Prüfungsanachronismen

Wir sind fast fertig mit Korrgieren und ich finde es jedes Jahr beeindruckend, die Büros voller Boxenstapel mit erledigten Prüfungen zu sehen. In unserer Schule wurden in den letzten Wochen Tausende von Prüfungen geschrieben und korrigiert und in der Summe steckt enorm viel Arbeit dahinter. Blut selten (höchstens, wenn sich jemand am Papier schneidet), aber Schweiss und Tränen immer!
All die viele Handarbeit für Kandidatinnen, Lehrer und Expertinnen hat auch etwas Anachronistisches. Meistens müssen die Prüfungskandidaten noch von Hand schreiben, selbst wenn das im Arbeitsleben in den Berufen, die wir lehren, keine wichtige Kompetenz mehr ist. Die, die korrigieren, tun das ebenfalls von Hand und in der Folge ist auch die Eingabe der Ergebnisse im Sekretariat manuell. Und alles wird sicherheitshalber immer zweimal gemacht.
Wie froh können wir da um Reformen sein! Viele Neuerungen zielen darauf ab, die Anzahl Prüfungen oder die Prüfungsdauer zu reduzieren. Prüfungen sind nicht immer nötig, deren Resultate nicht immer wahrhaftig und – wägt man Kosten und Nutzen ab – in einigen Fällen von zweifelhaftem Wert. Mag sein, dass eine Reduktion der Anzahl Prüfungen den einen oder anderen Lehrabschluss ein wenig erleichtert, was natürlich einige stört. Aber eigentlich war es schon immer viel wichtiger, sich in seinem beruflichen Umfeld zu bewähren, als zu jeder Handlungskompetenz zwei oder gar drei Prüfungen zu bestehen.

Schwieriger ist es, wenn der Unterricht nicht mehr ernst genommen wird, weil am Ende keine Prüfung steht. Wir hatten dieses Problem im Bereich Fremdsprachen. Hier wurden im Zuge der Reform des Berufsbildes die Prüfungen in Englisch und Französisch gestrichen. Es zählen nur noch Vornoten, die kaum Gewicht haben, was den beiden Fächern ein Randdasein verlieh, das den Ansprüchen im Buchhandel absolut nicht entspricht. Mit der wachsenden Vielsprachigkeit der Bevölkerung kaufen und verkaufen die heutigen Lernenden viel mehr fremdsprachige Originalausgaben. Obwohl es also völlig verkehrt ist, sich während der Buchhandelslehre nicht um Englisch und Fanzösisch zu kümmern, bleibt das im neuen Bewertungssystem ziemlich folgenlos.
Ab dem neuen Schuljahr steuern wir deshalb ein internationales Sprachdiplom an, das die Sprachlehrerinnen individuell vereinbaren. Die Vereinbarung wird von den Lernenden und Lehrifmen unterschrieben, ohne dies würde es nicht funktionieren. Aber ich bin optimistisch so eine Verbesserung zu erreichen, ohne dass ich mich in den Kommissionen lautstark für mehr und neue Prüfungen einsetzen müsste. Dann auch ohnedis fehlt es mir im Buchhandel nicht an Anachronismen.

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