Zur Geschichte der Religion und Philosophie

Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie
Heine, Heinrich
Zur Geschichte der Religion und Philosophie
In: Heines Werke in fünf Bänden, 5. Band
Bibliothek Deutscher Klassiker
Aufbau Verlag Berlin und Weimar 1986

Auf den ersten Blick scheinen Heines Prosaschriften für historisch, literarisch oder philosophisch nicht speziell gebildete Leute anspruchsvoll. Ich kann nur raten, sie trotzdem zu lesen und garantieren, dass Nichtverstehen einzelner Passagen kein Vergnügen mindert. Schon die Vorrede zur zweiten Auflage „Zur Geschichte der Religion und Philosophie“ lädt ein, Dilemmata mit Sanftmut zu begegnen:

Das vorliegende Buch ist Fragment und soll auch Fragment bleiben. Ehrlich gestanden, es wäre mir lieb, wenn ich das Buch ganz ungedruckt lassen könnte. Es haben sich nämlich seit dem Erscheinen desselben meine Ansichten über manche Dinge, besonders über göttliche Dinge, bedenklich geändert, und manches, was ich behauptete, widerspricht jetzt meiner bessern Überzeugung. Aber der Pfeil gehört nicht mehr dem Schützen, sobald er von der Sehne des Bogens fortfliegt, und das Wort gehört nicht mehr dem Sprecher, sobald es seiner Lippe entsprungen und gar durch die Presse vervielfältigt worden.

Ach, was soll ich da ergänzen? Es war typisch für Heine, durch spritzige Prologe und hitzige Briefe die Leserschaft schon vor der eigentlichen Lektüre an sich zu binden. (Ich denke sowieso, Heine wäre heute weder im Journalismus noch in der Politik, sondern im Marketing.)
„Zur Geschichte der Religion und Philosophie“ besteht aus drei Büchern, insgesamt nicht mehr als 130 Seiten. Die drei Teile erschienen zwischen März und Dezember 1834 in der Zeitschrift „Revue des Deux Mondes“ und erst 1935 als Buch bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Ich werde pro Buch ein paar Zeilen schreiben, daraus zitieren und von Interpretationen gänzlich lassen.
Im ersten Buch geht es um Luthers enormen Einfluss auf die deutsche Sprache, speziell auch die gebundene Sprache und das Liedgut. Ein Lieblingslied Heines war „Eine feste Burg ist unser Gott“ dessen „begeisternde Kraft“ er oft zu loben wusste.
Selbst Heines Kritik an Luthers Streitschriften ist voller Bewunderung: „plebejische Rohheit, die oft ebenso widerwärtig wie grandios ist.“ Für Heine waren Luthers Originalschriften die wichtigsten Beiträge zur Fixierung der deutschen Sprache. Mit Luther kamen die Persönlichkeit, die Subjektivität, die Reflexion ins Deutsche und das war Heine – dem Teilzeitromantiker – etliche Analysen und Vergleiche wert. Bis er schliesslich konstatieren konnte:

Ich habe gezeigt, wie wir unserem teuren Doktor Martin Luther die Geistesfreiheit verdanken, welche die neuere Literatur zu ihrer Entfaltung bedurfte.

Im zweiten Buch widmet sich Heine der Philosophie und ihrer Transformation vom Lateinischen ins Deutsche. Dabei spielen Christian Wolff (ich kenne ihn leider nicht) und Spinoza und vor allem Lessing zentrale Rollen. Heine weiss immer wieder Persönliches über die granz Grossen zu berichten, zum Beispiel, dass Descartes vom „bewegten, viel schwatzenden“ Frankreich ins „stille, schweigende“ Holland übersiedeln musste. Denn der französische Boden war für vieles gut, aber nicht für das Gedeihen des autonomen philosphischen Gedankens. Die Autonomie der Philosophie war Heine zu diesem Zeitpunkt im französischen Exil ein persönliches Anliegen, weil er bisweilen wünschte, die Religion – und übrigens auch die Schriftstellerei – an den Nagel zu hängen.

Von dem Augenblick an, wo eine Religion bei der Philosophie Hülfe begehrt, ist ihr Untergang unabweichlich. Sie sucht sich zu verteidigen und schwatzt sich immer tiefer ins Verderben hinein. Die Religion, wie jeder Absolutismus, darf sich nicht justifizieren. Prometheus wird an den Felsen gefesselt von der schweigenden Gewalt. Ja, Äschylus lässt die personifizierte Gewalt kein einziges Wort reden. Sie muss stumm sein. Sobald die Religion einen räsonierenden Katechismus drucken lässt, sobald der politische Absolutismus eine offizielle Staatszeitung herausgibt, haben beide ein Ende.

Das dritte Buch handelt hauptsächlich von Kant. Eingangs macht Heine sich lustig über die Kant’sche Disziplin: „Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant ist schwer zu beschreiben. Denn er hatte weder Leben noch Geschichte“. Besonders schön ist, dass Heine – quasi als Ersatz für Kants ereignisloses Dasein – eine Biografie der „Kritik der reinen Vernunft“ entwirft. Wann erschienen, wie lange unbeachtet geblieben, wo dann doch kurz rezensiert und so weiter bis zum durchschlagenden Erfolg.
Damit komme ich zu einem weiteren Aspekt von Heines Prosaschriften und Briefen: sie sind Publikationsgeschichte. Ich habe bis zu Reich-Ranicki nie wieder so umfassende Kenntnis der Verlagserzeugnisse und der Reaktionen darauf gelesen. Das ganz nebenbei. So setzte Heine Meilensteine.

Die deutsche Philosophie ist eine wichtige, das ganze Menschengeschlecht betreffende Angelegenheit, und erst die spätesten Enkel werden darüber entscheiden können, ob wir dafür zu tadeln oder zu loben sind, dass wir erst unsere Philosophie und hernach unsere Revolution ausarbeiteten. Mich dünkt, ein methodisches Volk wie wir musste mit der Reformation beginnen, konnte erst hierauf sich mit der Philosophie beschäftigen und durfte nur nach deren Vollendung zur politischen Revolution übergehen. Diese Ordnung finde ich ganz vernünftig. Die Köpfe, welche die Philosophie zu Nachdenken benutzt hat, kann die Revolution nachher zu beliebigen Zwecken abschlagen. Die Philosophie hätte aber nimmermehr die Köpfe gebrauchen können, die von der Revolution, wenn diese ihr vorherging, abgeschlagen worden wären.

2 Gedanken zu „Zur Geschichte der Religion und Philosophie“

  1. Danke für den hoch interessanten Heine-Aufsatz! Viele Zitate lerne ich zum ersten Mal kennen. Er ist voller Witz, dieser Heine, und ich würde jede Zeitung abonnieren, in der er eine Kolumne hätte.

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