Sehnsucht nach Sachlichkeit

[Vorsicht bei der zweite Hälfte: Jammerbeitrag.]
Ich streite mich gerade mit mir selber darüber, ob die Arbeit einer Lehrerin oder eines Lehrers auf Schuljahresende zu- oder abnimmt. Einerseits sind immer weniger Lernende da, weil ja die Abschlussklassen nicht mehr zur Schule kommen, sobald sie die Prüfungen abgelegt haben. Bei uns bewegten sich dieses Jahr beispielsweise 1029 Lernende weniger „auf der Anlage“ (wie das die Hausmeister zu nennen pflegen), was unseren Alltag durchaus veränderte.
Eigentlich mag ich diese Zeit. Die Lernenden aus den laufenden Lehren haben Zeugnisschluss und es gibt nur noch einige Nachholtest zu schreiben und zu benoten. Wir befassen uns mit Bedürfnisabklärungen fürs nächste Schuljahr, machen Zufriedenheitsumfragen, gehen vielleicht noch einmal kurz auf Dinge ein, die weniger gut gelaufen sind und bedanken uns besonders für gutes Verhalten und angenehme Zusammenarbeit. Klassen, die auf das neue Schuljahr neue Lehrpersonen bekommen, schreiben Abschiedskarten für die alten und gehen Glacé essen. Wir bereinigen Uneinigkeiten bei Absenzen und versuchen auch dann noch einigermassen bedeutsam zu unterrichten, wenn es nicht mehr relevant für die Noten ist.
Obwohl viele Kolleginnen und Kollegen davor gewarnt hatten, ihr Kerngeschäft zugunsten von Bürokram vernachlässigen zu müssen, hat mich der administrative Aufwand, der vor allem am Ende und Anfang von Schuljahren anfällt, lange kalt gelassen. Für eine Backoffice-Tante des Buchhandels ist Administration höchstens positiver Stress. Heute jedoch schaffe auch ich es nicht mehr, die Beurteilungen, Kommuniqués, Verordnungen, Klasseneinteilung, Stundenplan-Feinplanung, Materialgelderhebungen, Lehrmittellisten, Softwareevaluationen und Promotionsprobleme zu bewältigen. Das heisst konkret, dass ich das – will ich es nicht nur halbpatzig machen – in den Schulferien tun muss. (Erzählte mir das jemand, der so wenig wie ich unterrichtet, hielte ich ihn garantiert für ineffizient.)
Die Hälfte der schulfreien Zeit reicht für die qualitativ hochstehende Bewältigung administrativer Schul-Arbeit aus, denn man kommt bekanntlich rasch vorwärts, wenn man nicht unterbrochen wird. In der anderen Hälfte der Schulferien kann ich den eigenen Unterricht vorbereiten, die Planungskonferenzen zum Schulstart besuchen, die eigene schulische Weiterbildung machen und an Tagungen und Kursen der Buchbranche teilnehmen.
Würde der Mensch keine Erholungszeit brauchen, ginge das wunderbar. Nur leider zeigen die im mit Burnout ausgeschiedenen Lehrerinnen, Lehrer und Schulleiter ein anderes Resultat, nämlich „Error“. Und jeder, der fehlt, muss ersetzt werden: Klassen warten, Termine sind gesetzt. Und weil die Entwicklung der Lehrer-Roboter noch immer sträflich vernachlässigt wird, müssen Fehlende entweder von erfahrenen längst Ausgelasteten oder von neuen noch Unerfahrenen ersetzt werden. Und beide bräuchten Hilfe, die nicht zur Verfügung steht. Dass das dann wiederum neue Ausgebrannte zur Folge hat, ist einfach auszurechnen.
Der Umgang mit den Herausforderungen der Schule kommt mir vor wie der Umgang mit den Herausforderungen der Migration: Politik und Gesellschaft bewegen sich zwischen Schönrederei und Verdammung. Logik und Sachlichkeit bleiben chancenlos.

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