Konfliktraum Buchhandlung

Wer etwas über Zielkonflikte lernen will, möge einfach eine Buchhandlung einrichten. Die Notwendigkeit so viele Bücher wie möglich unterzubringen, steht der Tatsache, dass Sie, liebe Kundinnen und Kunden, nur kaufen was frontal präsentiert wird, gegenüber. Die Notwendigkeit an Schutzzonen für ungestörtes Lesen beisst den Wunsch nach intimer Atmosphäre für intensive Beratungsgespräche. Die Notwendigkeit, dem mündigen Kunden PCs fürs selbständige Recherchieren bereit zu halten, prallt auf das grenzenlose Bedürfnis der Buchhändlerinnen, selber einen freien PC zu ergattern. Die Notwendigkeit neue, wieder gefundene oder gerade aus Diebeskralle zurückeroberte Bücher möglichst rasch einzuordnen, generiert haufenweise „Pardons“ und „Exgüsés“ und „Entschuldigung, das war jetzt wirklich das letzte Mal.“ Licht und Sauberkeit sind die Feinde jeglicher Patina.
Nicht weniger widersprüchlich sind die Buchandelskunden. Dass sie Bücher mit allerlei Resten an den Fingern ansehen aber nur eingeschweisst kaufen wollen, ist bloss ein Widersprüchchen. Doch wovon schwärmen sie nach der Reise in den abgelegensten Winkel Irlands, in das schöne Städtchen der Provence oder die beeindruckende Stadt in den Anden? Von der kleinen, niedlichen Buchhandlung, verwinkelt und etwas staubig, mit einem kauzigen Buchhändler, der wirklich nur Bücher verkauft, die er selber liest und liebt – echt! Und was wollen sie daheim? Dieses Buch und zwar zack, ist sowieso erstaunlich, dass Sie das nicht hier aufliegen haben. Was, noch immer nicht gefunden? Da wäre ja meine Zehnjährige schneller! Hoppla. Ein Ansatz von Kundenbashing. Endlich.
Meine Schülerinnen bedauern nämlich, dass mir das nicht liegt. Ich kann mich weder darüber amüsieren noch enervieren, dass zwanzig Kunden pro Tag unten an der Treppe fragen, ob es da hinauf gehe. So sind Kunden, so bin ich, so ist das Leben im Verkauf und sonst auch. Voller unnötiger Alltagsfragen und einfacher Alltagsantworten. Und die Komplizierten und die Philosophischen, die kommen zu kurz.
Wo war ich? Aha.
So wahr die Sonne im Osten aufgeht, ist jede Buchhandlung immer zu klein. In der Kleinsten der Kleinen stapelt die Buchhändlerin am Abend ihren einen Birkenstock auf den andern, das braucht nicht mehr Platz als der DUDEN Nr. 1. In der medizinischen Fachbuchhandlung fällt ihr eine Wirbelsäule entgegen, wenn sie Harrisons Innere Medizin einräumt, bei Band zwei dann sogar das ganze Skelett. In der Shop-in-Shop-Grossbuchhandlung ist sie permanent von Kundinnen und Kinderwagen umgeben, die gerade nach dem Weg fragen, im französischen Carrefour-System bewegt sie sich vorsichtig wie auf einer indischen Strasse (lieber rückwärts als in Gegenrichtung gehen), beim System amerikanische Wal-Mart-Schleuse sind ihr 30 cm2 hinter der Kasse zugedacht. Ihre Taschentücher bewahrt sie sowieso im Doppellager zwischen den Stapeln unverkaufter Harry Potter auf. Anträge auf Verbesserung generieren Wohlwollen und Sitzungen, aber garantiert kein Resultat –> Zielkonflikt.
Erstaunlicherweise hat es fast in jeder Buchhandlung irgendwo zwischen Keller und Dachboden etwas, womit man Wasser aufheizen und etwas, womit man Wasser abkühlen kann. Vielleicht weil es in allen Buchhandlungen entweder zu heiss oder zu kalt ist. Ich jedenfalls habe noch keine mit einer ausgewogenen Temperatur erlebt; ein weiterer Grund, sich für die Harmonisierung des Wärmegrades zwischen Kundschaft und Personal einzusetzen.
Und zum Schluss noch dies: Dieser Eintrag ist eine Assoziation zu einer netten Nachricht einer ebensolchen Branchenkollegin, die über Mittag die Buchhandlung nicht verlassen kann, sondern dort essen muss (Happen um Happen, wenn sie gerade keine Kunden hat):

Wenn ich arme Sau in den Flur will, dann muss ich den Kleiderständer entfernen, sonst ist die Tür blockiert. Einzige Möglichkeit: vor den Kühlschrank damit. Dann braucht es eine sportliche Hüftverdrehung meinerseits, und ich bin im Flur. Wenn ich später an den Kühlschrank will, muss der Ständer wieder vor die Tür. Wenn ich magersüchtig wäre, könnte ich mir den Hüftschwung sparen. Na gut, dann würde ich wohl auch den Kühlschrank kaum brauchen. Manchmal kommen noch ein paar Altpapierstapel dazu, über die man hüpfen, klettern oder balancieren muss; dann wird es schon fast ein sportlicher Parcours. Ich habe mir vom Christkind eine Wandgarderobe gewünscht, irgendein Doofteil mit ein paar Haken dran, aber das Christkind ist leider taub.

13 Gedanken zu „Konfliktraum Buchhandlung“

  1. Vielen Dank für diesen Hintergrund! Ich habe Ihre Ausführungen sofort mit meinen Buchhandlungen verglichen und habe für jedes Detail ein Beispiel gefunden (wie es hinter den Kassen aussieht, weiß ich allerdings nicht).
    Zu blöden Fragern: Ich halte mir immer vor Augen, dass ich die 99,9%, die selbst denken und finden, naturgemäß garnicht mitbekomme.
    (Und wenn ich selbst fragen muss, stricke ich deshalb immer erst mal neun Disclaimer: „Vermutlich bin ich dreimal dran vorbei gelaufen und habe Tomaten auf den Augen, aber darf ich Sie trotzdem bitten, mir zu helfen, XXYY zu finden?“)

  2. Ich komme mir langsam wie ein Groupie vor, aber da Du Lob in den Kommentaren lieber hast als Lob per Email: Vielen Dank für diesen Text. Falls ich jemals überlegen sollte, ob ich nicht doch lieber Buchhändler…dann brauche ich nur hier hinein zu schauen.
    (Übrigens kaufe ich nie niemals nimmernicht etwas, was mir frontal präsentiert wird; dass mir meine Schwester „Die Vermessung der Welt“ zu Weihnachten geschenkt hat, dafür kann ich nix.)

  3. Das freut mich jetzt aber sehr!
    Frau kaltmamsell, das mit den Disclaimern mach ich auch, ziemlich im Wortlaut, eher „blind“ als „Tomaten“. Ich habe aber manchmal den Eindruck, deswegen behandelt zu werden wie ein verwirrtes Gör und frage mich langsam, ob ich das beibehalten soll.
    Marian, du darfst den Lob-Kanal natürlich immer noch selber wählen. (Endlich linkst du dahin, wo du schreibst. Du bringst mich noch dazu, Neoliberale auf der Blogrolle aufzunehmen. Jawohl, soweit kommt’s noch bei diesem Medium, das die Vermischung von neo- rechts- und linksliberal geradezu anbietet. Seufz.)

  4. Tanja,
    Du bringst mich noch dazu, Neoliberale auf der Blogrolle aufzunehmen.
    Oh, dann habe ich ja einen Fehler gemacht, indem ich eine URL angegeben habe?! Ist schon komisch, dass ich in jenem seltsamen Blog als Sozi mit Parteibuch gleichzeitig der einzige Neoliberale bin; um alles noch schlimmer zu machen, könnte ich jetzt noch auf mein neokonservatives Blog verlinken, wo ich ganz alleine meine pro-amerikanischen Thesen vor mir her schiebe. Aber das lasse ich mal besser…

  5. Hach, herrlich :o)
    Und das mit der Temperatur stimmt wirklich. Ich habe heute echt abartig gefroren!
    Mehr von solchen Texten, die den Kern des Buchhändlerlebens treffen, bitte!

  6. Marian, wenn ich wüsste, wie ich dich nennen soll, wärst du längst auf der Blogrolle. Vielleicht bring ich ja „Bissige Liberale“ mal über die Lippen Tastatur zu den Links, schliesslich gibt es gegen Bissigkeit und Freiheit nicht unbedingt viel einzuwenden.
    Aci, bei mir als nicht anonym bloggende Lehrerin für Buchhandels-Azubis ist das so eine Sache… Ich kann nicht alles schreiben, was ich so beobachte.
    lizamazo: Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht. (Oxymoron – du weisst gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe 🙂

  7. lizamazo,
    dass ich das Etikett „neokonservativ“ verwendet habe, sollte auch nur meine Reserviertheit gegenüber Etiketten im allgemeinen zum Ausdruck bringen. Ich bin einfach nur Ich.
    Tanja,
    ich würde Dir ja gerne die Aufgabe erleichtern, indem ich ein deutsches Blog für mich alleine führe. Aber im Moment weiss ich echt nicht, wo mir der Kopf steht.

  8. Ein herrlicher Text! Vor allem sind die widersprüchlichen Kundenwünsche überhaupt keine Karikatur!
    Ich habe folgenden Widerspruch: Ich liebe meine beiden kleinen Buchhandlungen im Stadtteil: den Buchladen in der Osterstraße, der gut sortiert alle politischen Fragen bedienen kann und trotzdem tolle Krimis hat. Und Lüders im Heußweg, die vor allem ein modernes Antiquariat haben, in dem ich noch Schätze und Ergänzungen für die Lücken in meinen Reihen habe. Aber ich liebe diese Läden, wenn ich Zeit habe, bummeln und flanieren und absichtslos stöbern kann. Das habe ich eigentlich nur im Urlaub. Oder wenn gerade ein Projekt abgeschlossen ist. Aber wann ist das schon?
    Und in der Zeit dazwischen, nämlich dauernd, kaufe ich Bücher, Bücher, Bücher … aus Bequemlichkeit und Zeitgründen übers Internet, zvab und Amazon. Oder direkt beim Verlag. Das tut mir leid für die Buchhandlungen, die ich eigentlich gerne am Leben erhalten würde – eben für diese Urlaubstage – . Was würdest Du, Tanja, mit diesem Widerspruch machen?
    Am liebsten würde ich übers Internet in meinen Lieblingsbuchhandlungen ordern, und die Buchhändler brächten die Bände dann augenblicklich bei mir zu Hause oder im Büro vorbei, wie der Bäcker ganz ganz früher, in meiner Kindheit, die Frühstücksbrötchen … 😉

  9. Liebe Lisa Rosa, der Widerspruch ist mir aus Kundensicht absolut vertraut und dennoch kann ich niemandem Absolution erteilen. Man unterstützt immer den, bei dem man einkauft und schadet damit dem, bei dem man nicht kauft. Unter Umständen so sehr, dass der halt mal von der Bildfläche verschwindet.
    Es scheint in Deutschland weniger Onlineshops vom stationären Buchhandel zu geben, aber dazu verfasse ich dann rasch einen einzelnen Eintrag , weil ich in dieser Sache wirklich viele Anfragen und Mails bekomme. Sehr merkwürdig.

  10. ich mache mit onlinequartierbuchhandel die besten erfahrungen – verschroben-professionel. hie und da lässt die verwendete software zu wünschen übrig. dort ist dann aber der punkt, an dem ich einer buchhandlung zu schaden beginne…

  11. @lizamazo: me2! Bei ganz Kleinen akzeptiere ich, wenn ich einfach mailen kann, die kennen mich dafür, wissen alles auswendig und geben mir eine Monatsrechnung. Aber in der Regel erwarte ich einen Warenkorb und zwar einen, der pfunztioniert. Übrigens: ich tippe auf Länggasse oder Lorraine.

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