Aufklärung nach Fest

Im neusten SPIEGEL stellt sich der Hitler-Biograf, Autor des neuen (gut laufenden) Titels „Die unbeantwortbaren Fragen: Gespräche mit Albert Speer“ und legendärer Feind von MRR, dem Interview. Ich zitiere S. 142 aus SPIEGEL 25/2005:

Fest: Ich glaube nur, dass wir es uns im sicheren Abstand der Jahre oft zu leicht machen mit der moralischen Verdammung des „Dritten Reiches“. Totalitäre Versuchungen treten an die Völker von Zeit zu Zeit heran. Es gibt zwei Wege des „Halbwegs-sicher-Machens“: Moral oder Erkenntnis. Ich setze auf Erkenntnis.
SPIEGEL. Das klingt so, als wollten Sie Hitlers Diktatur moralisch nicht verurteilen?
Fest: Das „Dritte Reich“ hat mir moralisch nichts zu sagen. Dass man Menschen nicht grundlos einsperren und schon gar nicht totschlagen darf, sind Selbstverständlichkeiten. Geht es Ihnen anders? Das „Dritte Reich“ hat mir politisch etwas zu sagen. Und es hat mir zu sagen, dass das hochherzige Menschenbild der Aufklärung falsch war.
SPIEGEL: Sie meinen, die Verbrechen des Nationalsozialismus widerlegten die Annahme, der Mensch sei vernunftbestimmt und im Kern gut?
Fest: Die Aufklärung hat geglaubt, die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erziehung führten uns auf Abwege. Das ist irreal. Der Mensch steht dem Bösen näher als dem Guten. Wenn man ihm alles erlaubt und ihn sogar für das Böse auszeichnet, dann tut er das Böse mit Lust.

Mich irritiert diese Definition der Aufklärung. Ich habe zum Beispiel Kant nie so verstanden, ganz im Gegenteil. Ethik wäre möglich, Wertbürgertum wäre möglich, wenn der Mensch sich auf seine Vernunft in seinem eigenen Kopf anstatt auf Anführer und deren Indoktrination berufen würde. Nur menschliches Selbstverständnis kann Menschlichkeit selbstvertsändlich machen. Also lese ich zumindest einen Aufklärer umgekehrt und dass das Sein allein das Bewusstsein bestimme, ist meines Wissens Postaufklärung. Aber ich muss noch viel lernen.

3 Gedanken zu „Aufklärung nach Fest“

  1. So habe ich die Aufklärung auch nie verstanden. Im Gegenteil. Wenn du auf einen Text in der Art stoßen solltest, der interessiert mich auch. Rousseau und Sturm und Drang gehen in die Richtung und sind ja auch Teil der Aufklärung, aber darauf reduzieren kann man diese doch wohl nicht.

  2. So sehr in Fests Hitlerbiografie als riesige, in meinem Geschichtsverständnis unverzichtbare Arbeit schätze, so sehr widerstrebt mir seine Art, ohne Beispiel zu behaupten. Aber ich kann dir Beispiele nennen, die er (und andere, die die Aufklärung zweifelhaft finden) gemeint haben könnte:
    J.F. Gellert, der die dem Menschen eigene Vernünftigkeit und Güte besang und J.C. Gottsched, für den Dichtung die treue Nachahmung der Wunder der Natur bedeutete.
    Voltaire mit dem Deismus (kenne ich nicht so gut): Schöpfung ist zwar von Gott gemacht aber besteht kraft ihrer eigenen innewohnenden Gesetzlichkeiten und deshalb ist die Wechselwirkung zwischen Natur und Mensch möglich und notwendig.
    Spinoza mit den Abhandlungen über die Glückseligkeit, die enstünde, wenn der Mensch mit der Welt Frieden schliessen könnte und endlich das Diesseits als Schauplatz akzeptieren, anstatt sich vom Jenseits predigen lassen würde.
    Für mich sind das Vertreter der Aufklärung, die nicht das Böse im Menschen leugnen, sondern die das Göttliche zu den Irdischen holen wollten, damit die Leute selbständiger und eigenverantwortlicher würden und trotzdem nicht zu viel verlören. Nur einfach auf Gott pfeifen und sagen der Mensch ist frei und soll nun damit fertig werden, das konnten erst die Existenzialisten. Denn es ist nicht einfach zu den ersten zu gehören, die ein Weltbild anzweifeln und ich finde, die Aufklärer waren selten diplomatisch, effektiv und aus heutiger Sicht modern.

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