Tischgespräch [9]

Kind:
Was beichtet man eigentlich?
Mutter:
Hab’ ich auch schon gefragt, aber niemand wollte es mir sagen.
Vater:
Lügen, Diebstahl, sündige Gedanken.
Kind:
Und die Strafe? Muss man im Garten arbeiten oder die Kirche putzen?
Vater:
Nein, soviel ich weiss muss man beten. Bei grossen Sünden mehr, bei kleinen weniger.
Kind:
Wenn ich jemanden umgebracht habe, muss ich einfach beten?
Mutter:
Vielleicht wird dir zusätzlich empfohlen, dich der Polizei zu stellen.
Kind: —
Kind:
Meine sündigen Gedanken gehen Gott nichts an.
Vater:
Die Katholiken gehen davon aus, dass er sie ohnehin kennt.
Mutter:
Die Protestanten auch. (Singt: „Pass auf kleines Auge, was du siehst…“)
Kind:
Ach, dann hat er so einen Filter, wie die Amerikaner ihn machen, um die Al Qaida zu fangen? Nur stehen in Gottes Filter „Sex“ und solche Sachen?
Vater:
Kann schon sein, dass er eine Art Key-Word-Analyzer benutzt, um die sündigen Gedanken im Überblick zu haben. Aber einfach wird das nicht, Gedanken bestehen ja nicht nur aus Worten, sondern auch als Bildern, Gerüchen und Gefühlen.
Kind:
Aber wenn Gott sie schon kennt, warum soll ich sie dann noch beichten?
Vater:
Als Prüfung.
Kind:
Das ist aber schwierig, sie zu bemerken und zu behalten.
Vater:
Ja, es braucht Übung, sündige Gedanken zeitnah zu registrieren.
Mutter:
Oder religiöse Erziehung.
Vater:
Abschaffen. Du hast ja sicher Zeitung gelesen?
[Zeitungsartikel aufgrund Veranstaltung zur Studie]

12 Gedanken zu „Tischgespräch [9]“

  1. Ist dieser Text erfunden, oder hat sich das tatsächlich so zugetragen? Ich meine, dieser Text hat einen philosophischen Charakter, und die Ironie dahinter, dass ein Kind solche kritische Fragen stellt – stellen darf und soll – ist so subtil, dass ich mir es nur schwer vorstellen kann, dass es sich wirklich so abgespielt hat.
    Wie auch immer: Danke für den Beitrag!

  2. Die Aussage des Bund-Artikels erschreckt selbst mich als Nicht-Religiöse – macht mich aber auch misstrauisch. Wissen Sie eine Möglichkeit, an die Datengrundlage und Methodik für diese Interpretation ranzukommen? Oder warte ich einfach auf den nächsten Newsletter von nfp40+?

  3. @kblog: Ist O-Ton. Ich habe mal eine kleine Erklärung dazu gegeben. Wir sind schon eine Rede- und Lesefamilie, doch hier landet ja nur das „Gute“.
    @Herr Rau: Wir danken (auch im Plural 🙂
    @kaltmamsell: Ich behalte die Studie im Blick, vielleicht wird es sie nicht online geben. Ich glaube, sie kommt offiziell erst Ende Monat heraus. Ich informiere Sie dann sehr gerne. Was das Datenmaterial und die Empirie angeht, so haben die Nationalfondsprojekte einen guten Ruf, soviel ich weiss auch im Ausland.

  4. Eigentlich ist das von der Zeitung vermeldete eine ziemlich triviale Erkenntnis – Religion(szugehörigkeit) dient u.a. der Abgrenzung, da ist Intoleranz nie fern.
    Dass man sich sündige Gedanken ganz genau merken muss, ist hingegen sinnvoll. Wer weiss, ob man nicht einmal Verwendung dafür hat.

  5. Hm, melville, da müsst ich mich erkundigen. Allerdings laufen jede Menge Kids auf dem Planeten rum, denen keiner zuhört. Und viele wären ziemlich originell. Aber ich nehme an, europäische Strassenmsichungen wissen davon 🙂

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