Kolumne

Nach dem Vorbild der SZ, hat Herr Rau die Gewissensfrage gestellt.
Dass das Begründen für viele Lernende so schwierig ist, ist für mich ein herber Rückschlag. Seit Jahren antworten Hunderte von Büchern mit Antworten auf Warum-Fragen von Kindern und Jugendlichen. Und irgendwer kauft die ja und erzieht entsprechend, oder? Dazu kommt, dass eine Buchhändlerin, die nicht begründen kann, an der Verkaufsfront verloren ist.
Wir sehen uns – und ich rede im Plural, weil viele Kolleginnen und Kollegen es auch so erleben – mehrheitlich mit einer Jugend im Argumentationsnotstand konfrontiert. Mit einer Jugend, der es oft an Überzeugung fehlt und wenn nicht dies, so dann an überzeugenden Argumenten.
Unsere Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer wirken dem entgegen, indem sie – genau wie Herr Rau – entsprechende Übungen machen:

  • Überzeugungsrede
  • Feed-back-Aufträge
  • Erörterung als Aufsatzform
  • Und einige von ihnen haben sogar ein ausgezeichnetes Lernheft zum Thema verfasst, das auch ich im Fachunterricht regelmässig brauche:
    Erlebnis Sprache. Wirkungsvoll argumentieren: von der Überzeugungsrede zur Erörterung.

    Medien-Nachlese

    Uff, ich habe mich durchgelesen. Es hat etwas von Suchtverhalten, die während des Ferienmonats erschienen Wochenzeitungen nachzulesen. Doch allein dank dieser Informationsverlustangst verstand ich sofort die Schlagzeile im heutigen „Bund“ „die Berner machens wie die Bayern“ und kam nicht auf dumme Gedanken.
    Ja, die Kinder dürfen hier im Bernischen immer noch „Handy“ „Telephon“ schreiben, auch wenn der 1. August vorbei ist. Aber ich sage euch, gehet hinein in die Schulstuben und ihr werdet sehen, dass sich kaum jemand einen Deut um die paar Wörtlein schert. Das Kind (das meinige) hat reglmässig Diktatvorlagen aus den Sechzigerjahren, die älteste war Jahrgang 1963.
    So hat Bayern wie erwartet das Bundesländer-PISA-Ranking wieder wuchtig gewonnen (SPIEGEL 29 vom 18.7.) und steht mit 533 Punkten noch vor der Schweiz (527). Doch der Leistungsdruck sei enorm, sagen Elternräte und Lehrer (in einer anderen, in der Toilette verlegten SPIEGEL-Nummer) und das wiederum legt die Frage nach anderen Statistiken nahe, zum Beispiel Suizid und Suizidversuch. Nun denn, wir sollten uns so oder so für alle freuen, die klug statt dumm gemacht werden.
    Dazu habe ich auch noch einen nachgelesenen WOZArtikel (Thema: Kleinklassen-Bashing) in der Pipeline, aber der hat mich so geärgert, dass ich ihn vor dem Kommentieren besser noch einpaarmal überschlafe. Oder es vielleicht ganz sein lasse. Wobei solchem Quark einfach widersprochen werden muss.

    Beruf(ungen)

    Heute, wo man Mütter ehrt und der Befreiung gedenkt ist auch ein richtig guter Tag, um über unseren verschrienen Berufsstand zu lesen. Und weil die Diskussion zu lang ist, als dass jemand sie vollständig online lesen würde, empfehle ich hauptsächlich die Einwürfe der Enja Riegel zur Lektüre. Sie findet, Schüler sollten vom Lehrer zuerst das vermittelt bekommen:

    Ich bin gemeint, der sieht mich und der will mir helfen, der setzt mir auch Grenzen.

    Dem kann ich mich nur anschliessen, gerade am heutigen Tage. Danke XB, für den Tipp.

    Mobbing-Splitter

    Neulich hat mich jemand gefragt, wer Françoise Alsaker sei und ich habe versprochen, darüber etwas zu bloggen. Am 28. April 2004 hielt sie ein Referat, das meine Schwester besucht und bei dem sie für mich Notizen gemacht hat. Herzlichen Dank!
    Hier die aktuellen Aussagen zusammengefasst:

    Mobbing ist ein Muster.
    Mobbing ist kein Konflikt.
    Konfliktlösungsstrategien taugen nicht.
    Es gibt keinen Grund zum Streiten, also kann es auch keine Einigung geben.
    Gegenüberstellungen von Täter und Opfer bringen nichts.
    Es kann jedes Kind treffen. Kinder, die leicht und oft „Nein!“ sagen und sich weniger kooperativ verhalten sind seltener Opfer.
    Gegen Mobbing kann man sich nicht wehren, das Ungleichgewicht ist zu stark, der Ratschlag „wehr dich!“ ist vertane Zeit.
    Mobberziel und –Befriedigung ist die Täuschung der Erwachsenen.
    Mobbing in indirekten Formen wie subtile Beleidigungen, Körpersprache, Blicke, Gerüchte, Intonation ist für Lehrpersonen schwierig zu erkennen und zu ahnden. Kein Weg führt an Beobachtungen, Dokumentation und Reaktion (auch auf Kleinigkeiten) vorbei.
    Erfolgreiches Mobbing bringt den Tätern Macht, Action, Gruppengefühl, Bestätigung und dadurch Vorteile. Sie werden es wieder tun.
    Die schlimmste Folge von Mobbing ist der Suizid, was sowohl in den USA wie auch in Europa vorkommt.

    Ich habe mich in die Thematik aufgrund der ersten Studien eingelesen. Ende der Neunzigerjahre haben Olweus und Limber festgestellt, dass das Problem eine neue Dimension auf der Palette der Gewalttätigkeiten einnimmt. Auch sie haben von Anfang an körperliche, psychologische wie verbale Attacken unterschieden.
    Marr und Field haben sich ebenfalls 1999 mit dem Thema wer Opfer und wer Täter sei befasst. Aus meiner Sicht und leider eigener leidvoller Erfahrung muss ich sagen, dass ihre Täterbeschreibung noch heute sehr gut passt:

    Bullies are, in a word, cowards. They project their own shortcomings and wrongdoings onto targets who are physically inferior to them. They control their targets with threats of violence, which are almost always carried through, sometimes with fatal consequences. And when bullies are called on their actions, they often say they were “provoked” by their targets.

    Marrs und Fields Opferprofil hingegen hat inzwischen zahlreiche Ergänzungen erfahren:

    Only the best are bullied. Individuals who are targeted are typically sensitive, respectful, honest, creative, and of high emotional intelligence. Targets typically have a strong sense of fair play and high integrity with a low occurrence of violence.

    Was Alsaker heute feststellt, liessen schon Marr und Field anklingen:

    Because bullies are driven by jealously and envy, they have an obsessive compulsion to torment and destroy those who are better than they are, which is most of the population.

    [Quelle: Bullies … Whom are they hurting?]
    Und die Eltern? Immer in Angst und immer mit dem Ratgeber im Hinter- und Vorderkopf:

    Fragen: wer, wo, wann?
    Fragen: wie bist du da rausgekommen?
    Sagen: es ist normal, dass es dir beschissen geht.
    Information und Kommunikation mit Fachstellen und Fachpersonen.
    Keine Konfrontation mit Tätern und deren Eltern.
    Anzeige.

    Aber nicht nur Eltern sind Faktoren, sondern auch die Schule, gerade die Grundschule. Ken Rigby schreibt zu dem Schulfaktor:

    The social context and supervision at school have been shown to play a major part in the frequency and severity of bullying problems. While teachers and administrators do not have control over individual and family factors which produce children who are inclined to bully, bullying problems can be greatly reduced in severity by appropriate supervision, intervention and climate in a school.

    Jeden Tag zweifle ich, dass die Schule weiss, dass sie ein entscheidender Faktor ist. Und zugleich muss ich fragen, wer ist sie denn, „die Schule“? Wohl nicht nur der Gang, die Garderobe, der Wasserhahn und der neue Turnhalltenbelag. Die Schule sind wir, Lehrerinnen und Lehrer. Es ist an uns. Und gerade Alsaker hat Tipps, von denen mir keine Lehrperson sagen kann, sie hätte nicht die Kapazitäten diese umzusetzen.
    Literatur und Empfehlungen von F. Alsaker:
    1. Quälgeister und ihre Opfer
    2. Medienpaket: Mobbing ist kein Kinderspiel
    3. Gruppe für Prävention

    Hinsehen!

    Die Münstergass-Buchhandlung hat ein ausgezeichnetes Schaufenster. Über Gewalt. Die Gewichtung der Auswahl liegt bei der Schule. Mit gutem Grund. Denn unsere Volksschulen haben ein Gewaltproblem und unsere Aussenquartiere ganz besonders. Egal wie lange und wie oft und wie intensiv und wie strukturiert wir diskutieren, es führt kein Weg an der Reaktion vorbei. Ich will eine Amerikanisierung unserer Gesellschaft vermeiden, ich will, dass ein Kind die Regeln kennt, die es bricht, ich will nicht, dass Jugendliche die Grenzen erst vom Richter und Erwachsene sie auf dem elektrischen Stuhl erfahren.
    Hinter jedem Problem, das ein Kind macht, steht ein Problem, das es hat. Aus der Integrationsarbeit, die ich schon längere Zeit mache, habe ich drei private Weisheiten im Umgang mit gewalttätigen Kindern gefiltert:
    Sie brauchen Regeln.
    Sie brauchen Alternativen.
    Sie brauchen Wertschätzung.
    Und was ich sonst noch wissen muss oder Kindern anbieten kann, die unter die Räder kommen, erlese ich mir. Danke, liebe Münstergass-Buchhändlerinnen für diese grosse Arbeit, mögen noch andere Lehrende euch erhören.
    Ich glaube, ich schlage langsam die Nulltoleranz-Richtung ein. Vielleicht liegt es am eigenen Kind unter den Rädern, vielleicht daran, dass es in diesem Land Menschen gibt, die eine Synagoge samt ihrer Bibliothek und einem jüdisches Geschäft niederbrennen. Ich weiss es nicht, ich weiss nur, dass ich mich aufrege und dass ich sehr beunruhigt bin.
    Das illustrieren wohl auch meine Zwischenrufe bei Herrn Rau, der eine sehr wichtige Diskussion lanciert hat.

    Fremdwörter

    Heute war es lustig im Didaktikkurs. Verschiedene Differenzen sind zu Tage getreten und mit Humor genommen worden. Der Motivations-Text von stangl-taller war zu lang, um ihn in 20 Mintuen zu lesen und zu diskutieren (Evelyne, jetzt darfst du auf die Sternchen klicken). Und einige haben sich von den Fremdwörtern – egal ob Latein oder Englisch – gleich zu Beginn laut und deutlich sehr anschaulich demotivieren lassen.
    Man könnte sogar sagen, die Fremdwörter haben sie so abgestossen, dass wir Fremdwort-Befürworter nicht umhin konnten, die Bezeichnung für die entsprechende Phobie zu suchen, wobei wir nur bis Xeno irgendwas gekommen sind. Meine Recherche hat nun die „Xenoglossophobie“ zu Tage gefördert, die das Problem mit „Fremdsprachenphobie“ leider nur ungenau beschreibt. Aber besser als nix.

    PISA 2003: Pressekonferenz

    Also, der nationale Bericht ist da und wird morgen in der Presse zusammengefasst und kommentiert werden (zur Genüge und inkl. Interviews mit Bildungs-Verantwortlichen). Deshalb richte ich das Augenmerk erstmal auf das Vorwort und darauf, was die Investition in die PISA Vor- und Nachbereitung bringen kann. Denn wenn die Kantone (wie Bern) noch einmal differenziertere Auswertungen in Auftrag geben, muss das schon nachhaltig sein, schliesslich kann das Geld dafür an einer anderen Stelle nicht ausgegeben werden.
    Aber die Evaluation zeigt, dass die nationalen und kantonalen PISA-Beauftragten durchaus Sinnvolles tun. PISA…

    …ist ein Anstoss, über das nationale Bildungssystem und dessen Stärken und Schwächen nachzudenken
    … die Gelegenheit für die Schweiz, den Kenntnisstand über die Kompetenzen der zukünftigen Erwachsenen zu erweitern, was unentbehrlich ist und lange vernachlässigt worde ist es auch
    … die Gelegenheit via die verschiedenen Bildungssysteme die Eiflüsse auf die Kinder und Jugendlichen zu verbessern, zu erweitern und international einzuordnen
    … die Gelegenheit Networking zu betreiben und die Beteiligung an internationalen Programmen zu intensivieren
    … ist eine Motivation mit anderen Ländern, anderen Kulturen und anderen wissenschaftlichen Schulen Forschungsinstrumente in der und für die Bildung zu entwickeln
    …fördert die Aktivierung regionaler Kräfte zur Koordination wie zur Konkurrenz im positiven Sinne

    Folgende Wendung im Vorwort fand ich amüsant:

    Die Resultate von PISA 2000 wurden in einer Vielzahl von Berichten der OECD und der Mehrzahl der einzelnen Teilnehmerländer publiziert. Die Reaktionen fielen zum Teil sehr lebhaft aus.


    „Lebhaft“ war zu meiner Grundschulzeit ein Lehrerwort für schlecht disziplinierbare Kinder. Das trifft die anfänglich konzeptlos panische Reaktion auf PISA ziemlich gut. Ebenfalls lustig fand ich, dass in Naturwissenschaften das gefragt worden ist, womit ich mich letzte Woche ausführlich befasst habe: Sonne, Mond und Jahreszeiten. Siehe „Testbeispiele“ im nationalen Bericht, dieses wäre auf Seite 69 . Aber dazu schreibe ich dann morgen einen Beitrag.

    PISA 2003: News & Gesang

    Schon vor der angekündigten morgigen Pressekonferenz haben Tageszeitungen die Ergebnisse der PISA-Studie 2003 veröffentlicht und kommentiert. Auch die gestrige Ausgabe der NZZ am Sonntag hat sich damit befasst und ist zum gleichen Schluss gekommen wie alle: Richtige Richtung, weiter so. (Aber bitte kostenneutral, doch das schreiben sie dann in einem anderen Artikel.)
    Den Chinesen (Hongkong) und Koreanern komme offenbar der Singsang ihrer Sprache beim Lernen entgegen. Dass Musik und vor allem das ganz gewöhnliche Singen an den meisten unserer Volksschulen ein ödes Dasein fristet, beelendet mich schon lange. Und nach der Umfrage von Herr Raus Schülerinnen mache ich mir noch weniger Hoffnungen. Weil der Nikolaus eventuell meine Meinung teilt, hatte das Kind heute ein modernes Liederbuch samt CD-Set im Chlousestiefel. Schliesslich braucht man Testpersonen, die nah dran sind.
    Urteil der Testperson, die sich 1.5 Stunden mit der Publikation befasst hat: Buch ist gut, die Noten sind einfach zu lesen, die Illustrationen sind lustig. Die CD ist ein bisschen stark wie für Deutschland und die Frauenstimme, die allein singt, ist hässlich. Aber der Mann und die Kinder singen schön und die Lieder gefallen im Allgemeinen sehr.
    Mein Urteil: Wenn man ein wenig Noten lesen kann, kann man sich die CDs schenken (zu schunkelig, zu viel Synthesizer, grässlicher Sopran), aber die Lieder im Buch sind wirkich eine gute Mischung aus alt und neu. Sie sind sowohl sprachlich wie musikalisch in der Volksschule umsetzbar und mit vielen Themenmöglichkeiten auch für multikulturelle Schulklassen ausgestattet. Die Illustrationen sind in meinem Augen platt und phantasielos, aber meiner Erfahrung nach das, was vielen Grundschullehrpersonen gefällt und offensichtlich auch den Kids (siehe Testperson).
    Nun denn, schönen Chlousetag allerseits.

    e-learing: Tipps and Hints

    Heute im Kurs waren unsere Medien, genauer unsere Hilfsmittel ein Thema. Ich komme sicher dann und wann noch darauf zurück. Wandtafeln haben auch ihre Tücken. und die computergeschädigte Schrift heutiger Fachlehrpersonen wäre auch einmal ein Thema. Wir hätten alle Kalligraphie nötig, wie das in China und Japan zu jeder Ausbildung gehört.
    Aber eben, eigentlich wollte ich nur einige Links zum Thema e-learing platzieren.
    Jürgs Tipps:
    ICT-Projekt des SIBP
    ICT-Drehscheibe
    WIGL Gastro-Lehrmittel (kostenpflichtig)
    www.e-week.ch, ein abgeschlossenes Projekt vom Dezember 2003
    Und ein wenig Off Topic empfiehlt er noch das neue Buch der verrückten Experimente
    samt Leseproben. Gibts natürlich auch offline zu lesen.
    Tanjas Tipps:
    Wenn ich etwas Neues über e-learning in deutscher Sprache und für deutschsprachige Lehrpersonen lesen will, komme ich am Weblog Netzlernen nicht vorbei, darum ist es hier ja auch seit Anbeginn verlinkt. Es hat eine wunderbare Kategorie zu diesem Thema, die regelmässig gefüttert wird. Auch das BildungsBlog hat interessante Hinweise, zum Beispiel den auf lernqualität.de. Stets nützlich auch das Weiterbildungsblog, das mir Links zu Studien und Evaluationen bietet, wie diese amüsanten Ausführungen eines Dozenten für Künstliche Intelligenz. (Nebenbei bemerkt geht es mit der Artificial Intelligence auch nicht immer so vorwärts, wie uns das mal vor zwanzig Jahren angekündigt worden ist. Also allzuweit aus dem Fenster lehnen pukto Rentabilität können sich die AI-Spezialisten nicht.)
    So, das wars von meiner Seite zum Thema. Hinweise immer gern, ich kann ergänzen, im Internet ist noch viel Platz.
    UPDATE 15.12.2004: Netzlernen empfiehlt das Buch eModeration, in dem es nicht um eLearning, aber um das Lehren mit dem Internet geht.