Bonne année !

Die reichste Erkenntnis meines Bildungsurlaubes erlangte ich wie so oft durch Bücher. Wenn ich heute schaue, was ich in den letzten paar Monaten in Französisch gelesen habe, bin ich schon ein wenig stolz. An „La Vérité sur l’Affaire Harry Quebert“ lese ich noch, wie gewöhnlich mit mehr Freude als Zeit und auf Kosten von Schlaf. Mögen sich Mängel auch im neuen Jahr so gelassen aufheben wie das die französische Literatur im alten vermochte.

Bonne année à tous

Il me reste à vous souhaiter une excellente année 2015 !

Unser Möglichstes?

Bis jetzt war mein Weihnachtszeit wunderbar. Emsig und feierlich zu gleichen Teilen – so muss es sein. Ruhige Büro- und Backarbeiten und Treffen mit lieben Menschen machten mir diesen Dezember leicht. Zwei Einbürgerungen von jungen, vielseitigen, muslimischen Frauen waren mir eine besondere Freude.
Trotz allem machen meine Gedanken, was sie wollen und kreisen immer wieder um Elendes in dieser Welt. Der Angriff und die Morde in der Army Public School beschäftigt mich. Das hat mit meiner guten Erinnerung zu tun, die ich an die Grenzstadt Peshawar habe. Deren Einwohner haben uns als Familie – und ganz besonders mir als zehnjähriges Mädchen – viel geholfen. Unser Rückweg von Indien führte Ende Siebzigerjahre durch lauter Konfliktregionen; der Weg von Peshawar über den Khyberpass nach Kabul, in dem schon die ersten russischen Besatzer warteten, war besonders steinig. Und kalt. Wohlgesinnte, kriegskundige Paschtunen waren das Beste, was mir damals passiert ist.
am Khyber-Pass
(Bild: ich damals am Khyber).
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Wochenbilanz X

Vergangene Woche ist mein Bildungsurlaub zu Ende gegangen. Ich habe mit der Arbeit begonnen und viele meiner Kolleginnen und Kollegen begrüsst. Vielleicht lag es an den Weihnachtsbäumen, am lieblichen Dezemberlüftchen und den saisonbedingten Düften: Aber ich habe mich auf meinen Arbeitsplatz und die Menschen im Schulhaus gefreut und bin beschwingt und ohne weinendes Auge zurückgekehrt. Zudem habe ich mich sehr willkommen geheissen gefühlt. Sogar Lehrpersonen, die nicht in meinen Abteilungen arbeiten, hatten mir geschrieben, dass sie die „offene Tür“ meines Büros vermissten. Selbstverständlich muss man sich die Rückkehr auch versüssen: Dem Sekretariat habe ich Spezialitäten aus der Romandie mitgebracht, den anderen Büros wie alle Jahre Weihnachtsgüezi von den Gantrischfrauen.
Bei diesen Begegnungen ist mir schlagartig bewusst geworden, wie gut es ist, dass ich die Ziele des Sprachaufenthaltes erreicht habe. Hundert Mal zuzugeben, die Prüfung nicht bestanden oder den Aufenthalt vorzeitig abgebrochen zu haben – mon dieu! Das wäre schlimm gewesen. Vor den Französischlehrpersonen traue ich mich zwar immer noch nicht zu sprechen, mais tant pis! Das bleibt vielleicht so. Doch fürchte ich grundsätzlich, die Sprache rasch zu vergessen und habe mir überlegt, meine Freiwilligenarbeit irgendwie mit Französisch zu verbinden, beispielsweise einen Besuchsdienst bei jemand Französischsprachigem zu übernehmen. Aber das ist schwierig bei meiner unregelmässigen Arbeitszeit. Zudem möchte ich im Wahljahr auch noch etwas Zeit in meine Favoritin und deren Ideen investieren. Ich mache deshalb vorerst einfach einen wöchentlichen „Cours de conversation“ und parliere mit zwei anderen Damen so ungezwungen wie’s geht über „les thèmes actuels et pratiques de culture, d’économie et de sociétés de mon pays et de la France“. On verra.

Anitautoritäre Erziehung 2

2005 habe ich mir offenbar vorgenommen, das Thema ad acta zu legen. Aber heute ist mir – sicher nicht zum ersten Mal seither – wieder eine haarsträubende Geschichte über ein vermeintlich antiautoritär erzogenes Kind aufgetischt worden. Zudem habe ich im Rahmen der „Kuschelpädagogik“ auch schon öfter Aufzählungen von Neills Irrtümern gehört.
Da ich im Moment häufig mit meinem erwachsenen, aber zumindest finanziell noch abhängigen Kind Meinungsverschiedenheiten pflege, rufe ich mir meine Prinzipien täglich in Erinnerung. Ich bin gezwungen, sie ständig auf ihre Brauchbarkeit zu überprüfen und mir erzieherische Fehlleistungen einzugestehen. Aber mit dem Versagen von Neill kann ich trotzdem nicht dienen. Das, was ich vor neun Jahren aufschrieb und umzusetzen versuchte, funktioniert nach wir vor. Mehr noch: Es verschafft uns in den schwierigsten Situationen Respekt voreinander. Aber wir sind trotzdem laut, Heuchelei ist keine Option. Und ja: Ich weiss nicht, ob’s gut kommt.
Wenn ich wieder so bescheuerte Geschichten von Kindern höre, die andere terrorisieren dürfen, weil ihre antiautoritäre Erziehung das erlaube, fällt mir diese Antwort von Neill ein:
Was soll ich tun, wenn mein neunjähriger Sohn Nägel in die Möbel schlägt?
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Wochenbilanz IX: Schulbücher, Leseprognosen

Daneben habe ich mich letzte Woche noch mit Schulbüchern, Schulbuchverlagen und Inhaltsvermittlern befasst. In diesem Zusammenhang habe ich u.a. Deutschlehrmittel der Romands auf Niveau B1 genauer studiert.
Als ich selber am Französischlernen war, habe ich mich gefragt, weshalb wir ständig Übungen in der „langue soutenue“ und „langue argot“ machen mussten. Jetzt, als ich das Deutschlehrmittel der westschweizer Azubis anschaute, wurde mir klar, dass es besonders schwierig ist, die Wörter, die man kennt, situationsgerecht einzusetzen. Sprachlehrpersonen kennen das Problem, ich etwas weniger. Mir bereitet das auf meinem bescheidenen Niveau keine Mühe, wer eine Wohnung mieten will, muss eher sprechen wie Dumbledore als wie Hagrid. Aber es ist eben gar nicht so einfach. Z.B. brauchen Französischsprachige in Deutsch gerne das Wort „sorry“, vielleicht gerade weil sie es in Französisch nicht verwenden. Aber was in einem Dialog unter Freunden völlig korrekt ist, kann andernorts und vor allem in schriftlicher Korrespondenz ein Fettnapf sein. Und das muss man (mühsam) lernen.
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Wochenbilanz IX: Deutsch in der Romandie

Wie bereits bildhaft gestreift, war ich letzte Woche zu Besuch an der BFB, einer zweisprachige Berufsfachschule in Biel. Neben dem Austausch mit Lehrpersonen und der Besichtigung des Schulgebäudes, interessierte mich der Deutschunterricht. Wie die hier mitlesenden Schweizer wissen, ist das Erlernen der anderen Landessprache(n) ein bildungs- und staatspolitischer Konflikt. Im realen Leben kann man den Menschen dazu nicht allzuviel befehlen, weshalb Englisch für alle Landesteile die wichtigste Fremdsprache bleibt oder gar laufend wichtiger wird. Ausser natürlich in staatlichen oder politischen Gremien, wo ausser mit ausländischen Besuchern nie Englisch gesprochen wird. Das ginge auch gar nicht, dieser restringierte Code der föderalistischen Schweiz existiert nur in den Landessprachen.
Ich habe den Einblick in den Deutschunterricht in der Romandie mit Spannung erwartet, ich hatte keine Ahnung, wie das läuft. Den Französischunterricht für Deutschsprachige kenne ich hingegen bestens, in meinen Abteilungen sind vier Französischlehrerinnen beschäftigt, die ich regelmässig in den Klassen besuche. Ich habe im Deutschunterricht für die Romands folgende Erkenntnis gewonnen:

  • Ein Aufenthalt in der der deutschsprachigen Schweiz ist bei jungen Romands seltener als bei ein Aufenthalt von Deutschschweizern in der Romandie. Wir haben pro Klassen immer mindestens jemanden, der ein „Welschlandjahr“ gemacht hat, an der BFB kommt das praktisch nicht vor. Das ist für den Unterricht relevant, weil die, die schon im anderen Landesteil gelebt und geredet haben, Wichtiges zum Unterricht beitragen und die Lehrperson automatisch unterstützen, weil sie der lebendige Beweis für die Relevanz des Faches sind.
  • Bilingue Schüler gab es in den Klassen – etwa gleich viele wie bei uns. Auch diese können wichtige Vermittler einer Sprache sein. Allerdings hatten sie Mühe mit dem „Schul-Deutsch“, denn sie lernen diese Sprache ja im Alltag, häufig auch nur einen Dialekt. Aber das gibt es bei uns umgekehrt auch. Bei uns gab’s auch schon Lernende mit dem schönsten Französisch, die dann „JE“ als „Jö“ geschrieben haben.
  • Eine Sprache auf einem bestimmten Niveau zu sprechen ist eines, ich hab’s ich in der Integrationsarbeit recht gut gelernt. Aber eine Sprache auf einem bestimmten Niveau zu schreiben, fand ich sehr schwierig. Lehrerinnen haben natürlich Musterlösungen vom Schulbuchverlag und müssen selten selber dichten. Ich habe trotzdem versucht, eine Aufgabe der Fachleute Kundendialog im 3. Lehrjahr zu lösen. Es Es handelte sich um eine Notenarbeit auf Niveau B1 mit einem Zeitbudget von 25 Minuten.
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    le temps qu’il faut chercher

    Weil es im französischsprachigen Raum eine häufige Schullektüre ist, habe ich „La vie devant soi“ ohne grosse Erwartungen gekauft. Und da ich ein interpretierbares, gefälliges Werk erwartete, hat mich seine literarische Wucht völlig überrascht. Ich las viele Seiten mehrmals und alles noch langsamer als wegen der Fremdsprache nötig. Zum einen, weil ich nicht wollte, dass es zu Ende geht, weder mit dem Buch noch mit der alten, jüdischen Hure, zum anderen, weil ich es mir das Gelesene auf ewig einprägen wollte. Das ist die Literatur, an die ich mich erinnerte, wäre ich eingesperrt.
    Je suis resté un bon Moment avec lui (Monsieur Hamil) en laissant passer le temps, celui qui va lentement et qui n’est pas français. Monsieur Hamil m’avait souvent dit que le temps vient lentement du désert avec ses caravanes de chameaux et qu’il n’était pas pressé car il tranxportait l’éternité. Mais c’est toujours plus joli quand on le raconte que lorsqu’on le regarde sur le visage d’une vieille personne qui se fait voler chaque jour un peu plus et si vous voulez mon avis, le temps, c’est du côté des voleurs qu’il faut le chercher.

    page 158
    Romain Gary
    La vie devant soi
    Collection Folio n° 1362