Tischgespräch [17]

Kind:
Also Buchhändler und Informatiker will ich sicher nicht werden.
Mutter:
Warum nicht Buchhändler?
Kind:
Einfach, weil es viel zu anstrengend ist.
Mutter:
Aha. Ich hatte bis jetzt nicht den Eindruck, dass dir Buchhandelskompetenzen besonders schwer fielen: Lesen, einkaufen, verkaufen, planen, recherchieren.
Kind:
Ich möchte es trotzdem nicht, diese Dinge macht man ja sowieso schon im Leben, sie sind nichts Besonderes.
Mutter:
Und warum nicht Informatiker?
Kind:
Das habe ich vergessen.
Mutter:
Tja, dann wird es wohl nicht so definitiv sein.
Kind:
Doch, die Entscheidung ist definitiv, dass ich den Grund nicht weiss, ist einerlei.
[Das Gespräch geht Tage später weiter.]
Mutter:
Wenn man Berufe gut kennt, wie zum Beispiel die der Eltern, idealisiert man sie weniger. Ich wollte auch nie werden, was meine Eltern waren. Du kennst halt auch die Kehrseiten. Was willst du denn dann werden?
Kind:
Das weiss ich noch nicht. Vielleicht Hausarzt. Oder Lehrer. Aber nicht Klassenlehrer. Das auf keinen Fall. Meine Klassenlehrerin hat eine mega-anstrengende Arbeit. Sie ist für alles voll verantwortlich.
Mutter:
Aber was ist schlecht daran, verantwortlich zu sein?
Kind [wendet sich ab, liest einen Comic]
Mutter:
Jeder ist sowieso verantwortlich und zwar nicht nur für sich allein. Verantwortung ist wie das Wetter, sie ist einfach da. Manche sind besser gewappnet, andere ertragen sie weniger, manche besetzen die trockenen Plätzchen länger, andere stehen früher unter freiem Himmel und müssen die Verantwortung auf sich niederprasseln lassen ohne krank zu werden. Aber Verantwortung hängt nicht hauptsächlich mit einem Job als Klassenlehrerin oder Lastwagenfahrer zusammen, sondern mit einem Job als Mensch.
Kind:
Reg dich nicht auf… [murmelt es und bleibt abgewendet in der Hoffnung, die Predigt sei zu Ende]
Mutter:
Heerscharen von Kindern gab man Meerschweine, damit sie Verantwortung lernten, aber es sieht schitter aus an der Verantwortlichkeits-Front.
Kind [hat nachgedacht]:
Aber als Lastwagenfahrer habe ich nicht gleich viel Verantwortung wie als Klassenlehrer.
Mutter:
Ach Kind, ein verantwortungsloser Lastwagenfahrer kann jeden Klassenlehrer samt Klasse platt machen.
Kind:
Dann gibt es echt keinen Beruf mit wenig Verantwortung!?
Mutter:
Das musst du die Leute im Berufsinfozentrum fragen. Die haben sicher einen Verantwortungsfilter, so wie sie einen Abklärungsfilter für Arbeit drinnen / draussen und Arbeit mit viel Kommunikation / mit wenig Kommunikation haben, um dir passende Berufe vorzuschlagen. Ich persönlich glaube nicht, dass Verantwortung vom Beruf abhängt. Ich kenne junge Migros-Kassiererinnen, die haben daheim viel mehr Verantwortung als alte Bankiers auf der Arbeit.
Kind:
Ich kenne Kassiererinnen aber keine Bankiers.

8 Gedanken zu „Tischgespräch [17]“

  1. Danke, Rinaa. Ich weiss nicht, wann der erste Zahn war, ich kann nichtmal sagen, was das erste Wort war, meine Fotos sind seit 10 Jahren ungeordnet. Aber immerhin im Protokollieren bin ich gut.

  2. Das ist meine fest Überzeugung. Es lohnt sich, in Worte zu investieren, sie festzuhalten, sie auf die Goldwaage zu legen und dort auch leichten Herzens wieder wegzunehmen, wenn sie gar nicht so gewichtig sind.

  3. Aber Verantwortung ist ja genau das, was auch viele junge Erwachsene davor zurückschrecken läßt, wirklich erwachsen zu werden, oder sie veranlaßt, Verantwortung schlicht zu ignorieren. Bei Kids finde ich das (noch) legitim und vor allem verständlich. Und selbst in meinem reifen Alter gibt es durchaus Bereiche, in denen ich mich um Verantwortung / Eigenverantwortung ganz gern herumdrücke. (Und in einem gewissen Maße würde ich mich deswegen als lebensuntüchtig bzw. lebensfremd einschätzen…. ) LG rollblau

  4. Ach, lizamazo, ihn habe ich noch nicht gelsen, aber das klingt nach einer Zeit, als wir noch Verantwortung übernehmen wollten; gegen AKWs, gegen Aufrüstung. Meine Luft bei diesen Themen ist beinahe raus…
    Rollblau, es ist bestimmt ziemlich normal, dass wir kein ausgewogenes Verhältnis zur Verantwortung haben, denn sonst wären wir ja alle perfekt. Bedenklich finde ich eher, dass die kommende Generation eher schmale Schultern zu haben schient, wohl weil wir – oder bereits unsere Eltern – Verantwortung als ziemlich abschreckend dargestellt haben. Ein Fehler, der wohl nicht ganz einfach zu korrigieren ist.

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