Was mache ich hier?

Heute Abend bei meiner Internetlektüre fragte ich mich mehrmals, was ich im Netz verloren habe. Das passiert in letzter Zeit öfter. Mir ist zwar bewusst, dass mein Blog ein Notizbuch ist, das kein Zielpublikum aber seit einer Ewigkeit die ziemlich gleiche Leserschaft hat. Meistens schaffe ich es auch, meine selbstauferlegte Regel einzuhalten, dass meine Internetzeit die Gesprächszeit nicht einschränkt. Ich bin mit mir selber einig, dass Xing für Business in Ordnung und Facebook für mich privat obsolet ist.
Doch manchmal bin ich auch verwirrt. Ich versuchte nämlich schon immer, die digitale Welt meiner analogen anzupassen und nicht umgekehrt, Early Adopterin war ich nur, wenn berufliche Umstände es erforderten. Ich fand es alles andere als erstrebenswert, die erste Frau mit Handy zu sein, die ich persönlich kannte und auf meine Compuserveadresse aus Nummern hätte ich gut verzichtet. Aber ich kommunizierte gern und offensichtlich so, dass mir ab und zu jemand etwas dafür bezahlte; die digitale Verschiebung meines Lebens ist ungefragt aber einigermassen bei Sinnen geschehen, ihre Überhand habe ich stets zu meiden versucht.
Mein grosses Menschen-Einzugsgebiet braucht viel E-Kommunikation und mein Beruf erfordert noch viel mehr reale Gespräche. Eine Branche, 110 Lernende, 30 Lehrpersonen, 60 Lehrfirmen, zig Kontakte aus Politik und andere Freiwilligenarbiet und ein grosser Freundes- und Familienkreis sind schön, aber nicht immer ein Hort kommunikativer Balance.
In letzter Zeit habe ich der Netzwelt gegenüber vermehrt ein zwiespätliges Gefühl. Wenn Leute mir schreiben, dass ich doch dort, wo sie seien, auch dabei sein sollte, damit wir Kontakt pflegen könnten, würde ich am liebsten antworten, dass wir den Kontakt per Snail Mail oder gar nicht weiter führen. Aber das geht ja nicht in einem normal höflichen Arbiets- und Sozialleben. Was mich besonders abstösst und was seit Twitter wieder zunimmt, sind diese Kommunikationsautomatismusfunktionen, durch die ein einziger Input im Netz verschiedensten Orten einläuft, ohne Zweck und Ziel, bloss, damit jemand über die eigenen Kräfte hinaus präsent sein kann. (Das hat mich schon enerviert, als es eine Weile Mode war, dass Blogger auch noch gleich sämtliche ihrer Kommentare in anderen Blogs mitlaufen liessen.)
Solange ich mein Leben nicht auf den Kopf stelle, werde ich Internet brauchen. Aber wo und wie viel? Darüber lohnt es sich wieder einmal nachzudenken. Der Beitragstitel ist ein Buchtitel von einem, der stets die Begegnung im echten Leben suchte.

5 Gedanken zu „Was mache ich hier?“

  1. Sehr gute und nachdenkenswerte Gedanken, Danke! – Gerade potenziell hyperaktive Onlinepädagogen müssen sich regelmäßig die Frage der Sinnhaftigkeit ihres Engagements gefallen lassen. Ich selbst kann es z.Zt. sehr gut vertreten; mein Blog dient dabei wie bei Dir als Notizblock, Twitter als sehr wirksames Werkzeug um mit Menschen in Kontakt zu kommen, die ähnliche Interessen haben und bei Bedarf Impulse zum Weiterdenken geben können. Sicher sind diese Kontakte überhaupt nicht vergleichbar mit Real-Life-Kontakten, dennoch möchte ich sie nicht missen. Und natürlich geben Alltag, berufliche und vor allem auch familiäre Erfordernisse den zeitlichen Rahmen vor, in dem dies alles möglich ist; so gibt es durchaus Tage, an denen mir schon das Feedlesen zuviel ist (aber dafür gibt es ja den magischen „mark all as read“-Button)… – „wo und wieviel“ ist eine Frage, die bei mir jeden Tag neu und flexibel entschieden wird…

  2. „Ich versuchte nämlich schon immer, die digitale Welt meiner analogen anzupassen und nicht umgekehrt:“ Vielleicht gar nicht schlecht. Ich weiß nicht, wie das bei mir ist. Meine analoge Welt ist kleiner als deine, ich neige ein bisschen zum Einsiedel, lesend. Fürs Einsiedeln will aber auch Zeit aufgewendet werden!

  3. Ich empfinde es als sehr angenehm, immer mal wieder von den Online-Bekanntschaften zu hören, die man über die Jahre hinweg so kennengelernt hat. Reallebenbekannte wundern sich zuweilen, wenn ich zugebe, dass mir so manche Netzbekanntschaft vertrauter und, ja, auch wichtiger ist als so mancher reale Kollege (um nur die schulbezogenen zu nennen). Und es ist fein, hier von dir zu lesen, und Thomas Rau kommentiert hier wie in meinem Blog …
    Gleichwohl verstumme ich auch immer wieder, zuweilen für Wochen, weil das reale Leben mehr Energie braucht.

  4. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die das Online-Kommunizieren gegen das „Analog“-Kommunizieren abwägen. Aber was ich abwäge, das sind die unterschiedlichen Plattformen, Techniken oder Angebote. Und das gilt für online genauso gut wie für traditionelle Kommunikation. Allerdings sind die Angebote im Online-Bereich größer, deshalb fällt es hier öfters auf, dass ich mich neu entscheiden muss.

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