Erinnerungen an lateinamerikanische Literatur

Ich habe meine Lehre in einer Zeit (1988-1991) gemacht, in der lateinamerikanische Autorinnen und Autoren vom Lesepublikum verlangt und deswegen von Verlagen (neu) entdeckt wurden. Der grosse Borges war damals zwar schon tot, aber ein Star und bekannt in der Schweiz, er hatte ja in Genf gelebt. Fuentes‘ Werke aus den Siebzigerjahren wurden gerade neu ins Deutsche übertragen und Cortázar gefiel nicht nur literarisch, sondern auch äusserlich, ich verkaufte in der Buchhandlung eine Postkarte mit seinem Portrait. Auch Puigs „Kuss der Spinnenfrau“ war dank der Verfilmung zum Longseller avanciert, ein Buch, das ich bis heute immer mal wieder empfehle (und dankbar bin, dass Suhrkamp eine umfassende – wenn auch bestimmt nicht rentable – Backlist führt). Neruda wurde Ende Achziger häufig zitiert, in den Medien ebenso wie auf Demos, was heute eher schwer vorstellbar ist. Galeanos historisches Werk „Die offenen Adern Lateinamerikas“ war weniger Buch als eine heilige Schrift der Intellektuellen. García Márquez war mir schon vor der Lehre ein Begriff gewesen, denn meine Mutter hatte alles von ihm und erwartete die Übersetzung seiner Neuerscheinungen jeweils mit Ungeduld. Auch Mauro de Vasconcelos kannte ich bereits, ich hatte ihn schon als Kind gelesen. Allende war im deutschsprachigen Raum mit dem „Geisterhaus“ bekannt geworden und sollte durch den Film mit Meryl Streep ja in den Neunzigern noch viel berühmter werden. Ihr Buch „Eva Luna“ war das allererste Leseexemplar, das ich von einem Vertreter bekommen habe.
Trotzdem kann ich bis heute der Handlung in lateinamerikanischen Romanen häufig schlecht folgen, es ist, als ob ich in einem riesigen, bunten Wollkorb voller Knäuel keinen greifbaren Faden fände. Das schmälert nicht meine Freude an der meisterhaften Erzählkunst der Lateinamerikaner und ich freue mich sehr auf den Ehrengast an der Buchmesse 2010. Ich höre die Lateinamerikaner alle sehr gerne reden, auch wenn ich mich meist mit Übersetzungen arragnieren muss. Lesungen und Podien mit lateinamerikanischen Autoren sind tiefgründig, hintergründig, politisch und pfiffig, ebenso ihre Interviews:
Kann der Roman als Form die Komplexität der heutigen Welt denn noch bewältigen?
Ja, denn er ist ein offenes und flexibles Genre, für alle Arten von Situationen oder Erfahrungen geeignet. Ich glaube nicht an den Niedergang des Romans. Das Problem scheint heute vielmehr, was mit dem Buch geschieht. Ist es dazu verdammt, durch Bildschirme ersetzt zu werden? Das würde unser Verständnis von Kultur nachhaltig beeinflussen.
Das ganze Gespräch mit Mario Vargas Llosa in der gestrigen NZZ.

Ein Gedanke zu „Erinnerungen an lateinamerikanische Literatur“

  1. (Und seit ein paar Monaten kaufe ich meine Bücher im Buchladen der Tochter von Curt Meyer-Clason, der die Übersetzung lateinamerikanischer Literatur ins Deutsche so dominiert, dass er der erste Übersetzer wurde, dessen Namen ich mir merkte. Über den Laden werde ich noch bloggen, aber dieses Detail schon mal vorab.)

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