Was das Herz begehrt

Sitzungsmarathon in der wahren Hauptstadt. Erstes Meeting schon im Zug, dann durchgehend und speditiv bei Äpfeln, Kaffee und Sandwichs bis in den späten Nachmittag, damit die Tagesordnung nicht zu einer Zweitagesunordnung wird. Nächste Sitzung zu anderem Zweck um 19.30 Uhr am Zentralbahnhof der Nation. Liegt ja an meinem Heimweg.
Eineinahalb Stunden gestohlene Zeit und niemand weiss, dass ich verfügbar wäre.
Es regnet.
Ich suche Schutz in der Buchhandlung. Kaufe endlich mein Buch. Möchte noch des Kindes Wunsch nach seinem Buch erfüllen, aber das fehlt. Renne in die nächste Buchhandlung. Der nette junge Mann hier verkauft mir den Kinderwunsch.
Mein Kopfweh verschwindet mit den Tabletten aus der Apotheke neben der gleichnamigen Bar. Ich quetsche mich auf den letzten freien Hocker. Zu meiner Linken eine alte Dame mit Zigarillo und Nerzstola zu meiner Rechten ein Herr, den ich kennen sollte. (Progammchef DRS? Journalist aus dem Dufourhaus? Pascal Mercier? Adolf Muschg? Eher Mercier.) Er unterhält sich angeregt mit einer Zufallsbekanntschaft über das Interieur und die wilden Siebziger in diesem Etablissement. Die Zufallsbekanntschaft ist ein Herr mit dicker Brille und Zigarre aus Mecklenburg-Vorpommern und war in selbigen Siebzigern in die Bankenstadt abdelegiert worden. Der erste Trabi in Züri, ho, ho.
Ich lese.
Sonst passiert nichts. Die Nerzstola-Dame fragt mich ab und zu leise lächelnd, ob ich ein Bücherwurm sei. Und ob es immer noch regne draussen. Als ich bezahlt habe, begleitet sie mich wie eine Gastgeberin zur Tür.

5 Gedanken zu „Was das Herz begehrt“

  1. Gestohlene Zeit und niemand weiss, dass man verfügbar ist: Das ist was vom Allerschönsten!
    Ich hab mich bei meiner letzten gestohlenen Zeit in der selben Stadt ins nexte Tram gesetzt, mich eine lange Schleife durch die weihnächtliche Stadt kurven lassen und aus dem Fenster geguckt. Nachher war ich mit der Welt wieder versöhnt.

  2. Oh! Dann hast du sicher auch die blauen Schneeflocken gesehen, die im übergrossen Schaufenster der CS vor sich hinfielen? Sehr effektvoll. Eine Lagune am Paradeplatz. Allemal besser als ihr neues Hygienebinden-Logo.

  3. Eine leicht verwirrte Nerzstola-Dame als Gastgeberin – wie hinreissend.
    Fürs 2007 wünsche ich dir ganz viel glücklich gestohlene Zeit für dich alleine und Begegnungen die nicht nerven, dafür zu so reizenden kleinen/kurzen Nebenhererlebnissen führen.
    Herzlichst Rinaa

  4. Nein, das CS-Schaufenster hab ich leider nicht gesehen. Dafür andernorts ihr neues Logo, welches ja wenigstens farblich mit den blauen Schneeflocken im Weihnachtsfenster korrespondiert. Oder umgekehrt.

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