Ein Stück Ehre

Ingeborg Bachmann am Waschbeton
Grafik: Bundi für Müga.
Gastbeitrag: Marian Wirth.
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Am Samstag schrieb mein Freund Jonas aus Berlin, langjähriger treuer Anhänger des Bachmannpreises:

Juchu, endlich ein schöner und auch lustiger Text beim Wettlesen des diesjährigen Bachmannpreiswettbewerbs. Kommt von Kathrin Passig aus Berlin. Aber lustige Texte gewinnen ja bei Ingeborg selten.

Alles verloren also? Nein, wie DonDahlmann gestern berichten konnte:

Kathrin Passig, Autorin und Mitbegründerin der Riesenmaschine hat soeben den Bachmannpreis gewonnen. Und den Publikumspreis gab es noch oben drauf.
(…)
Mit diesem Text hätte sie sich in jeder Konkurrenz durchgesetzt. Und sowieso mit diesem Film, dem ersten Einspieler, der mal mit Humor gemacht wurde.

Bei der Riesenmaschine selbst wurde übrigens darauf hingewiesen, dass der Livestream von der Veranstaltung fast überall zu empfangen war – „nur leider nicht in China“.
Eine ausführliche Würdigung des diesjährigen Wettbewerbs bringt die NZZ (Wo wir uns befinden), ein Interview mit der Preisträgerin ist beim Deutschlandradio Kultur verfügbar (mp3, fast 9 Minuten, ca. 2 MB).
Der Entscheidung über die Preisträgerinnen fiel dieses Jahr übrigens auf den 80.Geburtstag von Ingeborg Bachmann, dieser dichtenden Märchenprinzessin mit scharfem Verstand und leidenden Seherin mit der brennenden Libido, deren Werk und Wirken von Spottlust ebenso geprägt war, wie von scharfer Erkenntnis und bitterer Sehnsucht.
Gerade in diesen Tagen kommt mir das einzige Gedicht von ihr in den Sinn, das ich während meiner Schulzeit analysieren* musste – nämlich immer dann, wenn ich es während einer Fußballübertragung nicht rechtzeitig nach dem Abpfiff schaffe, mir die Ohren zuzuhalten:

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wohin aber gehen wir
ohne sorge sei ohne sorge
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
sei ohne sorge
aber
mit musik

Das vollständige Gedicht gibt es bei Raffi. Und wohin tragen wir unsere Fragen? In die Traumwäscherei. Jawohl.
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*) Gedichte werden in der Schule ja leider nicht gelesen oder gefühlt oder genossen, sondern dekonstruiert, bis nichts mehr von ihnen übrig ist als Reimschema, Symbolik und Metrik.

2 Gedanken zu „Ein Stück Ehre“

  1. Danke herzlich für den Beitrag. Nun, ich halte es eher mit Reich-Ranicki, der nicht der Meinung ist, man müsse viel Hintergrundwissen über ein Gedicht haben, aber meint, es könne nicht schaden.
    Ich glaube weniger als an den Schemata, der Symbolik und Metrik scheitert der schulische Gedichtgenuss an der mangelnden Begeisterungsfähigkeit ihrer Vermittler/innen. Auf dem Buchmarkt ist unschwer zu erkennen, dass seltenst Gedichte gekauft werden, auch in Bibliotheken wimmelt es nicht davon und Google spuckt eine Menge Fehlerhaftes aus. Ich schliesse daraus, dass die Heerscharen von Deutschlehrer/innen sich aus Lyrik auch nicht besonders viel machen und deshalb wundert’s mich nicht, dass die gebundene Sprache nur noch in gerappter Form ankommt.

  2. Nichts zu danken. Mit den Deutschlehrinnen und Deutschlehrern hast Du vermutlich Recht.
    Noch ein schönes Zitat von Robert Gernhardt zum Thema „Lernziel Lyrik“:
    Ich möchte den Leuten sagen: Habt keine Angst vor Gedichten. Lyrik soll man lesen, auswendig lernen, mit sich tragen – sie wird es einem auf vielfältige Weise vergelten.

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