Drei Jahre PACE

Hängiger Frieden seit März 2003
„Frau M., sind Sie für oder gegen den Krieg?“ fragte mich eine Klasse vor drei Jahren. „Welchen meinen Sie denn?“ fragte ich zurück und bekam die Antwort: „Den der Amerikaner natürlich!“
Es waren bewegte Zeiten, fast alle hatten PACE-Fahnen umgebunden, PACE-Buttons oder durchgestrichene Amerika-Wäppchen angesteckt, sie diskutierten in den Gängen der Schule und machten sich Sorgen um die Welt.
So habe ich dann spontan beschlossen, dem Thema Zeit zu geben. Ich begann beim Vietnamkrieg, machte Hinweise auf berühmte Autorinnen, Autoren und Fotografen. Ich gestand, vom ersten Golfkrieg nicht viel zu wissen, da ich noch ziemlich jung und hauptsächlich an der rasanten Entwicklung von CNN und diesem Peter Arnett interessiert war. Ich erklärte – so gut ich das konnte – die Verhältnisse im Kosovokrieg, zeigte, dass der unseren Alltag am meisten beeinflusst hatte und sprach mich – unpopulär – auch im Nachhinein noch dafür aus. Ich machte zahlreiche Hinweise auf Filme und Bücher, von denen ich sogar eine Bibliografie erstellte. Wir diskutierten über den Einsatz der amerikanischen Armee in Afghanistan, ich versuchte schülergerechte Literatur zur Geschichte, Belletristik aus dem Land selber, Namen einheimischer Reporter und Gründe für die unbeherrschbare Lage aufzuzeigen.
Michael Moore dominierte damals den Buchmarkt, die Shame-on-you-Mr.Bush-Rede der Oscarverleihung lag allerdings noch vor uns. Ich hatte ein gutes Gefühl und fand diese halbe Stunde trotz mangelnder Vorbereitung und grösseren Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und dem Klassenmainstream richtig gut investierte Zeit.
Als ich die Klasse um Feedback bat, liess mich die Klassensprecherin wissen: „Sehen Sie, uns ging es eigentlich nur um die Demo. Wir haben an diesem Tag ja Berufsschule und es kann doch nicht sein, dass wir bei Fernbleiben vom Unterricht eine unentschuldigte Absenz erhalten! Es geht schliesslich um Krieg! Wir dachten, Sie könnten den Direktor überzeugen, schliesslich sind Sie ja auch gegen den Krieg. Sonst müssen wir in den Lehrfirmen einen Erklärung geben. Und das ist eben total mühsam für uns.“
Ich war fassungslos. (Dass Schülerinnen und Schüler Lehrpersonen zum Davonlaufen finden, ist ja bekannt. Aber hiermit sei versichert, dass auch das Umgekehrte vorkommt.)
Nein, ich habe keinen Finger gerührt für dieses Happening. Ich habe allen Abwesenden Kartoffeln in die Präsenzliste gemalt und ohne mit der Wimper zu zucken die fünf Nasen unterrichtet, die es sich anders überlegt hatten und doch noch in der Schule aufgekreuzt sind.
In meiner Erinnerung an den grässlichen Kriegsbeginn im Irak wird immer diese unpolitische Haltung mitschwingen. Gerade diese Tage weht sie mir mit jeder ausgebleichten PACE-Fahne entgegen.
Aber vielleicht wäre heute alles anders.

4 Gedanken zu „Drei Jahre PACE“

  1. Oh jeh…
    Ich hatte einen grösseren Adrenalinschub zu jener Zeit, als ich in der betriebsinternen Ankündigung für eine Pace-Fahnen-Sammelbestellung gelesen habe: „…das must-have des Frühlings…“ Pazifismus war Mode, die Fahne ein schickes Accessoire. Hinterfragen war nicht zugelassen, differenziertere Haltungen unpopulär. Ich habe selten so einsam und ausgegrenz gefühlt wie im Frühling 03.

  2. Immer wieder ein super Blog. Aber deine Position zum Kosovokrieg verstehe ich nicht ganz. Natürlich mit Buchtipp: Werner van Gent, Der Geruch des Grauens. Die humanitären Kriege in Kurdistan und im Kosovo, Zürich (Rotpunkt); 2000. (ISBN: 3-85869-194-1). Differenziert war damals eher die Haltung derjenigen, die dem Krieg skeptisch gegenüberstanden. Lieber Gruss, rebekka

  3. Ja, Werner van Gent hat Jahrzehnte lang genaustens rechechiert. Ich finde, sogar sein Buch verströmt einen grausigen Geruch. Nur fein, aber er ist da. Mitten im Büchergestell in einer Wohnung Berns.
    Habe eben auf 3Sat gesehen, dass ein Buch einer unbekannten Bloggerin aus Irak einen Preis erhalten haben soll. Weisst du schon mehr darüber? Denkst du, das würde deine Klasse interessieren?

  4. Katia, du auch? Du sprichst mir aus dem Herzen!
    Rebekka, danke für das Kompliment, ich komme langsam unter Druck ;-). Vielleicht ist es bald Zeit für ein neues Weblog, in das ich wieder unüberlegten Kram notiere.
    Ich kenne Werner van Gent, seine Bücher und Reportagen und finde ihn ganz ausgezeichnet. Leider hat er mir keine überzeugende Alternative zum Kosovokrieg angeboten, um einen Genozid zu verhindern, er hat lediglich angeprangert, dass man nicht früher… Leider war es eben dann zu spät, ich hätte es auch lieber anders gehabt.
    Also dem Kosovo-Krieg skeptisch gegenüberzustehen, war in den linken Kreisen, in denen ich verkehre, sehr populär, ihn als Lösung zu sehen war bellizistisch. Ich kenne Kosovaren und Albaner seit Kindsbeinen (sie sind schon länger Gastarbeiter als viele glauben) und immer mehr und immer besser. Und ich habe mit den meisten eine Menge Differenzen. Ich habe allerdings noch keinen und keine gefunden, die diesen Angriff nicht begrüsst hätten.
    Ich bin aber immer offen für andere Meinungen, denn ich möchte Kriege nicht propagieren sondern verhindern. Doch das, was damals im Kosovo lange vor den Amis herrschte, das war Krieg, ein schrecklicher Krieg gegen Zivilisten und ganz explizit gegen Kinder, wir werden uns ewig darüber aufhalten können, ob er nur willkürlich oder einfach auf Genozid angelegt war. Eine allgemein gültige Antwort werden wir nicht finden. Meine persönliche Antwort war Ruanda und sie war „nie wieder“.
    Tisha, ach ja, der van Gent ist ja bei dir! Ja, Blogger/innen aus Irak und Iran sind sehr populär und das ist gut. Nein, in der Schule interessiert sich bis jetzt kein Mensch für Blogs, weder alt noch jung.

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