Maaam…?

Kind:
… hast du mir ‚was mitgebracht?
Mutter:
Ja.
Kind:
Was?
Mutter:
Ein Buch.
Kind:
Oh. Ein Buch.
Mutter:
Ja. Es ist neu und ich dachte es passt zu dir.
Kind:
Ahaa.
Mutter:
Komm schon, ich zeig’s dir.
Kind:
Also halt.
Mutter:
Hier. Mich haben schon die ersten Seiten gepackt, es geht darum, dass jemand versucht – man weiss nicht wer – einen Jugendlichen als labil hinzustellen. Ein sehr fieser Anfang. Aber du brauchst es ja nicht jetzt zu lesen. Ich leg’s hier hin.
Kind [eine halbe Stunde später]:
Das ist ja wirklich mega-neu. Die CD die der hier kauft, ist erst vor einem halben Jahr erschienen!
Kind [kurz vor Mitternacht]:
Fertig! Uff!
Mutter:
Und – ?
Kind:
Sehr gut.
Abgerechnet
Natürlich ist Leseförderung nicht immer so einfach. Doch ich habe fünf goldene Regeln, die ich im Laufe der Jahre bei veschiedenen Kindern angewendet und als Buchhändlerin oft weiter empfohlen habe. Viele haben mir zurückgemeldet, dass es ganz gut funktioniert:

  • Lassen Sie Kinder selber Bücher auswählen und kaufen Sie ihnen regelmässig ein nigelnagelneues Buch. Nostalgie („Das hat mir schon meine Omi vorgelesen!“) kann bei einem Kinderbilderbuch zwar schön und traditionsbildend sein, aber Kinder von heute sind in erster Linie Kinder des 21. Jahrhunderts.
  • Drängen Sie Bücher nicht auf. Lassen Sie die Bücher und Zeitungsartikel und Zahnhygienebroschüren und Cannabis-Leporellos, die die Kinder lesen „sollen“, einfach herumliegen. Auf dem Teppich, im Klo, vor dem Schuhgestell und neben allen Sofas und Betten. Räumen Sie nicht ständig auf! Lassen Sie die Kinder lesen, wenn sie mal dran sind!
  • Sprechen Sie über das Lesen und nicht über das Nicht-Lesen. Selber herauszufinden, aus welchen Zutaten Gummibärchen genau gemacht sind, ist interessanter, als ständig „wenn du nur endlich ein richtiges Buch lesen würdest“ zu hören.
  • Hängen Sie die „Rechte des Lesers“ von Daniel Pennac auf. (Die verlinkte englische Kurzversion hat der grossartige Quentin Blake illustriert und das Original wurde in etliche Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche.) Das kann im Badezimmer oder im Kleiderschrak sein, irgendwer wird früher oder später schon darauf zu sprechen kommen.
  • Werten Sie nicht. Mickyheft-Jahre sind wertvoll, Comics sind gesund. Lesen ist lesen ist lesen.
  • Abgerechnet 2

    9 Gedanken zu „Maaam…?“

    1. Ganz wunderbar diese fünf goldenen Regeln! Ich habe mir erlaubt, einige zu entführen, um auf sie hinzuweisen und Interessante dann hierher weiterzuverweisen. Die verdienen wirklich weiterbreitet zu werden! 🙂
      Kannst Du Dir vorstellen, dass ich Die zehn unantastbaren Rechte des Lesers bisher doch tatsächlich noch nicht kannte?! Da muß ich als Leser erst so alt werden, bevor ich erfahre, daß ich auch Rechte habe! ;o)

    2. Diese Rechte des Lesers kannte ich auch noch nicht – sehr schön.
      Da ich selbst völlig außerhalb Deiner fünf goldenen Regeln (die mir sehr gut gefallen) Leserin wurde, gibt es vielleicht einen weiteren Trick, zum Lesen zu verführen: Bestimmte Bücher verbieten. Das schmale Buchregal meiner Eltern enthielt einige von Pearl S. Buck (die hat mal den Nobelpreis bekommen!), die ich mir etwa mit acht angeln wollte – und nicht durfte. Vom Sammelband Francoise Sagan hieß es von selbst, der sei nur etwas für Erwachsene. Das alles hatte ich natürlich in kürzester Zeit heimlich gelesen.
      (Aber mit Tricks wollen wir ja nicht arbeiten, gell.)

    3. Liebe Liisa – vielen Dank. Ich denke immer, dass meine News sowieso keinen Newswert haben, weil sie schon von gestern sind und freue mich natürlich, wenn ich ab und zu doch richtig Neues bieten kann. Pennac ist Lehrer und Autor, er macht Erwachsenen- und Kinderbücher und hat mit Tardi auch einen Comic herausgebacht, es lohnt sich, ihn zu kennen!
      Liebe Kaltmamsell, oh ja Verbote und „Entzug“ sind sehr geeignet für die Animation! Auch bei Kunden, die sich nicht entscheiden können. Alles wegräumen! 90% sagen dann „Halt, halt! Das lassen’s mer doch lieber da..“. Du weisst sicher, dass es jetzt die „Lex Buck“ gibt? Nobelpreis kann nur noch bekommen, wer mind. das dritte Jahr in Folge in der engsten Auswahl ist. Eine weise Entscheidung. Übrigens gibt es immer „Fälle“ wie dich, die nichts am Lesen hindern kann. Das sind natürlich die allerschönsten!

    4. Liebe Tanja, ich habe die Rechte des Lesers auch noch nicht gekannt. Schön! Mit mittlerweile zwei kindlichen Leseratten im Haus habe ich noch eine goldene Regel – die irgendwo zwischen Regel und Trick anzusiedeln wäre – anzufügen:
      „Lesen Sie das erste Kapitel vor. Hören Sie an einer spannenden Stelle auf. Lassen Sie das Buch in Griffweite des Kindes liegen.“
      Hat bei meinen Kinden bisher immer funktionniert.
      Liebe Grüsse, Katia

    5. uiiih, tolle tipps! danke dir. ob ich die mir ausdrucken und bei gelegenheit
      an meine schülereltern weitergeben darf? die sind nämlich oft ratlos in dieser hinsicht!
      gruß von Sonia-Lu

    6. Sehr weise und darum wirklich goldene Regeln! Schade, daß ich sie nicht früher kannte. Ich habe ständig gegen sie verstoßen. Der Erfolg, zum Lesen zu drängen, darum sehr mäßig – wie im Nachhinein verständlich. In meinem eigenen Ressort – Musikinstrumente spielen – habe ich dieselben Regeln merkwürdigerweise wie schlafwandlerisch anwenden können und darum viel mehr erreicht. Vielleicht sollte man Müttern, die nicht möchten, dass ihre Kinder um und um Computer spielen den Tipp geben: Zum PC-spielen drängen: „Wir gehen jetzt ins Museum und danach ins Café. Du bleibst da und kannst ja Computerspielen, wenn du dich langweilst!“ ?

    7. Liebe Lisa Rosa, das ist eine sehr spannende Beobachtung! Mir geht es mit dem Musizieren genau so wie dir mit der Leseförderung, ich bin viel zu verbissen!
      Das mit den Computergames habe ich nicht geschafft. Auch nicht den TV-Konsum. Aber es war den Versuch wert. Was passiert, wenn man ein Kind von 5, 7, 8, 12 Jahren einfach lässt? Es hat nicht geklappt, es ist alles ausgeufert, Geschrei, Tränen. Games mussten reglementiert werden und der TV musste weg.
      Herr Neill konnte seine antiautoritären Ideen nur vor dem Medienzeitalter erfinden 😉

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