Protokollieren

Schon ziemlich früh in meinem Berufsleben habe ich einen kausalen Zusammenhang zwischen Erfolg und Dokumentation eines Projektes gesehen. Ich gehörte zwar bereits zu der Stenographie-freien Generation, aber das Protokollieren habe ich in der Lehre und der Jugendbewegung bis an den Rand des Nervenzusammenbruchs gelernt. Erstaunlicherweise ist mir kein Unterschied aufgefallen zwischen den endlosen Protokoll-Korrekturen einer Vollversammlung anarchistischer Feministinnen und denen des mittleren Kaders eines Bundesamtes. Gottlob hat uns die rasante technische Entwicklung davor bewahrt, weiterhin das Heil jeder Projektplanung oder Revolution im Wortprotokoll zu suchen.
Gerade diese Woche habe ich den Eindruck, rund um die Uhr zu protokollieren. Ich brauche das halt auch im Unterricht. Ich hole Meinungen ein, lasse die Leute für Gruppenarbeiten ausschwärmen und bilde oft Expertengruppen, die den anderen dann etwas genauer erklären.
Ich finde es wichtig, dass aus solchen Arbeiten Produkte entstehen und sei es „nur“ ein Blatt. In der Rudolf-Steiner-Schule war das eine Selbstverständlichkeit, und es hat eine Weile gedauert, bis ich realisiert habe, dass das nicht überall so ist.
Die meisten Lernenden brauchen sehr genaue Anweisungen, um ein Produkt zu erstellen, das ihre neuen Erkenntnisse spiegelt. Deshalb mache ich entweder Vorlagen, die die Lernenden füllen können oder protokolliere die Ergebnisse so, dass ich sie danach zusammenfassen und abgeben kann. Klammer auf: Eine andere Möglichkeit ist die Projektfotografie und das Filmen. Ich bin da keine Expertin, sehe aber bei meiner Schwester Heilpädagogin wie gut es funktioniert, sofern man das Schneiden und Archivieren im Griff hat. Klammer zu.
Für die Sitzungen in der Schule haben wir eine neue Vorlage für ein Kurzprotokoll, die mir sehr entspricht und vieles erleichtert. Leider steht sie nicht zur öffentlich zur Verfügung. Für Interessierte versuche ich eine Erklärung in Prosa.

Zuerst muss die Protokollführerin per Vorgabe ausfüllen:

  • Autor/in
  • Abteilung
  • Datum
  • Sitzungsdatum
  • Thema
  • Anwesende
  • Entschuldigte
  • geht an
  • Kopie an
  • Dann sind nummerierte Abschnitte vorgegeben. Pro Abschnitt hat es je ein Feld

  • für Betreff,
  • für Stichworte zu diesem Betreff
  • und für den Termin.
  • So ist man gezwungen, das Thema in Unterthemen mit Betreff aufzuteilen, welchen man für die weitere Korrespondenz per E-Mail verwendet. Das reduziert Begriffsverwirrungen. Am Schluss ordnet man jeden der Abschnitte einer „Art“ zu. Das heisst, die Protokollführerin schreibt zu jedem Abschnitt, ob es sich um

  • einen Auftrag,
  • einen Beschluss,
  • eine Empfehlung
  • oder eine Feststellung handelt.
  • So haben alle schnell den Überblick, wie fix ein Thema schon ist und sehen welche Aufträge bis wann laufen.
    Am Ende jedes Protokolls muss der nächste Termin oder „kein Termin“ notiert werden. Das ist einfach aber sehr effektiv, weil das „wann weiter“ jetzt nicht mehr vergessen geht wie einst (es klingelt … muss los… keine Agenda…).
    Meine Stärke ist das Gedächtnisprotokoll. Da war ich schon immer gut und Bloggen ist natürlich das ideale Übungsfeld. Ich kann bis zu 60 Minuten Gespräch – selbst ein konfliktreiches – hinterher protokollieren.
    Ebenfalls eine Erkenntnis aus sämtlichen Höhen und Tiefen meiner Laufbahn: Recht bekommt oft, wer das bessere Protokoll und dieses rechtzeitig zur Hand hat.

    8 Gedanken zu „Protokollieren“

    1. Was du sehr schön beschreibst, predigt unser Dozent in Projektmanagement und Managementsystemen wöchentlich.
      In jedem Projekt, immer alles lückenlos dokumentieren. Was nicht dokumentiert ist, ist nicht rückführbar und somit inexistent.

    2. Was ich noch schlimmer finde, liebe WEBA, als die Nichtexistenz, ist die individuelle Interpretation mündlicher Aussagen. Solange etwas nicht allgemein akzeptiert dokumentiert ist, ist es nicht nicht da, sondern subjektiv und in allen Köpfen verschieden vorhanden.
      So positiv Individualität für die Ideenfindung ist, so mühsam ist sie in der Umsetzung. Aufpassen muss man, dass man eine Form der Dokumentation findet, die auch aktzeptiert und genutzt wird. Sonst passiert das, was oft in der Politik geschieht: wunderbare Dokumentation aber nicht mehr zu bewältigen.

    3. ach hör auf! mein job sind u. a. genau diese wunderbaren dokumentationen 😉
      und im übrigen wissen wir ja, dass jeder text soviele versionen wie lesende hat. das ist zwar weniger schlimm, als das subjektive mündliche, aber immerhin weit von der exakten wissenschaft. zum glück ist im realen leben der interpretationsspielraum in der regel nicht so gross…

    4. Nun laß mich mal überlegen : Es gibt 1. die Sitzung, das Ereignis, 2. die Sicht und Interpretation des Ereignisses durch jeden einzelnen Anwesenden 3. die Sicht und Interpretation des Protokollanten 4. die sprachliche Umsetzung der Sichtweise und Interpretation des Protokollanten und 5. die Sicht und Interpretation aller Anwesenden das Protokoll betreffend. Bei allzu großen Streitigkeiten in Bezug auf 2 und 5 schließen sich dann 6. die Sicht des klagevertretenden Anwalts, 7. die Sicht des klageabweisenden Anwalts und 8. die Sicht und Interpretation des Richters (in verschärften Fällen auch 9. -x. die Sichtweisen der Richter verschiedener Instanzen) an, alles niedergeschrieben in y. einem Protkoll durch eine vereidigte Gerichtsschreiberin und z. – ü. aufbereitet in diversen Presseartikeln, die natürlich unterschiedliche Schlüsse daraus ziehen… ad infinitum. Aber immerhin hat man was in der Hand. Fragt sich nur, was ? 😉 LG rollblau

    5. Ich bewundere Dein Talent für Systematik! Das hätte ich auch gerne. Ich hasse Protokollieren. Am schlimmsten waren die Protokolle der Abiturprüfungen. Dort sollte man nicht schreiben, was der Schüler gesagt hatte, sondern nur gleich die Bewertung (z.B. „wenig Grundlagenkenntnisse“, oder: „unsicher bei der Formulierung von Zusammenhängen“). Und das während der Prüfung. Lieber hätte ich es hinterher gemacht aufgrund von Aufzeichnungen, die dokumentieren, was der Schüler gesagt hat.
      Bei meiner jetzigen Arbeit muß ich oft Sitzungsprotokolle schreiben, wo es hoch hergeht und die Fetzen fliegen – allerdings mit unglaublich ausgeklügelten Systemritualen. Da mache ich es so: Ich schreibe die Sitzung komplett mit (10-Finger-Tastschreiben ist doch ne gute Erfindung). Hinterher mache ich daraus ein systematisches Ergebnisprotokoll mit O-Ton-Zitaten an den Stellen, die ich für wichtig halte. Ich freue mich daran, dass meine Protokolle gefürchtet sind, und registriere mit Befriedigung, wer von den Großkopfeten die Souveränität hat, zu seinen wörtlichen Aussagen zu stehen, und wer nicht. Die Protokolle gehen durch drei Hierarchieebenen und müssen dort genehmigt werden, d.h. die jeweiligen Vorgesetzten „korrigieren“ dann ihre Aussagen, schwächen sie ab, präzisieren sie, passen sie nach oben hin an … Ich habe schon von derselben Sitzung mal zwei unterschiedliche Protokolle herstellen müssen, eines für den internen Gebrauch, eines für die offiziellen Akten 😉

    6. lizamazo, ja, ich lese die politischen Dokumentationen sehr gerne, aber ich frage mich, ob Aufwand und Ertrag…
      In der Politik ist das schon so mit dem Interpretationsspielraum, Schriftlichkeit schützt sicher nicht vor Missverständnissen. Aber in Sachen Administrativkram ist das anders. Ob nun der Unterricht vom 1. März bis zum 7. März von Zimmer 2230 auf 2210 verlegt wird, weil 2230 einen neuen Boden bekommt muss einfach aufgeschrieben werden, fertig.
      vered, ja, wenn man ein gut organsiertes Archiv hat, können Aufnahmen von Ton und Bild oder beidem Protokolle ersetzen. Nachträglich ab Diktaphon protokollieren mache ich nur in Ausnahmefällen, es braucht Übung, die Stimmen zu unterscheiden.
      rollblau, ich bewege mich in viel bodenständigeren Sphären 😉 Berufsbildungsreform-Karm und Zimmernummernumstellungen sind einfach protokollierbar. Aber man muss es machen und richtig ablegen.

    7. Liebe Lisa Rosa
      Danke sehr für die Ausführungen. Äusserst interessant. Du scheinst ebenfalls ziemlich gut in Systematik zu sein, wenn du Wortprotokolle übersichtlich zu Ergebnisprotokollen machst.
      Zu den Protokollen der Abiturprüfung: Wenn man das so macht, wie um alles in der Welt handhabt man denn Rekurse? Wenn nicht stichwortartig aufgeschrieben wird, was der andere gesagt hat, ist das doch schwierig? Ich bin Hauptexpertin für die Branchenprüfungen und ich achte sehr darauf, dass vor allem bei knappen Prüfungen möglichst Wortprotokoll geführt wird (ich muss davon ausgehen, dass mich die anderen Experten und Expertinnen dafür hassen). Da ich aber – dank Dokumentation – noch nie einen Rekurs verloren habe, gibt es inzwischen kaum mehr solche (an diese Stelle gehörte eine Denkblase der Machtgier nach Comics-Manier).
      Das mit dem externen und dem internen Protokoll erlebe ich leider auch oft. Es ist wie bei Bilanzen. Protokolle die öffentlich zugänglich sind, sind halt einfach frisiert.
      Fetzenflieg-Sitzungen (also Geschrei und Redesalat) zu protokollieren finde ich extrem mühsam. Ich kann es nur, wenn ich selber nicht beteiligt bin.

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