Tischgespräch [25]

[Vater macht Piercing-Faxen mit japanischen Tischstäbchen.]
Kind:
Hör auf, das sieht grausig aus.
Vater:
Aber das haben manche Neger in Afrika auch quer durch die Nase.
Kind:
Sag nicht Neger, das ist rassistisch.
Vater:
[seufzt ertappt.]
Kind:
Sag „Farbige“ …  Allerdings erinnert mich das mehr an rosa oder orange.
Mutter:
Mich auch. An Kinderüberraschung.
Vater:
„Farbig“ ist schon seit zehn Jahren nicht mehr korrekt.
Mutter:
Ich meide die Bezeichnung der Hautfarbe einfach. […] Vielleicht ist das ja der Sinn der Korrektness. Nur gibt es Situationen, in denen die Rasse für eine nähere Beschreibung nötig ist und das war wohl hier mit dem blöden Bild vom Stab durch die Nase so ein Fall. Und in den USA ist „race“ auch bei allen Gruppen gebräuchlich.
[… Alle schweigen ratlos.]
Kind:
Muss ich wirklich die Teile der Geschlechtsteile noch einmal alle aufschreiben?
Mutter:
Wenn es im NMM-Test kommt, würde sich das wohl empfehlen.
Vater:
Also wir hatten das nie in der Schule. Das war alles viel zu peinlich.
Mutter:
Wir schon, aber weniger konkret. Die Befruchtung setzte erst nach dem Geschlechtsakt ein und war austauschbar mit der bei Tieren und Pflanzen.
Vater:
Kein Wunder, in der Steinerschule gibt es sowieso nur diese undefinierbaren Leiber: Erdenleib, Sternenleib…
Mutter:
Sternenleib? Kann ich mich nicht erinnern.
Vater:
Halt Astralleib!
Mutter:
Stimmt, das kommt mir irgendwie bekannt vor.
Kind:
Was ist mit diesem Leib gemeint, was soll das heissen?
Vater:
Das ist anthroposophisch. Und Anthroposophie besteht aus unverständlichen Ausdrücken, die Rudolf Steiner erfunden hat.
Kind:
Also in meiner Klasse war ein Mädchen in der Steiner-Schule schnuppern und sie hat nichts davon gesagt. Es hat ihr gefallen.
Mutter:
Mir hat es auch gefallen. Das Unverständliche war zweitranging. Und weil ich viel gelesen habe, hat es mir nie an Aufklärung gefehlt. Aber vielleicht hat sich der Lehrplan in der Zwischenzeit auch etwas geändert. Der Lehrer, mit dem ich Biologie hatte, lebt auf jeden Fall nicht mehr.
Kind:
Es ist gut, bleibt das Mädchen noch bis zum Sommer bei uns. Bis dann haben wir die Grundlagen sicher durch.

6 Gedanken zu „Tischgespräch [25]“

  1. Diese Frage wird nur noch eine Generation wiederkehren, danach werden wir zum Glück so viele verschiedene Menschen in unserer Mitte haben, dass die Hautfarbe definitv den Nullrelevanz-Status erreicht. Wunderbar, ich freue mich.
    Ja, genau, diese BBC-Videos schauen sie in der Schule! Die Schwangere sei „um die 40“ gewesen und sehr zurückhaltend, meinte das beeindruckte Kind.

  2. Die Frage hatte wir ja schon, aber „Neger“ ist will wahrscheinlich keiner genannt werden. Wie wärs mit Afroblack 😉
    Die Aufklärung zu meiner Zeit in der Volksschule war für die Füchse, aber die BBC Videos „Wunderwerk Mensch“ beeindrucken mich noch heute.

  3. Im Grunde genommen sind „Schwarze“ und weiss ich was für politisch korrekten ausdrücke lediglich Euphemismen – damit man sich politisch korrekt ausdrücken kann. Ich sehe den Sinn davon nicht, andere über eine bestimmte Eigenschaft definieren zu wollen (wie etwa: Sie ist die Frau von Celebrity XY – wer will schon über eine solche Eigenschaft definiert werden?)
    Ich habe aber vor allem etwas dagegen, wenn man von „Rasse“ spricht, das ist etwas, das nachweislich nicht wirklich existent ist. Mir ist es vor allem lieber, wenn man sagt, sie/er sei aus Nairobi oder habe eine dunkle Haut. Damit setzen wir uns ihnen gleich, da umgekehrt auch von hellhäutigen gesprochen wird und umgekehrt auch gesagt wird, woher wir kommen, z. B. aus der Schweiz.

  4. Ertappt kblog. Ich habe mir mal vorgenommen, die Tischgespräche zwar zu kürzen oder Dinge zu überspringen,die zu persönlich sind. Aber den Wortlaut wollte ich nicht ändern. Und ich habe das Wort „Rasse“ gebraucht und deshalb hier auch zitiert, obwohl ich es im Nachhinein ziemlich blöd eingesetzt fand.

  5. meine urgrossmutter sagte auch immer näger, nur heut zu tage ist es sowieso schwierig: wir haben das Zigeunerschnitzel (sollte man dem jetzt ethnische minderheiten plätzli oder fahrende platzli sagen?) dann gibt es den „morenkopf“ und den negerkuss etc. ich glaube es dauert noch ein weilchen bis sich diese begriffe aus unserem sprachgebrauch geschlichen haben, und man trotzdem nicht beutzen darf.

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