Jugend auf dem Weg

Weil ich selbst nicht mehr unterrichte, habe ich beim Semesterwechsel etwas Zeit in Notizbüchern zu blättern oder durch Unterlagen zu scrollen. Jedes Mal bin ich tief beeindruckt von dem, was Jugendliche heute leisten. Gleichzeitig frage ich mich, ob wir sie daheim, in der Schule, in der Gesellschaft auf das Richtige vorbereiten? Ob ihnen all unsere Sicherheit, Strukturiertheit, aufrecht erhaltene, eigene Jugendlichkeit überhaupt hilfreich ist? Ich fürchte manchmal, dass gerade meine Generation zu viel in der Hand behalten will (Internet), dass Ältere den Jüngeren generell zu wenig Verantwortung übergeben und Freiheit lassen.
Doch ist es in meinem Fall besonders müssig darüber zu lamentieren, ich habe schliesslich häufiger als die meisten Gelegenheit, es zu ändern. Ich erlebe oft, dass junge Menschen sich völlig anders entscheiden, als ihnen geraten wurde. Zum Beispiel die junge Frau, die nach dem Suizid ihres geliebten Vaters nur ein paar Tage auf der Arbeit fehlte mit dem oberflächlichen Grund „Todesfall in der Familie“, ganz ohne weitere Information an niemanden. Oder der junge Mann, der seinen Zufluchtsort nach Verheilen des Backenknochenbruchs (von einem geworfenen Kristallaschenbecher) wieder verliess und nach Hause zum Täter zurückkehrte. Oder die vielen Azubis, deren Antrieb Studienfächer sind, die jeder sogenannt vernünftige Mensch als für sie unerreichbar klassifizieren würde.
Nach zwanzige Jahren in der Berufsfachschule und so verschiedenen Generationen junger Menschen, hat sich meine persönliche Linie im Umgang mit ihnen auf wenige Punkte reduziert:

  • Unterstützung auf dem individuellen Weg im Bewusstsein, dass es ihrer sein muss und NIE meiner.
  • Besondere und ungefragte Ermutigung in allem, was ich richtig und wichtig finde.
  • Fehlertoleranz gegenüber allen und mir selbst. Mehr Lob als Kritik.
  • Vorschläge sind Vorschläge und keine Beleidigung von keiner Seite. Sie dürfen abgelehnt werden.
  • Tägliche Reflexion: War ich den jungen Menschen gegenüber offen? Oder eher ihren Anspruchsgruppen?
  • Mit hilft es zudem zu wissen, dass ich nichts weiss. Ich muss mich verlassen auf das und befassen mit dem, was mir gesagt, gezeigt und gespiegelt wird. Wenn ich dank Empathie und einer guten Beziehung etwas in Erfahrung bringen kann, dann sind es Bedürfnisse. Gelingt mir dies, erleichtert es die Zusammenarbeit sogar dann, wenn kein einziges Wort dazu fällt.

    Ein Gedanke zu „Jugend auf dem Weg“

    1. Liebe Tanja,
      es ist sehr gut, die eigene Arbeit zu reflektieren. Das gehört zu unserem Beruf, ist eine kleine interne Evaluation.
      Aber: H. denkt, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Was er so mitbekommt, wenn er über die Jahresabschlussveranstaltungen liest, läuft es prima mit den neuen jungen zukünftigen BuchhändlerInnen. Sie strahlen, das sagt viel aus.
      Dass junge Menschen sich anders entscheiden als ältere, das war doch bei uns auch so. Und trotzdem denkt H. viel an seine Lehrer, besucht sie auch, wenn möglich – sie sind jenseits der 80. Sie haben viel mitgegeben, Orientierungspunkte, positive wie auch negative, gesetzt.
      Und so sieht H. es auch bei Ihnen und Ihren SchülerInnen.

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