ich dieses Jahr an allen Anlässen unserer Schule teilgenommen. Meine Kollegen bei den Kaufleuten haben neue Abläufe ausprobiert, die mich interessierten. (Bei solchen Feierlichkeiten muss man immer auch das Publikum im Blick haben, welches wegen einer Person kommt und nicht endlos Geduld für alle anderen hat.) Bei den Drogistinnen wollte ich gern dabei sein, weil mein langjähriger Kollege Abteilungsleiter in die Pension verabschiedet worden ist, unter anderem vom Jodelklub Spiez, in dem eine frisch diplomierte Drogistin Solistin war.
Den Schlusspunkt setzten meine Fachleute Kundendialog. Deren Feier wird mehrheitlich vom Trägerverband organisiert und findet deshalb in Zürich statt, dieses Mal waren wir im imposanten Technopark. In bester Stimmung wurde rundherum gedankt. Und ich fiel aus allen Wolken, als die jungen Leute auch mir dankten – ich unterrichte sie gar nicht und sie haben mit mir fast nur zu tun, wenn es Ärger gibt oder etwas Unangenehmes geschehen ist. Eine Absolventin hat „Time of my life“ gesungen und was passt besser als ein „Final Dance“? Es war einfach hin- und mitreissend. Das Publikum beherrschte den Refrain zum Teil erstaunlich gut und selbst die vom Ramandan etwas geschwächten Verwandten wippten fröhlich.
Für mich war’s ein anstrengendes und streckenweise konfliktreiches, manchmal gar trauriges Schuljahr. Aber es ist alles gut geworden und in Erinnerung bleibt ein friedlicher, lustiger Abschluss. Gaudeamus igitur!

Stimmung Schlussfeier Buchhandel 2016

Hauptsache gemischt

Ich habe mir fest vorgenommen, heute nur über Fussball nachzudenken und alle Unbill der weiten Welt und des individuellen Lebens auszublenden. Ich hatte vorletzte Nacht „Vous n’aurez pas ma haine“ gelesen, gearbeitet und Ablenkung nötig. Gestern verpasste ich das vermutlich versöhnlichste EM-Spiel und so telefonierte ich heute mit meinem Neffen, der mich auf den neusten Stand brachte. Einmal mehr fiel mir dabei auf, wie selbstverständlich er die vielen albanischen Spielernamen mit den weichen Lauten ausspricht. Auf meine Frage, was er von Frau Xhakas Trikot halte,meinte er nur „gut“ und ging über zum Kommentar der schweizer Goalieleistung, die letztendlich den Sieg ausgemacht habe. Merke: Wer sich von einem siebenjährigen schweiz-kosovarischen Jungen ein Spiel erzählen lassen darf, braucht es nicht zu schauen.
Letztes Wochenende hat meine Schwester zum dritten Mal ein Grümpelturnier in der Blocksiedlung organisiert. Obwohl das Wetter schlecht gewesen ist, liefen, kickten und sprangen an die hundert Kinder um die Wette.
Grümpelturnier Bethlehemacker
Und der Name passt einfach perfekt: „Grümpel“ ist von allem etwas. Und so waren die Spielerinnen und Spieler, die Zuschauerinnen und Zuschauer, die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter und natürlich die von allen gewonnenen Preise bunt gemischt.
Grümpelturnier Bethlehemacker
Und weil es mir am Ende doch nicht ganz gelingt, mich einfach nur am Erfolg zu freuen, noch dies: Auch wenn es komplizierter ist, als es aussieht, sollten wir die Bekämpfung der Kinderarbeit nicht vergessen, deren internationaler Tag heute gewesen ist. Für ein Fussballspiel ist vieles nötig, das aus Ländern und Geschäftsbereichen kommt, in denen Kinder zu Lasten ihrer Ausbildung und Gesundheit arbeiten. Seit dem Frühjahr gibt es ein App von ILO (erst in Englisch), das Unternehmen helfen kann, Kinderarbeit überhaupt zu sehen.

Privat, politisch, beruflich

Privat: Ich schreibe im Moment hier nur noch ganz selten, weil ich wieder Tagebuch führe. So richtig echt auf Papier, fehlt nur noch ein Schloss dran. Danke allen, die nachgefragt haben, ich würde liebend gerne beides machen. Aber dann müsste ich das Bücherlesen aufgeben, die Familie und die Freunde oder gar den Beruf. Und das ist halt keine Option.
Politisch: Die Abstimmungsresultate (in 10 Sprachen bei Swissinfo) sind in meinem Sinne. Und ohnehin haben die Abstimmungen in der Schweiz inzwischen derart viel Medienpräsenz im Ausland, dass es selten etwas zu sagen gibt, was nicht schon gesagt wäre.
Beruflich: Ich freue mich darauf, morgen wieder eine Runde mündliche Prüfungen in „Betriebliche Prozesse im Buchhandel“ abzunehmen und wünsche allen Prüflingen und Prüfenden eine erbauliche Woche. Und wer hier mitliest und sich der Buchhandelsausbildung verbunden fühlt, vielleicht gar selber Buchhändler ist oder Buchhändlerin war, ist herzlich an unsere Schlussfeier eingeladen!

Auffahrtsbrücke chronologisch

Dieses Jahr hatte ich meine erste Auffahrtsbrücke. Die vorherigen 25 Jahre war ich dann entweder im Verkauf, an Büchertischen, als Prüfungsexpertin an Aufgabenstellungen oder als Begleiterin von Kulturreisen im Einsatz. Ich hätte auch heuer arbeiten müssen (Budget), aber daraus wurde nicht viel, weil:
Ich nahm Auffahrt beim Wort fuhr mit meinem neuen Rennvelo auf den Längenberg, wo ich jeweils wunderbare Aussicht, die Gräber meiner verstorbenen Familienmitglieder und himmlische Pâtisserie aus meiner Verwandtschaft wie auch ebendiese vorfinde. Da ich noch nicht besonders zackig bremsen und schalten kann, waren Steigung und Gefälle sowie zahlreiche männlichen Überholer die perfekte Übung für meine Balance.
Am Freitag dann besuchte ich die Solothurner Literaturtage; erstmals seit ungefähr 20 Jahren. Als ich zum letzten Mal da war, durfte ein Mann einer Frau noch ins Wort fallen mit Sätzen wie „das interessiert hier und heute niemanden“. Ich erinnere mich noch genau, wer es zu wem gesagt hat, aber da sie beide noch gesund und munter sind, lasse ich die Details. Ob es heute besser wäre, weiss ich nicht, denn das Konzept ist nicht mehr, dass das Publikum mitdiskutiert. Aber es war wunderbar, wieder einmal einfach als Buchhändlerin unterwegs zu sein (Bild4). Ein bisschen Gezwitscher für den Pegasus gab’s natürlich schon. Highlights: Batthyany und Gomringer.
Gestern habe ich nach erfolglosen Versuchen meine Balkonpflanzen und meine Bücher-und-DVD-Stapel zurechtzurücken etwas Orientierung in der Berner Altstadt gefunden. Da spielte ich Federball und entschied zusammen mit dem Mann, vorläufig kein Vintage-Sideboard zu kaufen, sondern erstmal Apfelkisten (für die Medienstapel). Am Abend bin ich erneut mit dem orangen Bähndli durch die grünen Wiesen nach Solothurn gereist, dieses Mal ins Laientheater Mausefalle, wo eine Freundin auftrat. Ich bin so froh, dass immer noch so viel Theater gespielt wird! Und jedes Mal sehr beeindruckt von dem riesigen Einsatz, den all diese Leute neben ihren ganz anderen Aufgaben als Informatiker, Anwältinnen, Plattenleger oder Lehrer oder Schülerinnen für so ein Laienstück leisten.
Heute widmete ich mich gern den ungelesenen Zeitungen, der ungewaschenen Wäsche und natürlich meiner Mutter, die ich in ihrem blühenden Garten besuchte.

Hinter den Kulissen: Prüfungsvorbereitung

Jedem anerkannten Beruf in der Schweiz liegen eine Bildungsverordnung und ein Bildungsplan zu Grunde, auch dem Buchhandelsberuf. Dem Bildungsplan folgend machen die Berufsfachschulen ihre internen Lehrpläne. Am Ende ist die Prüfung nach Plan und Verordnung – alles ist schlüssig und gut erklärbar, auch neuen Azubis und deren Eltern oder enervierten Kandidaten und deren Berufsbildnern.
Aber bis Prüfungen stattfinden können, sind etliche Schritte nötig, an unserer Schule sind wir gut ein halbes Jahr administrativ und inhaltlich damit beschäftigt. Im Bereich „Handelsobjekte“ (Leitziel 4 des Bildungsplanes) wird beispielsweise mündlich geprüft, was die Kandidatinnen und Kandidaten über die Herstellung von Büchern wissen. Die Fachverantwortliche Buchhandel stellt dafür rechtzeitig, nämlich jetzt, das Material zusammen. Das hat sie schon:

  • Bilderbücher
  • Einen grossen Fotobildband
  • Diverse Landkarten in verschiedener Druck- und Papierqualität und in diversen Massstäben
  • Einige neue, gebundene Bücher
  • Und das ist, wonach wir Fachlehrpersonen bei uns zu Hause noch suchen:

  • Flyer und Postkarten oder Buchzeichen mit nur einer oder zwei Farben
  • Klappenbroschur
  • Mindestens zwei fadengeheftete Bücher, möglichst eins davon als Broschur
  • Gefaltete Printprodukte, darunter eines gerillt
  • Ein gestanztes Buch oder eines mit gestanztem Umschlag
  • Ein Buch mit Leinen oder Ledereinband, ein Halbband
  • Und in der eigenen Bibliothek gibt es halt auch Bücher, die zwar viele Kriterien vereinen, die man aber partout nicht aus der Hand geben will:
    Auszug1 Auszug2

    Die Zeit vergeht – echt jetzt

    Das Kind ist am Wochenende weiter gezogen. Und ich frage mich, ob ich diesen meinen Lebensabschnitt einfach als beendet betrachten soll oder ihn sogar als vollendet bezeichnen darf? Schon mit der Geburt eines Kindes beginnt sein Loslassen, Eltern sollten daran gewöhnt sein. Aber so ist es nicht ganz.
    Wir haben allen Grund, uns mit dem Kind zu freuen, das meiste läuft rund und er braucht uns nicht mehr. Das von ihm angebrachte Plakat an der ehemaligen Zimmertür habe ich erst nach dem Auszug entdeckt und mit zwei lachenden Augen gelesen (s. letztes Bild). Die freundlich winkenden Eltern in der Story sind ok.
    Auszug1Auszug2
    Auszug3Auszug4
    Auszug5