Hurra! Ich partizipiere!

Die Entwicklungshilfe ist zur Entwicklungszusammenarbeit geworden und die Entwicklungszusammenarbeit zur Kohäsion.
Kaum erstaunlich, dass das Globale nun auch auf das Lokale abfärbt. Quartierarbeit muss heute permanent beweisen, dass Quartierbewohnerinnen und Quartierbewohner partizipieren. Und je höher der Ausländeranteil an der Partizipation, desto besser die städtische Statistik der Integration. Optimal ist, wenn handwerklich versierte Freiwillige aus dem Quartier die Saalvermietungen an möglichst ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger managen. Dazu gibt es bei uns ein Formular mit einer extra Spalte für das Eintragen der Anzahl „Ausländer“ pro Saal-Aktivität. Nur kommen die Freiwilligen vermehrt ins Schwitzen, weil man ja den Inländer kaum mehr vom Ausländer unterscheiden und weissgott nicht von jedem in Gold gekleideten Knirps den Pass verlangen kann. Wir sehen dann einfach zu, dass in der Ausländer-Spalte immer eine fette Zahl steht.
Ich bin wohl niergends so erfolgreich wie in der Partizipationsstatistik. Jahrelang habe ich mehrmals pro Woche neu zugezogenen Kindern das Quartier und das Leben und die Sprache näher gebracht, also als Partizipatorin Partizipationsoptionen am laufenden Band vermittelt. Heute – wo sich eine gewisse Aggression gegenüber Nicht-Integrierten einstellt – habe ich mich hinter den PC zurückgezogen. Ich partizipiere nun, indem ich via CMS abbilde wie andere partizipieren.
Man mag mir Sarkasmus unterstellen. Aber das ist nur ein kleiner Seitenwechsel. Er lehrt mich, wie verdammt unangenehm es ist, Teil eines Entwicklungsprogramms zu sein.
Soeben hochgeladen:
Tagi-Kinder bepflanzen die neue Lärmschutzwand.
Brünnen-Baustelle: Abriss meines ehem. Kindergartens.

2 Gedanken zu „Hurra! Ich partizipiere!“

  1. Ich stelle mir gerade vor, wie eine schweizerische Integrationsgeberin eine kosovostämmige Integrationsnehmerin verzweifelt von der Einbürgerung abhält, weil ihr das die rechte Spalte kaputt machen würde…

  2. Oh ja, kaltmamsell, es gibt zahlreiche gute Gründe, die Leute von der Einbürgerung anzuhalten. Beipielsweise war ich neulich (nach jahrelanger Vorarbeit) soweit, einen in der Schweiz geborenen deutschen Freund zum Einbürgerungsantrag zu motivieren, damit er endlich demokratisch partizipiere. Und was sagen sie dem auf dem Amt? „Ooooch, warum denn einbürgern? Sparen Sie sich das Geld, ein EU-Pass ist viel praktischer.“

Schreibe einen Kommentar zu Tanja Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.