französische Zustände

In der Sonntags-, Alltags- und Wochenpresse (besp. dem heutigen SPIEGEL) habe ich gelesen, dass Arnaud Lagardère seine Journalisten entlässt, wenn deren Äusserungen nicht mit dem gefühlten Bild des neuen Präsidenten korrespondieren. Ob’s nun um einen Schnappschuss von Cécilias Lover ging oder darum, dass sie die Wahl schwänzte: Dass in Frankreich italiensiche – oder gar russische! – Zustände denkbar wären, war der hiesigen Presse einige Meldungen und sogar ein paar entsetzte Analysen wert.
Ich habe 2003 zusammen mit unserer Französischlehrerin eine damals gut recherchierte Liste erstellt, mit der wir den Schülerinnen darlegen wollten, dass weit über die Hälfte des französischen Verlagsumsatzes von Lagardère-Töchtern erwirtschaftet wird (durch EU-Eingreifen im selben Jahr hat sich das dann wieder geändert). Leider ist es uns damals nicht gelungen, auch noch alle Printmedien und TV-Sender zuverlässig zuzuordnen.
Wenn ein französischer Politiker also mit diesem Giga-Unternehmen Kollateralschäden und -nutzen teilt (Lagardère macht Flugzeuge und musste in PR-mässig schlechten Phasen auch schon mühsame Fragen zur Rüstung beantworten), hat er den Grossteil seiner ohnehin beschränkten politischen Freiheit eingebüsst.
Ich bin daher erstaunt zu lesen, diese Vorkommnisse demonstirerten Sarkozys Macht. Wie erbärmlich muss der Wirkungskreis eines Politikers sein, wenn er schon vor Amtsantritt vor einem Medienerben die Hose runterlassen muss, um ein paar Spazierfotos und eine Information aus dem öffentlich zugänglichen Wahlregister zu verhindern? Und dies offensichtlich ohne Erfolg und obwohl er im Moment zu den besten Pferden im Verlagsstall gehört. Denn die XO Editions, bei denen Sarkos Bestseller „Ensemble“ erschienen ist, sind selbstverständlich Lagardères Töchter. (Auch Max Gallo, der meine Favoritenliste der Wahlkommentare anführt, ist im Moment in XOs Werbe-Gnaden. Gallos Statement zu Sarko: „Er ist der Nation dankbar, er ist stolz, Franzose zu sein. Und vielleicht ist es letztlich wichtiger für die Zukunft unseres Landes, dass ein Immigrantenkind Präsdident geworden ist als eine Frau.“)
Viel mehr als an einen Mächtigen erinnert mich Sarko an Heines „Ein Haar in der Milch“. Das ist aus den Briefen, die Heine aus Frankreich schrieb und die unter dem Titel „Über die französische Bühne“ meines Wissens schon im 19. Jahrhundert veröffentlicht worden sind:

Frankreich ist das Land des Materialismus, er bekundet sich in allen Erscheinungen des hiesigen Lebens. Täglich steigert sich meine Angst über die Krisen, die dieser soziale Zustand Frankreichs hervorbringen kann. Wenn die Franzosen nur im Mindesten an die Zukunft dächten, könnten sie auch keinen Augenblick mit Ruhe ihres Daseins froh werden.
Und wirklich freuen sie sich dessen nie mit Ruhe. Sie sitzen nicht gemächlich am Bankette ihres Lebens, sondern sie verschlucken dort eilig die holdesten Gerichte und stürzen den süssen Trank hastig in den Schlund und können sich dem Genusse nie in Ruhe gewahr werden.

(Bemerkung für Nicht-Heine-Leser: Heine liebte Frankreich. Und Heine schrieb über Deutschland oder England auch nicht freundlicher. Nur anders.)

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