Analoge Lebensart kommt auf

In meinem Fach beginnt die Lehre bei den Waren. Bei den Dingen, die halt täglich über den Ladentisch gehen. Die Lernenden bringen selber Beispiele mit in die Schule: Ein gebundenes Buch, ein fremdsprachiges Taschenbuch, einen Felix-Bleistiftspitzer, Landkarten, Postkarten, Mondkalender, Kartenspiele, Software, GPS-Chips und stellen die Handelsobjekte einander vor. Diese Woche hatten wir viele DVD, Games, Liedli-CD und CD-ROM. Jedenfalls genug, dass ein Schüler seufzte, ihm seien analoge Speichermedien einfach näher, zum Beispiel Videos und Langspielplaten. Vor allem LPs seien mehr und mehr gefragt.
Ich äusserte zuerst Zweifel an der These, aber mehrere aus der Klasse teilten die Einschätzung. Also habe ich noch andere Lernende gefragt und bei ExLibris und MediMarkt geschaut, ob sich ein gemainstreamtes LP-Sortiment finde? Und siehe da, man kann bei den grossen Medienverkäufern wirklich LPs haben, ExLibris hat sogar eine Sachgruppe „Vinyl“ mit Zeugs, das kaum für DJs sein kann. Sollte sich die Vermutung meines Schülers bewahrheiten, werden wir also in der Haushaltelektronik neben Epiliergeräten, Tischgrills und Nespressomaschienen bald lustig bunten Plattenspielern aus China begegnen.
Noch brauche ich keinen. Unsere 226 Langspielplatten (ich habe vorhin gezählt) drehten die letzten zwei Jahrzehnte auf einem Thorens TD 320 MkII treu ihre Runden. Nie hätte ich gedacht, dass es Thorens noch gibt. Dabei feiern die gerade Jubiläum. Und geben eine Zeitschrift mit dem Titel „Phono“ heraus: „Das Magazin für analoge Lebensart“.

8 Gedanken zu „Analoge Lebensart kommt auf“

  1. Das waren noch Zeiten, als sich Buchhändler mit Büchern und Literatur beschäftigten…. *seufz* Ich werde alt. Und das ist auch gut so, denn ich will nicht miterleben müssen, daß in Buchhandlungen ausschließlich Analphabeten arbeiten, die Kunden mit Piktogramm – Kompendien und zweifelhaften Verfilmungen eigentlicher Buchideen traktieren. *seufz* LG tinius

  2. Ja, dieser Seufzer wird von vielen „alten“ Buchhändlern ausgestossen. Aber die Jugen, die diesen Beruf lernen, tun es immer noch der Bücher wegen und da ist gewiss ein Silberstreif.
    Aber auch meine Lehre war voller Non-Books, auch solche, die es heute gar nicht mehr gibt, z.B. die Quartplatte und Arkitekturplakate und alternative Stadtpläne und Phrasendreschmaschinen aus Karton.

  3. Non – Books gab es auch zu meiner Zeit. Poster, Geschenkpapier, Postkarten, manch kleines Accessoir. Aber ich empfinde ja schon Comics als „Kulturschändung“, erst recht DVDs im Buchhandel. 😉 Und als ich letztens von einer Kollegin gefragt wurde, weshalb ich denn Fontanes „Frau Jenny Treibel“ lese, und antwortete, das gehöre unter anderem zum buchhändlerischen Fundamentalwissen und zur Allgemeinbildung, schauten mich wunderschöne Augen sehr, sehr fragend an….. *seufz* (Ich mag diese Kollegin wirklich sehr, aber….). LG tinius

  4. Frau Jenny Treibel gibt durchaus etwas her, wir nehmen sie immer mal wieder durch in der Schule. Also nicht ich, sondern die Literatur- und Kulturkundelehrer.
    Aber das mit den Comics solltest du dir noch einmal gut überlegen, jawohl. „Persepolis“ von Satrapi wär ein guter Einstieg. Oder etwas von Will Eisner. Du findest bei den Comics grossartige Werke.

  5. Nichts gegen Comics, obwohl meine Buchhandelskarriere mit „Werner“ befleckt war. Aber Comics sind keine Literatur. Auch die anspruchsvolleren oder wirklich witzigen nicht. Comics sind Comics, eine eigenständige Unterart der Kultur. Ich habe immer noch eine aus der Kindheit stammende Affinität zu Superhelden (und schaue manchmal im TV die alten Zeichentrickumsetzungen – Spiderman, Die fantastischen 4). Eigentlich stand im Kommentar zunächst „Hörbücher und Comics sind…“, aber das erschien mir dann doch zu heftig, auch wenn ich immer noch die reine Schriftform als Kriterium für ein Buch für einzig angemessen halte. LG tinius

  6. Ich hab ja nich gesagt, Comics seien Literatur. Ich hab nur gesagt, sie seien keinesfalls „Kulturschändung“ und sage jetzt noch, sie seien keinesfalls eine „Unterart“, sondern höchstens eine „Eigenart“ der Kultur. Wie auch in der Literatur gibt es auch hier allerlei Abstufungen.

  7. Ich weiß zumindest von einem Comic, das einen Literaturpreis gewonnen hat – worauf im folgenden Jahr die Teilnahmebedingungen so geändert wurden, dass Comics explizit ausgeschlossen waren.
    Ob Comics Literatur sind? Vermutlich schon. Aber das ist auch egal, eine Buchhandlung ist ja keine Literaturhandlung, sondern verkauft Bücher – zum Beispiel Kunstbände und auch Reiseführer, von denen noch mehr von der Literatur entfernt sind als bei Comics.
    Bei einer Buchhandlung ist Papier für mich wichtiger als Wörter. Meine liebste Buchhandlung hatte keine Filme und keine Hörbücher und gute Beratung, aber das ist schon lange her.

  8. Herr Rau, ich habe einmal in einem Interview gesagt, dass es mich stört, wenn ich in eine Buchhandlung komme und nur Windows Vista aber lange kein Buch sehe. Und ich hatte einige nette und einige harrsche Reaktionen auf diese Aussage 🙂
    Ich glaube halt, dass die Diskussion „Können Comics Literatur sein?“ nur auf akademischem Niveau sinnvoll ist. Im Alltag spielen andere Argumente eine Rolle als in der Wissenschaft, und ich habe eine ganze Tasche voll PRO Comics. Gerade Eltern, deren Kinder lieber Comics lesen als etwas anderes, sind darob sehr erleichtert.

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