Ratschläge verklemmen

Es gab ein paar harte Übungen an diesem Wochenende. Zwei Halbtage haben wir uns allein mit dem Bereich „Erhebung von Anliegen“ befasst;

  • Systemischer Kontext (mit wem zusammen sitz ich hier fest?)
  • Formulierung von Anliegen (positiv, keine Wertung)
  • Schlüsselsituationen (Beispiele ohne Interpretation)
  • Inneren Situation (wie geht’s mir hier?)
  • Wer das alles weiss, kann ca. 1/10 des Klassenklimas beeinflussen. Immerhin.
    Das klingt nach Lehrerfortbildung und das war Lehrerfortbildung in Reinkultur, samt Kreisen und Gruppenarbeiten, Präsentationen und Theater.
    Für mich waren die „Hebammengespräche“ eine Hard-Core-Übung. Das ging so: Ein Kollege hatte ein Anliegen und ich gab keinen Ratschlag! Ich sollte ihm bloss helfen, sein Anliegen so lange auszuformulieren, bis er so genau wusste, was in einer bestimmten Situation sein Problem war und selbst seine eigene Lösung fand.
    Alle hier mitlesenden Lehrerinnen und Lehrer wissen, dass die meisten von uns endlos viele Tipps geben und erhalten. Die Wirkung von mündlichen Tipps aus dem Lehrerzimmer ist allerdings selten auszumachen. Weil im Bereich „gutes Lernklima“ gibt es nur sehr wenig, was auf viele übertragbar ist. Dreinschlagen nützt bei keinem nachhaltig, positive Formulierungen helfen hingegen allen gegen Widerstände. Aber sonst sind Ratschläge fürs Schulzimmer schlecht übertragbar und wenn, dann bestimmt nicht schnell.
    Ich habe mich also den halben Sonntag abgemüht, auf Anliegen einzugehen ohne Ratschläge zu erteilen. „Ratschläge sind Schläge“ – das war im so genannten Workshop tabu. Meine neue Erfahrung ist: man kann das trainieren. Im Alltag heisst das: Gesprächszeit zwischen Kollegen erhöhen und konkrete Tipps reduzieren bringt passendere Lösungen für alle. (Ob das nun ein Forschungsergebnis oder ein verkappter Ratschlag ist, vermag ich nicht zu beurteilen.)

    6 Gedanken zu „Ratschläge verklemmen“

    1. Musste ich in Freundschaften auch erst lernen, bin eigentlich immer noch dabei: Klappe halten, zuhören, höchstens spiegeln.
      Beruflich darf ich glücklicherweise meist klugscheißen, beurteilen, entscheiden – so viel einfacher!

    2. Hebammengespräche – ja, das finde ich wichtig zu lernen für Pädagogen. Es ist das A und O einer nichtbevormundenden Pädagogik, das Essential des Coachs, der Lernberaterin, des „Experten des Lernens“.
      Montessorisch ausgedrückt steckt die Bitte des Lernenden dahinter: „Hilf mir, es selbst zu tun!“
      Im Talk unter Lehrern paßt das Hebammengespräch eher nicht, finde ich. Denn da hat man ja – hoffentlich – kein pädagogisches Verhältnis zueinander, sondern eines unter Kollegen! Aber als Leiterin eines Unterrichtsprojekts und überhaupt als Lehrer – ob man nun Lehrer als Schüler in der Lehrerfortbildung hat, oder Kinder und Jugendliche in einer Schulklasse – ist die Rollenvorstellung „Hebamme“ sehr produktiv. Sie bevormundet nicht sondern respektiert die Autonomie. Der Lernende bestimmt dabei immer selbst, was und wie er lernt.
      Wenn jedoch explizit Ratschläge erbeten werden, finde ich die fälschlich für pädagogisch gehaltene Figur: „Na, was meinst Du, finde das mal selbst heraus!“, blöd, denn sie nimmt die Bitte des anderen nicht ernst und macht wieder – nur auf andere Weise – auf Bevormundung („Ich geb dir keine Antwort, denn du SOLLST selbständig werden“).

    3. Liebe Lisa Rosa
      Deine Überlegungen sind sehr interessant, sie entsprechen zu einem grossen Teil dem, was wir auch gedacht haben, als wir den Auftrag fassten. Denn dass wir mit solchen Gesprächen hauptsächlich die Lernenden zu ihrer besten Lösungsmethode führen wollen, war für uns klar (du weisst sicher, dass sich an solchen Anlässen oft die sammeln, die sich schon viel dazu überlegt haben…). Aber das war ja nur ein Teil der Dachaufgabe „Erhebung von Anliegen“. Nachdem wir alles mehrmals und mit verschiedenen Anliegen (von „sollen Lernende mich duzen dürfen?“ bis zu „wie reagieren, wenn die einen Dicken auslachen“) durchgespielt hatten, zeigte sich der Nutzen.
      Auch stimmt das mit den Ergebnissen aus den Mitarbeitergesprächen, die ich mit meinen Lehrpersonen führe, überein. Es kommt häufig vor, dass Lehrerinnen oder Lehrer von Misserfolgen erzählen, die aufgrund von Ratschlägen entstanden sind. Natürlich nicht von im Tandem erarbeiteten Lösungen, sondern von Tipps ohne Unterrichtsbesuch. „Sei autoritärer!“ „Stell den vor die Tür!“ „Halte dich in dieser Situation raus!“ „Schalte dich in jener Situation früher ein!“.
      Ich denke, viel schief gehen kann nicht, wenn man weniger Ratschläge gibt, aber trotzdem miteinander spricht. Die gemeine Lehrperson ist ja nicht auf den Mund gefallen und wird sicher in der Lage sein es zu sagen, wenn sie lieber einen kurzen Ratschlag will als Geburtshilfe für eine Lösung.

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