Die Sterne über dem Land der Väter

Ko Un, Die Sterne über dem Land der Väter
Ko, Un
Die Sterne über dem Land der Väter
Suhrkamp 1996
Bibliothek Suhrkamp 2005

Von allen Gattungen verstehe ich von der Lyrik am meisten (und vom Drama am wenigsten). Ich kann mich an keinen Tag meines Lebens erinnern, an dem ich nicht ein Gedicht gedacht oder gelesen habe. Und meine Leseerfahrung hat mich gelehrt, dass gute Dichtung das Resultat der gnadenloser Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft ist.
Das trifft auch auf Ko Un zu. Biografie in Stichworten: 1933 geboren, 1947 Mitbegründer von „Chayusilchon Muninhyobuihoe“, dem „Verband koreanisch Schriftsteller für die Verwirklichung der Freiheit“, danach Hausarrest. 1979 Gündung von „Silchonmunhak“, der erfolgreichen Zeitschrift „Praxis und Literatur“. Im gleichen Jahr Organisator eines Arbeiterstreiks, bei dem die führende Arbeiterin Kim Kyong-Suk ums Leben kam (Ende des Gedichts „Kim Kyong-Suk“ am Schluss dieses Eintrags). 1980 als Rädelsführer des Volksaufstandes von Kwangju inhaftiert, nach Amnestie 1983 Heirat mit Lee San-Hwa, Anglistikprofessorin. 1987 Gründung von „Minchokmunhak Jakkahyobhoe“, dem „Schriftstellerverband für Volksliteratur“, der Treffen zwischen süd- und nordkoreanischen Autoren zum Ziel hat und erneute Festnahme. Seit 1992 als Professor für koreanische Sprache und Literatur in Seoul.
Dieser Gedichtband ist ein Meisterwerk, ich werde drei von vielen Gründen dafür aufzählen. Aus alter Buchhändlerinnengewohnheit noch rasch ein Vergleich mit einem deutschsprachigen Dichter: am ehsten Ko Un mit Erich Fried. Aber Frieds Gedichtsammlungen umfassten stets mehrere Schaffensjahre, während Ko Un sagt, er hätte die hier versammelten Gedichte in sechs Wochen geschrieben. Lyrik beginnt eben nicht erst, wenn man sie zu Papier bringt.
„Die Sterne über dem Land der Väter“ ist ein Meisterwerk:

  • Der Übersetzung. Der Japanologe Siegfried Schaarschmidt und der Übersetzerin Woon-Jung Chei, die Wort für Wort aus dem Koreanischen ins Deutsche übertragen hat. Auf Grund ihrer Übertragung und einer japanischen Übersetzung des Koreaners Kim Hak-Hyon, machte Siegfried Schaarschmidt die Nachdichtung. Alle drei disktuierten jede Zeile und recherchierten jeden Ort, jede Wendung, um perfekte Anmerkungen erstellen zu können.
  • Der politischen Lyrik, weil Lesende nicht dazu gezwungen werden. Weil sie noch viele anderen Facetten hat. Weil der Ton allein schon gut ist, weil Ko Un, selbst in der Emphase, nie „agitatorisch wirkt“ ( Schaarschmidt).
  • Der Stimme. Wenn Ko Un „ich“ sagt, klingt es wahr. Aber genau so klingt es auch, wenn „ich“ eine Frau ist, ein Kind, ein Reisbauer, eine Fabrikarbeiterin. Er komponiert ein Ich für verschiedene Stimmen, er verwandelt die Worte in Lieder eines Landes.
  • Dieses Buch ist unter meinen besten, weil es bremst und gleichzeitig anstösst. Man findet es zwar – dank dem Messeschwerpunkt – in Bibliotheken. Doch im Handel hat dieses Kleinod ohne Hilfe keine Chance. Es sind versteckte Orte, an denen es aufliegt, es wird selten entdeckt, noch seltener aufgemacht und – oh! 19.90! – meist wieder zurückgelegt.

    Nur eben: so ist es nicht,
    meine Kim Kyong-Suk;
    fest halte ich dich in mir umschlungen, wenn ich mich erhebe.

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