Eine Art Herbst

Als das Kind heute morgen in die Schule kam, war kein Licht an, nur Kerzen. Bei einem dieser unsäglichen Wochenendunfälle war eine Schulkollegin ein paar Klassen höher gestorben. Eine andere Schulkollegin überlebte schwer verletzt.
Noch hängen ihre lachenden Bilder als Willkommensgruss fürs neue Schuljahr an der Schulzimmertür und niemand glaubt dem Ende seine Gültigkeit. „Ich merke nur, dass die Lehrer genervt und ungeduldig sind und wünschte, es wäre noch einmal die vorherige Woche.“
Doch ausser ein paar Kilo Äpfeln vermochten wir nichts zu retten. Die Kantine wollte sie kompostieren als der Mann vorbeikam und sie mitnahm, um sie zu rüsten und einzukochen. Abends gesellen sich zu jeder schlimmen Nachricht andere aus dieser Welt der Erwachsenen, die zu entern so manchen Schutzengel bräuchte.
Murmelnd erinnern wir uns an uns, die Fehler und Freiheiten unserer Jugend, die gescheiterten Pläne, die zurückgelassenen Vorstellungen, die Einsamkeiten; gutes Leben! Das Kind hört immer wieder den gleichen HipHop-Track während in der Pfanne die Apfelstücke zerfallen.

9 Gedanken zu „Eine Art Herbst“

  1. „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“ so dichtete schon Paul Gerhard – eine der großen und schweren Lektionen des Lebens und Ansporn im Hier und Heute zu leben, sich nicht zu lange mit dem Vergangenen zu befassen und nicht zu viel nach vorne zu planen und zu hoffen.
    Diese Wochenendunfälle sind immer wieder furchtbar jeder einzelne – Freunde haben dieses Jahr ihren gerade 18jährigen Sohn in genau so einem Unfall verloren, welch ein Schmerz!

  2. JCF, ja, ich habe bei dir gelesen. Und mit Freude auch, dass es dem Freund ein wenig besser geht. Bangen und hoffen.
    Liisa, ich bin nicht so begabt für das Hier und Heute ich bin vom Charakter her eine Evaluatorin und Planerin. Umso wichtiger, das andere zu lernen!
    Ima, du hast Recht. Am Tisch zusammenkommen ist das einzige, was zu tun bleibt.

  3. Tanja, ich bin vom Typ her auch nicht so der Hier-und-Heute-Typ und auch noch dabei das besser zu lernen, daher weiß ich, wie schwer das ist – aber durch ähnliche Erfahrungen wie die, die Du hier beschrieben hast, habe ich auch begriffen, daß wir um diese Lektion nicht herumkommen bzw. daß wir uns selbst schaden, wenn wir uns dieser Lektion verweigern. Wir sind also gemeinsam Lernende!

  4. lizamazo: Vielen lieben Dank.
    Liisa: Ja. Eigentlich wollte ich etwas über den 2. Jahrestag von Beslan schreiben, doch ich habe aus Gegenwarts-Gründen davon abgesehen – denn auch „9/11 und die Folge“ ist überall präsent und trägt eher zur Depression denn zum Hoffnungsschimmer bei. Diese schlimme Nachricht aus der Gegenwart hat dann einerseits alles überschattet und andererseits in dem von dir genannten Sinne zurechtgerückt.

  5. Was das sich bald wieder jährende 9/11 angeht, bin ich selber völlig zerrissen. Eigentlich wollte ich am Jahrestag einen Text posten, den ich damals kurz nach den Ereignissen geschrieben haben aber ich bin wieder unsicher geworden. Ich werde an dem Tag sicher an all diejenigen denken, die im WTC ihr Leben verloren haben und auch an diejenigen, die davongekommen sind aber bis heute mit den unmittelbaren Folgen kämpfen müssen. Gleichzeitig aber empfinde ich es irgendwie als „unfair“ oder „ungerecht“ oder … ach ich weiß nicht, wie ich es richtig nennen soll, daß seitdem Tausende – ebenfalls als Folge von 9/11 umgekommen sind, denen im sog. Westen kaum einer gedenkt. Jeden, wirklich jeden Tag hören wir von fürchterlichen Attentaten z.B. im Irak, Hunderte und Hunderte von unschuldigen Menschen kommen dort um, wer regt sich darüber auf? Manche argumentieren, wenn die Iraker sich gegenseitig umbringen, selber schuld – aber ist es wirklich so einfach? Ich weiß es nicht, mir tut es um jedes verlorene und zerstörte Leben leid. Egal ob nun in Amerika, in Madrid, in London, Beslan, Moskau, Bagdad, Kabul, Dafur, Tschetchenien … wo auch immer.

  6. Ja, genau das meinte ich mit 9/11 „und die Folge“. Ich bin auch wütend, weil viele Länder den Irakfeldzug nicht unterstützten und nun doch mit den desaströsen Folgen der Radikalisierung zu kämpfen haben. Wie haben ja jetzt die Abstimmung zum Asyl- und Ausländergesetz, welches die Menschenrechte und vor allem die Kinderrechte aushöhlt. Solche Vorlagen schaffen es bei sinkenden Asylbewerber-Zahlen durchs Parlement und kommen zur Volksabstimmung, weil die Stimmung eben danach ist.
    Andererseits der Konflikt zwischen Israel und Libanon: selten hatten wir hier in der Schweiz eine einseitigere, israelfeindlichere Bericht- und Bilderstattung. Es wurde eindeutig vermittelt, der Westen bekämpfe den Islam und viele Interviewpartner/innen durften das x-mal wiederholen („zuerst Palästina, dann Irak, dann Libanon…“).
    Es ist elend, die Differenzierung wird gekillt. Aber wir können nichts, als uns zu entscheiden, für welche Art Freiheit wir gerade stehen wollen.

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