Anitautoritäre Erziehung 2

2005 habe ich mir offenbar vorgenommen, das Thema ad acta zu legen. Aber heute ist mir – sicher nicht zum ersten Mal seither – wieder eine haarsträubende Geschichte über ein vermeintlich antiautoritär erzogenes Kind aufgetischt worden. Zudem habe ich im Rahmen der „Kuschelpädagogik“ auch schon öfter Aufzählungen von Neills Irrtümern gehört.
Da ich im Moment häufig mit meinem erwachsenen, aber zumindest finanziell noch abhängigen Kind Meinungsverschiedenheiten pflege, rufe ich mir meine Prinzipien täglich in Erinnerung. Ich bin gezwungen, sie ständig auf ihre Brauchbarkeit zu überprüfen und mir erzieherische Fehlleistungen einzugestehen. Aber mit dem Versagen von Neill kann ich trotzdem nicht dienen. Das, was ich vor neun Jahren aufschrieb und umzusetzen versuchte, funktioniert nach wir vor. Mehr noch: Es verschafft uns in den schwierigsten Situationen Respekt voreinander. Aber wir sind trotzdem laut, Heuchelei ist keine Option. Und ja: Ich weiss nicht, ob’s gut kommt.
Wenn ich wieder so bescheuerte Geschichten von Kindern höre, die andere terrorisieren dürfen, weil ihre antiautoritäre Erziehung das erlaube, fällt mir diese Antwort von Neill ein:
Was soll ich tun, wenn mein neunjähriger Sohn Nägel in die Möbel schlägt?

Nehmen Sie ihm den Hammer weg und sagen Sie ihm, die Möbel gehörten Ihnen und es ginge nicht, dass er Sachen beschädige, die ihm nicht gehören.
(…)
Kein freies, glückliches Kind hat das Verlangen, Nägel in Möbelstücke zu schlagen, es sei denn, die Möbel sind das einzige im Haus, das sich zum Nägeleinschlagen eignet.
Als nächstes sollten Sie dem Jungen Holz und Nägel geben, damit er, möglichst ausserhalb des Wohnzimmers, nach Belieben hämmern kann. Wenn Söhnchen mit dem Holz nicht zufrieden ist und noch immer Nägel in die Möbel schlagen will, dann ist das ein Zeichen dafür, dass er Sie hasst und strafen will.

Klingt so ein Pädagoge, der die Kinder zu Untaten ermutigt? Abgesehen davon ist der Begriff „antiautoritäre Erziehung“ hauptsächlich eine gute Marketingidee des Rowohlt Verlages und nichts, was Neill je forcieren wollte. Die Bezeichnung ist in anderen Sprachräumen weniger oder gar nicht bekannt, weil sie in anderen Übersetzungen nicht verwendet worden ist.
Selbstverständlich ist Neill teilweise von neuen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen überholt. Gottseidank! Der Mann hatte Jahrgang 1883! Er hat die Gesamtschule des eigenen Vaters im schottischen Kingsmuir besucht und ist danach selber Lehrer geworden (hat aber auch einen Master of Arts gemacht und war deswegen endlos belesen). Seine Schule „Summerhill“ hat er 1921 ins Leben gerufen und über 50 Jahre zusammen mit seiner ersten Frau Lilian Neustätter (+1944) und seiner zweiten Frau Ena Wood geführt. Bei der Gründung der ersten Kinderläden war Neill nicht nur weit weg sondern auch ein Greis. Er starb 1973.

2 Gedanken zu „Anitautoritäre Erziehung 2“

  1. Vielen herzlichen Dank für das schliessen einer meiner Wissenslücken!! Beide Beiträge sind sehr interessant für mich! Der Mann verliess den Planeten bevor ich ihn betreten habe.
    Ich habe mich nie gefragt woher der Begriff antiautoritär stammt – ich habe Ende 70er überzeugend mitgeteilt bekommen dass antiautoritär schlecht ist, also das was viele Nachbarn machen deren Kinder dank Trotz alles dürfen.
    Seit ich mich selbst erzieherisch bemühe, hab ich mich geeinigt meinen Erziehungsstil mit den Adjektiven kollegial, demokratisch, konsequent zu umschreiben, aber nie die Wörter autoritär – antiautoritär zu benutzen, die ja per se schlecht sind….

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