Bekenntnis-Kult

Anfang Jahrtausend gab’s in der Schweiz das Magazin „kult“, vielleicht erinnert sich jemand. Die Auflage war vergleichsweise hoch, denn „kult“ wurde an „ausgewählten Kultstätten“ gratis abgegeben, so auch in der Buchhandlung, in der ich damals arbeitete. Das Magazin baute auf Werbung und die Zielgruppe wurde gleich im Impressum definiert:

Vorwiegend ausgeh- und konsumfreudige 18-38jährige Leserinnen und Leser, aber auch ausnehmend viele Prominente, Medienschaffende, Werber und Szeneleader oder anders ausgedrückt: Die für die breitere Masse Jugendlicher als Vorbild dienenden Vorreiter und Opinionleader in den verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens.

Ich mochte die Zeitschrift, weil ihre Autoren gegen jede Art von Bigotterie anschrieben und nicht selten das Gegenteil vom Medienmainstream. Einige von ihnen publizierten schon damals in bekannten Magazinen (z.B. Henrik Broder oder Viola Roggenkamp), andere sind seither berühmt geworden (z.B. Wiglaf Droste, Sibylle Berg, Else Buschheuer).
Warum ich drauf komme? „kult“ war das erste mir bekannte Magazin, das 2.0 versuchte, wie’s ab da im Netz üblich wurde und heute zu jeder Gratiszeitung dazu gehört. Zum Beispiel Verschiedensten die gleichen Fragen stellen war kultig, „Ist es wahr, dass der Sex mit Italienern besser ist?“ und sowas halt.
Unter anderem gab es in „kult“ eine Rubrik Was-ich-mag-und-was-ich-nicht-mag. Das war immer eine Seite à zwei Spalten pro Heft, die irgend einem, der für die Schweizer Szene grad relevant schien, zur Verfügung gestellt wurde. Ob es sich nun um einen DJ handelte oder um eine Werbefotografin, die Rubik war beliebt, der Antrieb, originell zu sein, entsprechend.
Ich weiss nicht ob es einen Zusammenhang hat oder Zufall war, jedenfalls nutzte eine unserer Deutschlehrerinnen diese Bekenntnisse für die Vorstellungsrunde der Azubis am Anfang der Lehrzeit. Seither wurden unsere Neuen immer wieder gebeten aufzuschreiben, was sie mögen und was nicht, so auch dieses Jahr. Doch war’s heuer das erste Mal, dass die Azubis und Lehrerinnen und Lehrer zum Mitmachen aufforderten.
Deswegen brüte ich nun also über Confessions in Keywords. (Ausgerechnet ich, die ich noch nie ein Stöckchen gefangen, nach einem Jahr entnervt zu twittern aufgehört habe und ganz allgemein mit Stichwortaufforderungen wenig anfangen kann, womit ich immerhin schon ein Bekenntnis hätte.) Zum Glück fahre ich ein paar Tage nach Italien. Eine passende Destination zum Nachdenken. Und Bekennen.
Ci vediamo!

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