statt Leserbrief

Endlich habe ich meine wichtigsten Quellen fertig befragt und die Interviews, Kommentare und Blogbeiträge zum Swisscom-Debakel gelesen. Quer durch die Sonntags-, Werktags- und Wochenpresse und auch im TV scheint man sich einig: das war ein PR-GAU des Bundesrates.
Ich sehe das anders, könnte die nächsten Tage locker mit dem Verfassen von Leserbriefen verbringen und würde von allen Seiten den Vorwurf der Paranoia einkassieren. So mache ich doch lieber einen mittäglichen Gedankensprung im Blog.
Mir kann niemand erzählen, dass Super-Minister-Blocher, von den Medien akzeptierter Chef unsere Landes (O-Ton WOZ Nr. 48: „was zum Henker legitimiert diesen Mann?“), sich unbedarft und unprofessionell mitgeteilt hat. Wenn ich mich mit einem blocher’schen Aspekt wirklich auseinandergesetzt habe, so ist es seine PR-Professionalität. Ein erfolgreicher Unternehmer, Rhetoriker und von der Kanzel sozialisierter Mensch leistet sich keinen solchen Schnitzer. Das war kalkuliert, wir werden es noch mehr erleben.
Zuerst redet die reiche Rechte ein gesundes Staatsunternehmen schlecht. Wenn’s nicht klappt, lassen sie es unter dem Deckmantel längst fälliger neuer bundesrätlicher Informationskultur (O-Ton Der Bund Nr. 283: „Mit Christoph Blocher hat das Parlament … einen Politiker… gewählt, der sich weigert, Harmoniefassaden mitzutragen…“) crashen und reissen das Ansehen der ganzen Regierung mit.
Es ist nur folgerichtig, dass ihr politischer Einfluss gross genug bleibt, um grobe Unternehmensfehler zu verhindern. Denn so funktioniert die optimale Vorbereitung auf Privatisierung, so bastelt man sich billige Beteiligungen an einem währschaften Unternehmen. Natürlich auf dem Rücken der Underdogs, allen voran auf dem des Personals, das man auf Rechnung des ach-so-verschuldeten Staates locker abstösst.
Zur Historie: Private, liberal und innovativ, zeigten vor hundert Jahren mehr Unternehmergeist als der Staat. Und dafür bin ich ihnen, gerade wegen unserer tollen Eisenbahn, sehr verbunden. Diese Firmen gingen dann aus finanziellen Gründen an den Staat, der stabile Unternehmen mit guten Arbeits- und Ausbildungsplätzen daraus machte. Die SBB zum Beispiel verfügt heute über die modernste und normierteste Infrastruktur weltweit, ihre vielseitigen Ausildungsplätze und Weiterbildungsmöglichkeiten werden europaweit bewundert. Aber die rechten Ränkelspiele haben schon begonnen. Ich bin entsetzt, dass es kaum (oder gar keine?) Medienmenschen gibt, die sich Blochers Strategien über die Jahre hin genau ansehen.
Wenn wir gut leben und handeln wollen, braucht dieses Land vier Pfeiler, deren tadelloses Funktionieren unsere Entwicklung garantiert:

  • Wasser
  • Strom
  • Kommunikation
  • Transport
  • Hier steht Stabilität vor Preis. Für einmal bin ich froh um die Trägheit unseres Systems, ich bin froh für jedes halbe Jahr der Verzögerung, in dem sich weitere schlechte Beispiele aus dem Ausland häufen. Und über solche Schlagzeilen kann ich mich nur wundern, wie wenn Liberalisierung eine allegemein anerkannte Kompetenz wie das Problemlöseverhalten im Pisa-Test wäre.
    Doch sollte die Swisscom verkauft werden, werde ich einen Prognose-Wettbewerb ausrufen. Mit veritablen Buchpreisen, versteht sich.

    5 Gedanken zu „statt Leserbrief“

    1. Es sind zwei weitere Beiträge von Fredy (CH Internet Szene) dazu gekommen. Eins, zwei. Ich selber bin noch am Vergleichen und Nachdenken und – nach dem BILANZ-Artikel „Unter Hochspannung“ über den europäischen Energiemarkt – nicht sicher, ob ich das Thema jemals halbwegs überblicken werde.

    2. Bezüglich Kommunikation möchte ich nur soviel zu bedenken geben: Swisscom betreibt eine Infrastruktur (nicht nur sie), nämlich Glasfaserkabel und Kupferleitungen. Das ist ok soweit. Datenverkehr darüber abzuwickeln darf aber nicht Sache des Monopolisten sein.
      Vergleiche es mit der Strassen: der Staat soll für gute Verkehrswege sorgen. Fahren und transportieren sollen aber Privatunternehmen, die für die Benutzung der Verkehrswege selbstverständlich zahlen.
      Würde die Datenkommunikation ausschliesslich durch den Staat respektive Swisscom als Monopolisten geregelt, stünden wir noch im Zeitalter des VTX Videotex! 😉 Es gäbe weder Web, Email, Blogs etc. etc. … ok, ist vielleicht etwas übertrieben – aber die Entwicklung wäre sicher gebremst.

    3. Strasse: der Vergleich hinkt. Erstens weil uralt und zweitens weil imho nicht vergleichbar. Ein Glas- oder Kupfer-Netz braucht etwas mehr Knowhow und Qualitätssicherung (=Regulierung) als eine Strasse, da darf ja noch heute ein Hund mit Milchanhänger und einem einzigen Reflektor zirkulieren.
      Das ganze Internet (Web, Email, Blog) hat sich übrigens noch zu Monopolzeiten mit ganz kommuner, akustischer Modemtechnologie entwickelt, ohne dass die PTT damals auch nur gewusst hätte, was IP bedeutet. Die neuen Technologien sind auch ohne Unterstützung überlebensfähig.
      Als Privatperson und Unternehmer sehe ich zwei Seiten, bin aber schon seit immer Gegner der Rappenspalterei und finde eine gute, verlässliche Infrastruktur für das Wirtschaftsleben wichtiger als einige Prozente Preisermässigung. Die Zeit, die draufgeht für Rechnungen kontrollieren, Angebote prüfen, Abos wechseln und aufsässige Sunrise-Agenten abwimmeln kostet uns mehr als die ganze Mobiltelefonie zu der Zeit, als die Gesprächsminute beim Monopolisten noch 1 Franken kostete.
      Teile der Swisscom kann man verkaufen, IT-Services, Bluewin – aber bitte mit Bedacht. Hätte man die IT-Services vor zwei Jahren verkaufen wollen, wäre wohl nicht allzuviel rausgesprungen, heute sind sie schon wieder ganz gut positioniert – dank langem Atem und wenig Shareholder-Aufregung.

    4. Fredy – ich bin einfach noch nicht soweit, als dass ich von meiner Haltung [Verkauf bremsen] abweichen würde (du wirst es nicht glauben, aber ich gelte in der SP als liberal 😉
      Kaspar – Wir sind uns einig. Nur deine beiden ersten Abschnitte, die mich sehr interessieren würden, weil die History mich eben immer interessiert, widersprechen einander (also für mich). Zuerst sagst du, es braucht mehr Knoff-hoff, dann sagst du es ist so einfach, dass selbst der Betreiber keine Ahnung braucht?

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