17 Gedanken zu „carica tu(r)ez!“

  1. g* … bring bloß nicht die Italiener und Franzosen gegen Dich auf! … und das wo die Schweiz doch „neutral“ ist. ;o) die alte Mona Lisa hat irgendwie immer noch was. … aber halt, auf dem ersten Bild sieht es aus als ob sie inzwischen einen Kinnbart hätte

  2. Oh, im Gegenteil, Liisa, die Italiener und die Franzosen haben wie wir Neutralen ein eindeutiges Verhältnis zur Karikatur 🙂 Wir dürfen das, wir wollen das dürfen und bei uns ist es nicht einmal verboten , die Religion in der Karikatur zu verhunzen. Darauf haben wir uns mal geeinigt. Ha!
    Nur schade, dass sich Europas Presse nicht traut, die Sache kommentarlos zu lassen. Eine tägliche Karikatur (eine gute aber, von den grossartigen Karikaturisten mit der feinen Ader und Feder, die Europa glücklicherweise hat) der Ereignisse wäre passender, als das Theater mitzumachen oder gar den Schwanz einzuziehen!
    Wegen dem Kinnbart: Jawohl, die Bilder sind aus einer mehrseitigen Serie, in der die Mona Lisa noch ganz anders karikiert wird und sich in jegliche Mischrollen begibt. Adrett ist sie auch auf dem Klo oder madonnenhaft betend mit angeklebten Nuttenfingernägeln.

  3. Gute Idee: Karikaturen als Kommentare. Wobei gerade das auch zeigt, warum der dänische Fall wohl nicht so einfach ist. Karikaturen, die sich gegen „Mächtige“ richten, z.B. europäische Hochkultur im Fall der Mona Lisa,dürfen tatsächlich alles, wie gemäss Tucholsky die Satire.
    Und wenn sich Karikatur gegen Schwache richtet? Ich erinnere mich an eine Ausstellung im Comics-Museum im Basel u.a. mit Karikaturen, die sich über Behinderte lustig machte (z.B. Blinder stolpert über Kot seines Hundes). Gibt es hier ebenfalls keine Grenzen? Wir kennen ja auch ein Antirassismus-Gesetz. Kann etwas erlaubt sein, wenn es gezeichnet ist, aber verboten, wenn es gesprochen wird?
    Nun ist Mohammed kein Schwacher, aber die Karikaturen greifen offenbar die Gefühle von Muslimen an, die in unserer Gesellschaft nicht eben zur Elite gehören. Karikaturen von Christen in christlich geprägten Ländern über andere Religionen sind heikel. Persönlich lehne ich solche ab und spräche mich für Selbstzensur aus.

  4. Ja, Christoph, das sind auch für mich sehr wichtige Fragen.
    Mein Kommentar bei „Chuzpe“ ging in deine Richtung, weil diese Fragen dort aufgeworfen worden sind:

    Diskriminierung?
    Nein, Karikatur darf sein, gesetzlich erlaubt, wie auch meiner Meinung nach.
    Der Diskriminierungsvorwurf trifft insofern zu, dass Karikatur Vorurteile nährt. Daraus ableitend müsste man jedoch jede Karikierung verbieten, auch die von Politikern.
    Aber Diskriminierung kommt ja von „trennen/absondern“ und daher sind Karikaturen dann verwerflich, wenn sie in einem Land oder einem Medium immer die gleiche Person oder Gruppe treffen.
    Das ist hier nicht der Fall. Auch sind Muslime keine Minderheit, sondern eine beachtliche Volksgruppe mit verschiedenen (auch hier erwähnten) Möglichkeiten, sich angemessen zu wehren. Dazu besitzen sie etliche Medien mit zahlreichen Flächen für eine einigermassen diplomatische Reaktion, die übrigens zu einem brauchbaren PR-Feldzug hätte werden können.
    Dazu kommt, dass Karikierung und offene Diskriminierung in Prosa von Atheisten, Christen und Juden vor allem in Saudi Arabien eine Analyse wert wären. Dass wir da alle Augen zudrücken, hat eben auch mit unserem Verständnis von der Pressefreiheit zu tun.
    (Ich darf nur kurz um die Imagination der Karikaturen in der „Hürriyet“ nach dem WM-Ausscheidungsspiel Schweiz-Türkei bitten – kein Mensch hierzulande hat auch nur den Mund verzogen deswegen.)
    Was die Reaktionen vieler muslimischer und vollamtlicher Meinungsmacher angeht, so frage ich mich im Gegenzug, warum Alice Schwarzer es nie geschafft hat, auch nur eine einzige klitzekleine Bombendrohung auszustossen? Die Frau wurde über 30 Jahre lang von Untergrundblättern bis zu den Auflagestärksten karikiert – ich habe das eine Weile gesammelt. Und es hat mich öfter und stärker an die NS-Karikaturen erinnert, als dieses corpus delicti.

  5. Und jetzt auch noch Kofi.. und wer macht mir bitte eine Presseschau über die Darstellung des Christentums und des Abendlandes in der arabischen Presse?

  6. Ach Tanja, über diese Karikatur kann ich ohne Probleme schmunzeln. Und es geht mir in meiner Kritik auch gar nicht hauptsächlich darum, ob man alles karikieren darf, sondern darum, ob man das immer sollte. Mir geht’s dabei nicht in erster Linie ums Recht, sondern um Menschlichkeit. Ich muss den Glauben der Muslime ja nicht teilen, aber ich kann ihn doch respektieren. Das tut mir nicht weh und schränkt auch meine Freiheiten nicht ein.
    Jeder von uns hat doch so seine Schmerzgrenzen. Und in vielen Bereichen akzeptieren wir sie auch in stiller Übereinkunft. Wieso geht das nicht auch in diesem Fall?
    Davon abgesehen empfinde ich persönlich es als große Ungerechtigung, alle Muslime als potentielle Terroristen zu diffamieren, nur weil einige radikalislamistische Fundamentalisten das jetzt wieder als Munition für ihre Sache nutzen.

  7. Das Dumme ist: die Reaktionen von einigen Muslimen scheinen die Botschaft der Karikatur zu bestätigen.
    Ich kann mich des Eindrucks zuweilen nicht erwehren, als seien die westlichen liberalen Demokratien „nützliche Idioten“ von so manchen islamistischen Bewegungen:
    wir bieten das Dach, unter welchem sie sie ihren Glauben unbehelligt leben und ihre Lehren unbeschränkt verbreiten dürfen, aber sie verbitten sich die Kehrseite, die in der Kritk an den problematischen Auswüchsen besteht. Dass wir Parallellgesellschaften ermöglichen, die die Freiheit beanspruchen, nicht aber die Pflichten anerkennen, die sich aus dieser Freiheit ergeben.
    Dieser Doppelbödigkeit gegenüber kann es keine permissive Haltung geben – daran erweist sich die geistige, politische und juristische Wehrhaftigkeit der Demokratie – ein Begriff aus der Bundesrepublik der 80er Jahre – der jetzt einen neuen Bedeutungsgehalt gewinnt.

  8. Jede Bevölkerungsgruppe hat das Recht, dass man Witze über sie macht.
    (Wenn jetzt mal bloß nicht die Kunsthistorikerinnen mit Bomben gegen Ihr Blog drohen, Tanja.)
    Die dänischen Karikaturen waren ein zufälliger Anlass für die Hysterie, die auch meiner Meinung nach genau die Klischees bestätigt, aus der die Karikaturen ihre Komik beziehen. Meine Mutter nennt das „sich in etwas reinsteigern“.
    Hat jemand mal Salman Rushdies Satanic Verses gelesen? Ich musste damals ziemlich lang recherchieren, bis ich die Argumentationslinie für den Mordbefehl an ihm halbwegs verstand.

  9. Meiner Meinung nach gilt immer noch: Satire darf alles. Jeglicher Zeitung in arabischen Ländern und anderswo steht es frei, Karikaturen über christliche Heilige, buddhistische Mänche oder schamanische Riten zu publizieren. Dabei gehe ich mit Christoph und Iris einig, dass man vielleicht nicht immer alles tun sollte, was man darf – aber der Verzicht muss freiwillig erfolgen.
    Eine gute Karikatur kann auch bei den Betroffenen Wirkung zeigen, sie im besten Fall über sich selber lassen lachen. Habe kürzlich einen Artikel über Christoph Blocher gesehen (den ich sonst überhaupt nicht schätze), wo er vor einer Karikatur abgebildet war, die offensichtlich in seinem Büro hängt und auf der er keineswegs schmeichelhaft abgebildet wird, im Gegenteil… aber auch er konnte offenbar darüber lachen.
    Ein Plädyoer für mehr Distanz zu sich selbst und für mehr Selbstironie… (und leider ist es so, dass diese Eigenschaften bei Fundamentalreligiösen – egal welcher Religion – sehr selten zu finden sind. Das spricht aber nicht gegen die Ironie, im Gegenteil).

  10. Das wirklich erschreckende ist diese Gewaltbereitschaft. Als der Simplicissimus seine Karikaturen auf Staat und Kirche loslies, protestierten hierzulande zwar auch ein paar Kirchendiener gegen dessen Karikaturen; allerdings recht wirkungslos und vor allem gewaltfrei.
    Schlimm finde ich, dass man nun im öffentlich-rechtlichen einen neuen „Kulturkampf“ ausgelobt hat. Ich hatte gehofft, seit dem Ersten Weltkrieg würde man mit solchen Vokabeln vorsichtiger umgehen.

  11. @kaspar: Ja, Kofi war ziemlich merkwürdig. Er hat wohl ohnedies genug am Hals.
    @Iris: Es fällt mir schwer, die Diffamierung aller Muslime zu Bombenlegern in diesen Karikaturen zu erkennen. Das mag an meiner mangelhaften religiösen Bildung liegen. Abgesehen davon verstehe ich deine Position, es bleibt meine Gegenposition.
    @Stolle: Die Wehrhaftigkeit der Demokratie gefällt mir ungemein und passt zu meiner momentanen Lektüre.
    @kaltmamsell: Ich hätte die schlimme Stelle bei Rushdie ohne Hinweise und Sekundärliteratur nie gefunden. Auch das kann man mit mangelhafter Bildung in Sachen Weltreligionen erklären.
    @Wühler: Ja, neben Blocher haben noch andere Politiker unvorteilhafte Karikaturen von sich selber im Büro. Und ich kenne sogar einen Sportverein, der die Spott-Zeichnungen und Artikel zur WM-Ausscheidung CH-Türkei aus der Hürriyet an die Wand hängt.
    @Hokey, danke für den Hinweis auf den „Simplicissimus“, an den habe ich schon lange nicht mehr gedacht.

  12. Das gibt ja eine richtige Diskussion hier! nja ist offenbar sehr gut vernetzt.
    Je mehr Hintergründe ich erfahre, desto mehr Zweifel kommen mir, ob man das Verhalten der Redaktionen, die die Zeichnungen veröffentlicht haben, mit der Pressefreiheit verteidigen kann. Wenn man sich einmal vor Augen hält, dass fast alle Konflikte ihre Ursache in Religionsfragen haben, wird doch klar, dass die Veröffentlichung solcher Karikaturen völlig unverantwortlich war, zudem es allen klar war, dass es sich um eine gezielte Provokation handelte. Der Tabubruch war das Ziel, nicht die Vermittlung irgendwelcher Inhalte, die zum Nachdenken anregen. Eine entstellende Karikatur eines Politikers ist doch etwas ganz anderes. Dass die Reaktion der Muslime völlig überzogen ist, spielt bei der Beurteilung gar keine Rolle, diese ist ja erst nachträglich erfolgt. (NB: Ich bin selbst Atheist.)

  13. @Christoph: Da ist immer die Frage, welche Hintergründe dich beeinflussen?
    Diese Variante:

    Vier Monate lang hat es diese Zeitung nicht geschafft, die muslimische Gemeinde in Dänemark zu provozieren: immer wieder hat sie die geschmacklosen Karikaturen verschickt, um am Ende ein paar Eiferer gefunden zu haben, die sich in der gewünschten Weise aufregten. Die Provokation verharmlost nicht die Reaktionen mancher Imame (…) Aber wenn man lange genug mit einem roten Tuch wedelt, wird es schon gelingen, noch den trägsten Stier in Bewegung zu versetzen.

    Navid Kermani in die Süddeutsche Zeitung Nr. 32
    Oder diese:

    Eine Woche lang regte sich kein Protest. Erst auf Nachfrage von Journalisten begannen fundamentalistische Imame in Kopenhagen und Aarhus zu erklären, die Karikaturen beleidigten „alle Muslime weltweit“. Der geistige Führer des einflussreichsten Moscheevereins, Imam Ahmed Abu Laban, nutzte die Chance, sich zum nationalen Sprecher aufzuwerfen. Im Oktober organisierte er eine Demonstration im Herzen Kopenhagens gegen die vermeintliche dänische „Islamophobie“. Kurz darauf führte er eine Delegation dänischer Muslime auf eine Rundreise durch mehrere islamische Länder, um sich über Dänemark zu beschweren.

    Jörg Lau in DIE ZEIT, Nr. 6

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