Berufsbildung hilft

Meine Worte, heute ausnahmsweise einmal in der NZZ am Sonntag, so richtig Schwarz auf Zeitungspapier, geschrieben von Michael Furger:

Nichts gegen akademische Laufbahnen und schon gar nichts gegen unsere Hochschulen und ihre herausragende Forschungsleistung. Aber das Schweizer Bildungswesen ist nicht ihretwegen so erfolgreich – sondern wegen der Berufsbildung.
Klar wird dies, wenn wir unser Bildungswesen an jener Grösse messen, an der wir es massen sollten; nicht an der Akademikerquote, sondern daran, wie die Integration der nächsten Generation in den Arbeitsmarkt gelingt. (…)
In diesem Punkt kann der Schweiz kein Land in Europa etwas vormachen. Nirgends gelingt die Integration ins Berufsleben besser als hier. Die Arbeitslosigkeit der 15- bis 24-Jährigen beläuft sich derzeit auf 4.5 Prozent. Wegen der Krise ein hoher Wert, aber nichts im Vergleich zu unseren Nachbarn: 10 Prozent in Deutschland, 22 Prozent in Frankreich, 25 Prozent in Italien. In Finnland sind es 19 Prozent.

Wer ahnt oder erlebt, wie oft in der Schweiz nach einer höheren Gymansialquote gerufen wird und wie häufig gerade Lehrpersonen sich die Strategien Finnlands vorführen lassen müssen, weil dort 95 Prozent – 2% (!) Migranten inklusive – das Gymansium schaffen, versteht vielleicht, weshalb ich mich morgen ein wenig aufrechter in eine neue Woche im Dienste der Berufsbildung begebe.

8 Gedanken zu „Berufsbildung hilft“

  1. Das klingt so, als würde die Schweiz an einer Akademikerschwemme leiden – leider ist das Gegenteil der Fall! Ganz abgesehen davon, dass Akademiker einem Land noch selten geschadet haben.
    “Von April 2008 bis April 2009 nahm die ständige ausländische Wohnbevölkerung aus den EU- und Efta-Staaten laut Zeitung «Sonntag» um 53000 Personen zu. 57 Prozent der erwebstätigen Einwanderer haben eine universitäre Ausbildung.
    Gleichzeitig werde der Zugang an die Mittelschulen in der Schweiz zunehmend beschränkt: Der Kanton Zürich etwa halte die Maturquote mit einem vorgeschrieben Notenschnitt bei den Deutschaufsätzen zur Aufnahmeprüfung zwischen 3,3 und 3,8 bewusst tief. Politiker und Wissenschafter kritisieren diese Beschränkung im Zeitungsbericht: «Eine solche Zulassungsbeschränkung macht keinen Sinn», sagt Daniel Müller-Jentsch vom Think Tank Avenir Suisse.
    Die Schweiz nütze das vorhandene Potenzial nicht aus: «Wenn die Schweiz konsequent in die Bildung investieren würde, könnten an den Universitäten mehr eigene Leute ausgebildet werden.» Damit liesse sich auch die Einwanderung entschärfen”

  2. Zuviel oder zuwenig hängt von der Grösse ab, an der man misst. Die Grösse Arbeitslosenquote scheint denen recht zu geben, die nicht per se dafür sind, die Gymansialquote zu erhöhen. Aber ich bin auch sehr der Meinung, dass die Durchlässigkeit an Hochschulen (auch Fachhochschulen) weiter gefördert werden muss: sowohl für Leute mit Berufslehre, wie auch für Leute aus dem Ausland. Ich setze mich seit Jahren für den Einstieg „sur Dossier“ und „Validation des acquis“ ein und wäre froh, wenn es schneller vorwärts ginge. Wenn sich die akadmemische Welt dereinst – inshallah! – weniger gegen Leute sträubt, die nicht den „Königsweg“ gegangen sind, werden wir in der Sache rasch Fortschritte machen und vielleicht sogar unseren Ingenieurenmangel beheben.
    Dass der Kanton ZH die Maturquote extra tief hält ist mir neu, seine Quote war im Schweizvergleich doch immer eher hoch? Gemäss meinem neusten Stand (BA f. Statistik), hat der Kt. ZH das Ziel, die Quote auch bei der ausländischen Bevölkerung zu erhöhen, in den letzten beiden Jahren (2007/08) erreicht. BTW: Der Kanton Zürich schult Kinder/Jugendliche aus 160 Nationen und es scheint mir nicht besonders verwerflich zu sein, dass er möchte, dass die Gymansiasten in Deutsch sattelfest sind. Zusätzlich ist ZH ein Kanton, der schon lange auch die zweisprachige Matura (E/D) anbietet.

  3. Die Schweiz liebt das Mittelmass und darum ihre Berufsbildung. Werde das wohl nie verstehen, was daran so toll ist, Jugendliche als billige Arbeitskräfte einzusetzen und die (oft langweilige) praktische Erfahrung schlicht höher zu werten als eine geistig anregende und hochstehende Ausbildung (spreche aus eigener Erfahrung). Eine Berufsbildung ist meines Erachtens nur dann sinnvoll, wenn die Ausbildung im Lehrbetrieb qualitativ hochstehend ist oder der/die Jugendliche praktisch sehr begabt ist. Im Gegensatz zur Qualität der Lehrbetriebe ist die Qualität der schulischen Ausbildung (Gymi, Unis, FHs) nämlich durchwegs gut in der Schweiz.

  4. ähm, Yvonne, wen rufst du denn an, wenn du gespenglert oder gesanitärt haben möchtest? Einen Uniabsolventen?
    Da sich z.B. das Handwerk in der Schweiz auf so hohem Niveau hält (exgüse, aber in der Exportwirtschaft wimmelt es nicht gerade von Akademikern), liegt wohl kaum daran, dass die Berufsbildung mittelmässig ist und Lernende nur billige Arbeitskräfte. (Ich glaube eher, dass Uni-Absolventen im Moment mehr als billige Arbeitskraft herhalten müssen.)
    In der Ausbildung kriegt man nicht Geld, das stimmt. Aber an guten Ausbildungsplätzen – und das sind die meisten – kriegt man eben für seine Arbeit Ausbildung. Genau wie im Gymi, nur anders. Nicht besser, nicht schlechter: ANDERS.
    Dass Leute, die eine Lehre machen, praktisch veranlagt und nicht hauptsächlich intellektuell sein sollten, ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit. Die anderen sollen ins Gymnasium und tun das zum Glück auch. Ich hätte jedenfalls noch nie von jemandem gehört, der in die Lehre geprügelt worden ist, diese Zeiten sind längst vorbei, im Gegenteil: Im Gymi sind nämlich auch noch die, die akademische Eltern haben (sagt die Statistik), selbst wenn sie praktisch veranlagt wären.
    Aus unserer Liebe zum „Mittelmass“ erwächst offenbar eine Jugend, die beruflich besser Anschluss findet als in jedem anderen Land und zwar auf hohem Lohnniveau.

  5. Interessante Debatte!
    Was würden die Schweizer Exporteure, die Pharma-und Uhrenindustrie ohne ihre Chemiker und Ingenieure (nota bene aus Deutschland) tun?
    Was heisst beruflich besser Anschluss finden als in anderen Ländern? Aus kanadischer Perspektive bekam ich seitens der Studenten noch keine Bedenken zu hören, sie würden durch eine akademische Karriere beruflich verwahrlosen.
    Weshalb haben helvetische Unis Schwierigkeiten überhaupt Schweizer als akademischen Nachwuchs zu rekrutieren, doch hoffentlich nicht, weil sich die Bevölkerung in prätentiösen Berufslehren realisiert und dem Mittelmass verfällt…

  6. Und was würden sie ohne Uhrmacher tun und ohne die hunderte von Polymechanikern? Die Ingenieure kommen übrigens nicht nur aus dem Ausland sondern auch immer mehr von Fachhochschulen (für Aussenstehende: das sind die, die mit der Lehre begonnen, dann die berufliche Matura und danach den Hochschulabschluss gemacht haben).
    Wenn ich einen Blogbeitrag über Zahlen schreibe, mit denen ich täglich zu tun habe – ich habe 10-20% Maturanden in meinen Klassen, die eben lieber eine Lehre machen – dann fehlt mir die Lust, in jedem Kommentar noch einmal zu wiederholen, was schon im Beitrag steht. Z.B. dass ich das Gymansium und die Unis völlig in Ordnung finde, aber nicht, dass man die Quote da unbedingt erhöhen muss. Der Weg über Beruf, Berufsmatura und Fachhochschule ist in vielen Fachbereichen besser oder ebenbürtig.
    Widerlegt, werte Kommentatorinnen, die tiefe Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz oder erklärt sie anders als das BBT, die OECD und – um auf den Beitrag zurück zu kommen – die NZZ. Dann wird die Debatte ja vielleicht wirklich noch interessant.

  7. Bedenklich scheint mir der anmassend bieder-patriotische Ton, den Michael Furger in seinem NZZ – Artikel anschlägt:
    “In diesem Punkt kann der Schweiz kein Land in Europa etwas vormachen.”
    Die Debatte wird dann spannend, wenn man aufhört das Hohelied der praktischen, zukunftssichernden Berufslehre zu singen.

  8. Dieses „Hohelied“ möchte ich hören (wo, wann, von wem?). Dieser Artikel war wie gesagt eine Ausnahmeerscheinung. Genau wie dieses Weblog, das zu den ganz wenigen gehört, die sich mit Berufsbildung befassen. Ein Weblog, welches BTW uninteressant ist für Leute, die die Berufsbildung für unnötig oder überbewertet halten.

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