My Background

Diese Karikaturgeschichte ist für mich ein Meisterstück an Prägung.
Karikaturen gehören dazu. Zur europäischen Geschichte und in unsere eidgenössischen Abstimmungskämpfe. Unsere Mütter schon haben sie geliebt (beim Frauenstimmrecht), gehasst (beim Frauenstimmrecht), wir selber haben gekämpft (bei Ausländerfragen), gekontert (mit Buttons „ich bin eine rote Ratte„, remember?) und auch schon genüsslich nachgewiesen, dass sie im Archiv der Gegner abgezeichnet worden waren. Ich komme aus einem Land, das eine in den Siebziger- und Achzigerjahren verehrte Karikturzeitschrift in jedem Wartezimmer aufliegen hatte, den Nebelspalter. Aus einem Land, in dem Politiker die giftigsten Karikaturen ihrer selbst bei sich an die Wand hängen. Aus einem Land, das sich – man erlaube mir die Spekulation – nicht für das entschuldigen würde, was hier das Corpus Delicti ist.
Ich komme aus einem Beruf, in dem ich permanent mit der Beleidigtheit, den Zensurversuchen und dem Empörungskult konfrontiert bin. Und ich muss sagen, der Anteil islamischer Vertreter ist langsam beachtlich.
Doch die schönen Schulbücher an den arabischen Gemeinschaftsständen, mit Karikaturen des Juden, mit Abbildungen von Bomben mit Davidstern drauf, mit bewaffneten Kindern, sind an unseren Buchmessen frei zugänglich. Solange man keine Fahne mit Hakenkreuz am Messestand aufhängt oder der Verleger einen mit „Heil Hitler“ begrüsst, ist Toleranz.
Ich erinnere mich auch an meine Lehrzeit, als ich, bevor ich über Mittag alleine war, alle Rushdie-Titel wegräumen und lügen musste, wenn jemand danach fragte, weil mein Ausbilder sich Sorgen machte. Viele haben heute vergessen, dass die „Satanischen Verse“ nicht nur die Fatwa für den Autoren, sondern für alle Buchhändler und Verleger zur Folge hatte, die bis 1998 verhängt war und unsere Tötung forderte, sofern wir uns je mit dem Buch umgeben hätten. Die Messe in Frankfurt war 1989 nur noch durch klitzekleine hochbewachte Türchen zu erreichen.
Die Muslime, die über die dänische Flagge gehen, erinnern mich unweigerlich an die schöne Stelle aus „Lolita lesen in Teheran“, wo das Volk mit Lunchpaketen an Ayatollah Khomeinis Begräbnis gelockt und durch einen Wettstreit um das Leichentuch zur Hysterie gepeitscht wird. Und ich erinnere mich auch an die Berichte bei uns: „Schaut her, wie dieses Volk seinen Herrscher liebte!“.
Sofort wird entlassen, wer dem gemeinen Volk die schändlichen Machwerke zur Beurteilung vorlegt. Ich bin zuversichtlich, in zehn Jahren in einem guten Buch zu lesen, wie dieses „Schaut her, wie ihr dieses Volk beleidigt habt!“ zu Stande gekommen ist. An Mobilisierung mangelt es nicht, auch nicht an klaren Voten, wie dem von Hizbollah Nasrallah:

If there had been a Muslim to carry out Imam Khomeini’s fatwa against the renegade Salman Rushdie, this rabble who insult our Prophet Mohammad in Denmark, Norway and France would not have dared to do so,

[Quelle: „Jordan Times“, Artikel: Shihan editor sacked for reprinting prophet cartoons]

6 Gedanken zu „My Background“

  1. Liebe Tanja,
    vielen Dank für diese ausführliche Schilderung Deiner Position. Ich denke, ich verstehe Deine Befindlichkeiten jetzt viel besser, weil ich ihre Geschichte erkenne. Lass mich nur einen Satz herausgreifen:
    „Aus einem Land, das sich – man erlaube mir die Spekulation – nicht für das entschuldigen würde, was hier das Corpus Delicti ist.“
    Lass mich eine Frage dagegen stellen: Warum sollten wir ihnen nicht beweisen, dass wir die Stärke haben, uns zu entschuldigen?
    Nicht für ein Unrecht, sondern für die Verletzung. Was in welchem Maße verletzend ist, kann immer nur der Verletzte empfinden. Und entschuldige meine Offenheit, aber auch aus Deinen Schilderungen lese ich Verletzungen heraus, die noch nicht verheilt sind und für die sich offenbar niemand entschuldigt hat. Aber ist jetzt die Zeit, dafür Vergeltung zu fordern? Von wem und für welchen Preis?
    Feuer oder Wasser – welches dieser Elemente würdest Du wählen, um Dich und Deine Werte gegen Fanatismus zu verteidigen?
    Herzliche Grüße
    Iris

  2. Ich sehe das wie Tanja. Ohne dass meine persönliche Biographie maßgeblich von Karikaturen geprägt ist. Und von Tanjas Unbehagen implizit psychoanalytisch auf persönliche Verletztheit und unverheilte Wunden zu schließen, halte ich für fragwürdig.
    „Die Stärke, sich zu entschuldigen.“ – Es gibt keine Schuld, der „wir“ uns entladen müssten. Da hat jemand ein paar satirische Bleistiftzeichnungen angefertigt. Vor vier Monaten. Und jetzt stehen „wir“ alle unter Kollektivschuld, oder wie? Nee, das ist deren Problem. Die starken Männer im nahen Osten können gerne auch mal Stärke zeigen. Unsere Regierungen, Kirchen und Randgruppen mussten und müssen das auch aushalten. Die erste Entschuldigung wäre der Tod der Satire, deren tägliches Geschäft es ist, Grenzen zu überschreiten. Am Ende verbieten wir noch Witzbücher…

  3. Ich sehe das auch wie Tanja. Eine Entschuldigung hieße zu sagen, dass man das in Zukunft nicht mehr tun würde. Sich diesen Maulkorb freiwillig anzulegen halte ich für falsch.
    Die Aufregung um die vier Monate alten Karikaturen halte ich für inszeniert; die Karikaturen sind nur der Anlass, auch wenn das inzwischen ein Selbstläufer ist.
    Andererseits glaube ich durchaus, dass sich manche Moslems von den Karikaturen beleidigt fühlen. (Und nicht einen Anlass suchen, um gegen den Westen wettern zu können.) Und dass die Karikaturen sie mehr beleidigen als die Karikaturen vom Papst oder Bush einen gläubigen Katholiken oder Republikaner.
    Die Frage ist: Müssen gläubige Moslems soviel Beleidigung aushalten? (Beleidigung ist das falsche Wort. Spott? Kritik? Gotteslästerung?)
    Nach westlichen, europäischen, aufgeklärten Spielregeln: Ja.
    Nach islamischen Spielregeln… aber gibt es die überhaupt? Ich erkenne da kein einheitliches Bild; vielleicht ist das nur meine Unkenntnis.
    Was darf die Satire? Alles.
    Das stimmt zwar nicht, jedenfalls nicht nach unserem Gesetzbuch; aber soviel darf sie allemal.

  4. Es geht aber in dem sich aktuell zuspitzenden Konflikt nicht mehr nur um vier Monate alte Karikaturen, denn zahlreiche europäische Zeitungen sind erst vor wenigen Tagen auf den Zug aufgesprungen und haben die Karikaturen nachgedruckt und damit die Provokation unterstützt und verbreitet. Ich streite gar nicht ab, dass die Karikaturen derzeit von radikalen Fundamentalisten instrumentalisiert werden, aber m.E. ebenso von radikalen Islamgegnern.
    Davon abgesehen bin ich der Ansicht, dass die in westlichen Gesellschaften lebenden Muslime bereits seit geraumer Zeit ebenso zu Opfern des Terrors gemacht werden wie die Nicht-Muslime – und zwar von beiden vorgenannten Parteien.
    „Was darf die Satire? Alles.“
    Siehe: §166 Strafgesetzbuch +
    Ziffer 10 Pressekodex
    Meines Erachtens muss man sich hier die Frage stellen, wo die Satire aufhört und die Volksverhetzung anfängt.

  5. @Hokey und Herr Rau: Danke, auch für die Sachlichkeit.
    @Iris: Zu deinem ersten Kommentar etwas länger:
    Ich habe explizit von der Entschuldigung eines Landes gesprochen, wie sie von empörten Muslimen wie empörten Bloggern schon gefordert worden ist.
    Die Entschuldigung eines Staates ist ein Instrument der Diplomatie. Es ist der Weg für einen Neuanfang nach begangenem Unrecht eines Staates am anderen, Vernichtung von Menschenleben, Vertreibung, Zerstörung und Entwendung von Eigentum.
    Die Opfer der Schweizer Kollaboration mit Nazi-Deutschland haben über fünfzig Jahre darauf gewartet. Dieses Istrument der Versöhnung nach Tod und Verderben sollte Dänemark nun in den Augen einiger für die Einhaltung eines Grundrechtes, das nebenbei bemerkt zu den Menschenrechten gehört, der Inflation preisgeben? Das wäre nicht friedenssichernd, sondern dumm.
    Zu deinem zweiten Kommentar:
    Zur „Hetze“ habe ich schon bei Chuzpe geantwortet, leider hast du da nur ein Zitat aus meiner Antwort herausgegriffen und den Rest übergangen. Aber wie gesagt, ich verstehe deine Position insofern, dass solche Geschehnisse dem Rechtspopulismus Auftrieb geben (können).
    Klug wäre es, Karikatur für Karikatur genauer anzusehen, auch aus kunsthistorischer Sicht. Navid Kermani hat es im Feuilleton der Süddeutschen vom 8.2. ansatzweise versucht, aber eben nur ansatzweise. Vielleicht hat es irgendwo jemand im Detail gemacht und ich habe es verpasst. Ich gebe nur kurz meinen Eindruck von der meist zitierten Karikatur (in meinen Augen übrigens unteres Mittelmass, mir ist subtiler lieber):
    Ist es nicht lächerlich, einem Propheten (einer Religion) mit einer Bombe Profil geben zu wollen? Doch, es ist lächerlich! Und wie! (Gilt für Selbstmordattentäter wie für Zeichner.)

  6. Hach, wie schön. Iraq the Model hat drei Tage nach diesem Eintrag x-akt meine Vermutung bestätigt:

    You know that those cartoons were published for the 1st time months ago and we here in the Middle East have tonnes of jokes about Allah, the prophets and the angels that are way more offensive, funny and obscene than those poorly-made cartoons, yet no one ever got shot for telling one of those jokes or at least we had never seen rallies and protests against those infidel joke-tellers.
    What I want to say is that I think the reactions were planned to be exaggerated this time by some Middle Eastern regimes and are not mere public reaction.
    And I think Syria and Iran have the motives to trigger such reactions in order to get away from the pressures applied by the international community on those regimes.

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