Frauenstreik 2019: Tagebuch 14.06.

Morgens um 7 in Neuenegg
Mein Streiktag begann 06.50 in Neuenegg. Die Initiantin dieser Aktion war von der Gemeinde aufgefordert worden, das selbstgemachte Streikplakat von ihrem eigenen Balkon zu entfernen. Dies mit der Begründung einer fehlenden Baubewilligung und weil es die Verkehrssicherheit tangiere. Mein Start auf dem Dorfe verschaffte mir die Gelegenheit, mehrmals die Frage nach dem „warum gerade da?“ zu beantworten und diese typische Geschichte zu erzählen, die sich immer und überall in der ländlichen Schweiz so zutragen könnte, wenn eine Frau eine nicht opportune Meinung kundtut. Dank Internet können wir fadenscheinige Argumente heute parieren, kommunizieren schneller und lassen uns weniger auseinanderdividieren – ich empfinde das als grossen Fortschritt. (Bild: Franz Schweizer, Kultur Neuenegg.)
Um 11.00 Uhr traf ich dann die wichtigsten Frauen in meinem Leben am Bärenplatz in Bern: Meine Mutter und meine Schwester. „Frauenstreik 2019: Tagebuch 14.06.“ weiterlesen

Frauenstreik 2019: Statusmeldung

Emotionen: Ich bin überwältigt und desillusioniert zugleich. Das vorherrschende Gefühl ist Dankbarkeit all den Frauen von Genf bis zum Bodensee, von Basel bis Bellinzona, die das überhaupt möglich gemacht haben. Organisieren, überzeugen, schreiben, verfassen, verhandeln, planen, fundraisen, beauftragen, nachfragen, beantworten, beschwichtigen, wiedererwägen, motivieren – nicht für eine Woche, sondern über Monate hinweg, Tag und Nacht. Mobilisierung braucht enorm viel Kraft und es bleibt bis zum Ereignis ungewiss, ob diese Energie je wieder zurückkommt. Eine halbe Million Menschen waren am vergangenen Freitag auf der Strasse für mehr Lohn, Zeit und Respekt für Frauen.
Drei Tage später bin ich ermattet von den blöden Sprüchen zum Streik, den ständigen Witzen auf Kosten der Frauen, den vielen Männern, die diese zwar doof finden, aber schweigen. Was Coline de Senarclens „ridiculiser les organisatrices et les femmes en général“ nennt und rhetorisch beeindruckend erklärt, dass wir uns davon nicht beirren lassen, geht mir an die Nieren. Dennoch werde ich die Forderungen wiederholen, mithelfen, sie politisch und rechtlich zu erstreiten, die Kinder und Jugendlichen dazu anhalten, das Gleiche zu tun. Chancengleichheit in einem wohlhabenden, friedfertigen Land, in dem alle Menschen sich auf Augenhöhe und ohne Überheblichkeit und Vorverurtreilungen begegnen, das wäre meine Vision. Und ich wünschte mir letzte Tage hienieden, wo mir ein Jugendlicher mit violett lackierten Fingernägeln mal glucksend, mal weinend aus einem gedruckten Buch vorliest und eine Palliativmedizierin an meinem Bett ihr Baby stillt, während sie mich geduldig über die Stationen meines Ablebens informiert.
(Streiktagebuch folgt.)

Zum internationalen Frauentag 2019

Mein Tagebuchschreiben begann gleichzeitig mit dem Schreiben, das war noch vor der Schule. Ich mochte Jahrestage und verglich die Ereignisse mit buchhalterischer Akribie. Auch die UNO-Tage und -Jahre scheinen mich schon früh beeindruckt zu haben, jedenfalls notierte ich am 31.12.1979 eine Schlechtbehandlung durch meine Mutter “am letzten Tag des Jahrs des Kindes”. Dabei liess ich unerwähnt – wohl weil es mir damals gar nicht bewusst war – dass meine Mutter nur wenige Tage vorher meine Schwester geboren hatte und schon wieder den Haushalt schmiss, in einer zu klein gewordenen Dreizimmerwohnung mit ebensolchem Budget, dafür mit offener Tür fürs halbe Quartier.
Die Notiz kam mir bei der Suche nach Zeichen der frühen Kindheit in die Hände, über die ich mich neulich mit meiner gleichaltrigen Cousine länger unterhalten hatte. Ich las diese Nacht Breife und Tagebücher und suchte nach Fotos unserer ersten Jahre, von denen es gar nicht so viele gibt (das war eine Geldfrage damals). Wir hatten gesellschaftlich schlechte Prognosen bei unserem Start ins Leben um die Jahreswende 1969/70. Nicht einmal geheiratet waren unsere Mütter worden! Ein Vater bereits bei der nächsten, der andere auf dem Absprung nach Indien. Als Kinder wurden wir schräg angeschaut, weil wir den Namen unserer Mütter trugen, der eigentlich der Name unseres Grossvaters war, seinerseits ebenfalls ein Unehelicher. Köpfe wurden geschüttelt und Nasen gerümpft auf dem Dorfe. Und unsere Mütter? Sie arbeiteten. Am Tag für Geld, am Abend für den Haushalt und in der Nacht nähten, strickten und häkelten sie unsere Kleider, passende Ringelsocken inklusive. (Und in diesen Kleidern sehe ich auch heute noch das Rebellische meiner Mutter, sie machte es immer gern eine Tick anders, ein Muster mehr, ein Janis-Joplin-Schnitt beim Röckli, ein paar Bubenschuhe zu den Manchesterhosen.) Ob hippig oder heimeling, unsere Mütter überliessen ausser unserer Entstehung nichts dem Zufall. Sie förderten uns nach Kräften und schickten uns sogar je in eine Privatschule. Ich war von der ersten bis zur letzten Klasse in der Rudolf-Steiner-Schule, und meine Mutter spann und strickte sich für deren Basare die Finger wund. Natürlich färbte sie auch hunderte von Ostereiern für den Marktstand der Schule und nähte aus kostengünstigen Stoffresten die Kostüme für unsere Theateraufführungen. Sie arbeitete als Erzieherin und Bibliothekarin und sie las Berge von Büchern. Als sie die Volksbibliothek durchhatte, fuhr sie in der Unibibliothek fort. In den Neunzigern erschloss sie sich den Computer, in neuen Jahrtausend begann sie mit Bloggen, was sie bis heute tut. Meine Cousine und ich unterhalten uns oft darüber, wie viel wir unseren Müttern verdanken und schulden. Sie verlangen jedoch weder Dankbarkeit noch geben sie uns das Gefühl, in ihrer Schuld zu stehen. Sie wollen einfach, dass wir frei sind und für uns selber und die kommenden Generationen weiterkämpfen um den gerechten Anteil an Macht, Geld, Welt. Machen wir. Versprochen!
Cornelia und Tanja 1973 mit Grossvater Tanja und Cornelia 2019

Zum Jahreswechsel

Da der allgemeingültige und mein persönlicher Jahreswechsel recht nah beieinanderliegen, kann ich ja gleich über beides nachdenken. Ich schwanke bei der Gelegenheit immer zwischen kategorischem Imperativ und emmentalerischer Dankbarkeit, wieder ein Jahr älter, noch immer gesund und doch bereit für das jüngste Gericht zu sein. Zudem habe ich jedes Mal, wenn eine neue Dekade im Anzug ist, das Bedürfnis, einen grösseren Schritt zu tun. Mit dreissig wollte ich unbedingt und erstmals im Leben ein Zimmer für mich allein (brauch ich nicht mehr), mit vierzig trat ich von allen Ehrenämtern zurück (netter Versuch) und auf mein Fünfzigstes hin kehre ich wohl wieder zurück zu den Wurzeln. Ich war immer eine Feministin. Weniger vorne auf der Demo, sondern eher die in der Delegation, die in den Achtzigern mit Architekten darüber stritt, warum beim Bau von Unterführung (Beleuchtung?) oder Parkplatz (Übersichtlichkeit?) oder der öffentlichen Toilette (wieder nur Pissoirs?), die Bedürfnisse der halben Bevölkerung ignoriert werden? Das immerhin ist erreicht, aber die Lohngleichheit, die Diversity in Firmen, Nein heisst Nein, die Verteilung der unbezahlten Arbeit und des Geldes – noch lang nicht erledigt.
Und weil ich damit rechne, dass die Nachkommen ein, zwei Generationen mit Populismus als relevante Kraft konfrontiert sein werden, investiere ich weiter in die politische Gegenbewegung. In die Sozialdemokratie und den Liberalismus als Begriff der Freiheit. Und damit meine ich nicht den blöden Spruch vom Glückes Schmied. Sondern die Unterstützung eines Selbstverständnisses, gerade von jungen Menschen aus aller Welt, das stabil aber nicht starr ist – das sich von Herkunft unabhängig zu machen vermag. Und die Förderung eines Zusammenlebens, wo sich die Freiheiten des einen und der anderen vielleicht harmonisch begegnen, aber ihre Grenzen ohne Unterdrückung oder gar Krieg aneinanderstossen. Ich weiss, wie schwierig das ist, denn mein Alltag fand noch nie in einer Blase statt, an manchen Tagen lasse ich so viele Federn, dass mich abends friert.
Seit ich denken kann, treibt mich das freie Wort um, die freie Presse – im Wissen um den hohen Preis, den so viele dafür zahlten und noch zahlen werden. Es wäre vermessen, zu glauben, ich könnte verhindern, dass Menschen (die niemand gewählt hat) durch Firmen ihre Macht über andere ausbauen, indem sie die Information okkupieren. Was ich aber tun kann, ist darauf hinzuweisen. Und mitzuhelfen, die freie Information zu fördern. Vielleicht sind das dereinst nur noch Bücher und Zeitschriften, die in Wohnstuben verlegt und in Hinterzimmern gedruckt werden. Es wäre ja nicht das erste Mal.
Frohe, lesereiche Adventszeit allerseits!

Diary: Monday to Sunday

Ich schreib seit jeher irgend eine Form von Tagebuch, manches nur für mich, manches für mich und die Welt, manches nur für die Welt. Heute – als Rückblick – wieder einmal hier:
23.04.2018: Ich beginne die 4. von 5 Sequenzen meines CAS zur Schulleiterin. Es geht um Theorie und Praxis im Qualitätsmanagement. Diese Weiterbildung ist etwas in Vergessenheit geraten, aber die bis jetzt nötigen Leistungsnachweise habe ich erbracht und die Zugangsdaten zur Onlineplattform sind am richtigen Ort gespeichert, immerhin. Abends gehe ich noch ins Büro für allerletzte Korrektürchen und gebe das GzD für den „Pegasus“, der am nächsten Tag erscheinen soll.
24.04.2018: Morgens früh um sechs mache ich mir ein Picknick im Tupperware und gesund, aber ich vergesse es. Ich stehe also an der Fachhochschule für Essen an, das weniger gesund und in Plastik verpackt ist, während das Selbstgemachte in der immer wärmer werdenden heimischen Küche den Weg alles Irdischen geht. Meine Konzentration auf QM? Leidlich. Mühsame Heimfahrt mit Verspätung, Mann kommt aus Japan zurück. Ich träume schlecht, stehe lieber auf und beantworte sämtliche E-Mails (die ich erst am Morgen losschicke, denn Leute, die mitten in der Nacht mailen, sind verdächtig, schlecht organisiert, ungeliebt oder ausgebrannt).
25.04.2018: Trotz kurzer Nacht stehe ich gutgelaunt eine Minute nach Öffnung in meiner Lieblings-Bäckerei (unscheinbar, no website, von Frauen erfunden und geführt), um Kuchen auszuwählen für eine Birthday-Party in unserem Kurs. Um 7.00 Uhr auf dem Zug, wo ich mir von einem für mich brasilianisch aussehenden Asiaten die Schweiz erklären lasse. Es wird ein gelungener Tag und ein entspannter Abend: Uns Eltern erreicht die Nachricht, dass der Sohn seinen Bachelor (richtig gut) bestanden hat.
26.04.2018: Zurück in der Schule, wo Berge sich erheben und Sitzungen von einer Themenvielfalt mich erwarten, ob der mir leicht schwindlig wird. Das was gestern hätte fertig werden sollen mit dem, was heute zu tun ist und dringend für in einem Jahr budgetiert werden muss und sich aufgrund der Reform XY 2022 komplett ändern wird. Aber ich komme in den Flow und freue mich auf die Familienfeier zum Geburtstag des Sohnes, der nun schon 23 Jahre alt ist.
27.04.2018: Ich verschlafe die Hatha-Yoga-Lektion und lese statt dessen Erinnerungen an Israel, ein Land, das mir nah ist. Danach gehe ich zu meinem Termin auf die Polizeiwache, um eine Anzeige zurückzuziehen, denn die Chance, dass ich den Betrug nachweisen kann, ist einfach zu klein. Der Polizist führt mich freundlich an Fahnen, Halstüchern und Transparenten von Berner Sportvereinen vorbei ins Untergeschoss in einen heissen Raum ohne Lüftung. Er hat vor unserem Treffen extra Deo angesprayt, was mich beinahe zu Tränen rührt. Zurück im Büro muss ich eine Lernende aus der Klasse holen, um etwas zu (er)klären, worüber ich täglich bloggen könnte, ein Leben lang und immer noch nicht fertig werden würde. So ist es einfach mit den verschiedenen Werten. Ansonsten ein guter Tag, der beim gemütlichen Znacht mit Sohn und Freundin im Biergarten endet – wie auch die Wirkung des Heuschnupfenmedikamentes.
28.04.2018: Morgens holen wir die Mischpakete für uns selber und Freunde beim Bauern ab, er erläutert seine weiteren Pläne, die wahrlich innovativ und erhellend sind, wenn ich bloss nicht so müde wäre. Danach Computerkauf mit dem vollumfänglich erwachsenen Kind zu Geburtstag und Studienabschluss. Dann das Bisschen Haushalt, das sich schon eine ganze Weile staut; dazu Teile des Mischpakets auf dem Grill und YB-Match auf dem Handy.
30.04.2018: Mit dem Velo und dem hurtig gebackenen Hefekranz zu Mutter und Schwester in den wilden Westen. Während der Mann deren Steuererklärungen ausfüllt, lassen meine dreijährige Nichte und ich uns treiben. Sie trägt ihre Uhr heute ums Fussgelenk und wir setzen uns jedes Mal hin, um die Zeit zu lesen. Eis essen geht auch besser so.
Spaziergang mit Nichte am Steuererklärungssonntag

Zum internationalen Frauentag

In meiner Erinnerung war ich ein merkwürdiges Mädchen. Aber das ist lange her und ich weiss nicht, was mich zu der Frau gemacht hat, die mit 15 Jahren de Beauvoir gelesen und seither nie aufgehört hat, sich Frauenfragen zu stellen. Heute liegt meine Hoffnung bei den Stimmen der Mädchen, die enorme Kraft entfalten und sogar gehört werden. Von Malala Yousafzai bis Emma González: In den letzten Jahren vermochten viele junge Frauen, Menschen zu bewegen.
Wie meine Nichte. Hier ihre Geschichte, soweit ich davon Kenntnis habe. Die Familie ihres Vaters verlor im Februar eine Onkel und treuen Freund, den die Seinen liebten und der als weiser Dorfälterer weit herum geachtet war. Hunderte von Menschen strömten zu seinem Haus im kleinen Ort Pobergj, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Die Klageweiber sangen für jeden einzelnen neben dem Leichnam, sie erzählten in ihrem Lied von der Verbindung der Besucher zum Verstorbenen. Vor dem kargen Friedhof, auf dem das Grab ausgehoben wurde, bildeten sich lange Schlagen von Männern, denn ihnen ist die Beerdingung vorbehalten.

Kondolieren

Frauen beerdigen nicht, weder ihre Ehemänner, noch ihre Kinder. Sie verabschieden die geliebte Person daheim und danach beginnt für sie wieder die Arbeit und das Warten: Auf die Rückkehr der Männer, auf die nächste Schwangerschaft, auf den eigenen Tod. Die meisten Frauen akzeptieren das. Doch es gibt auch solche, die sich fragen, wann es ändert und ob sie das noch erleben werden? Ja. Sie haben es erlebt. Meine Nichte packte eine einmalige Gelegenheit, welche, ist ihr Geheimnis. Unbestritten ist: Zusammen mit ihrem Bruder und den Cousins führte sie als erstes Mädchen, als erste Frau, in der Geschichte des Dorfes einen Trauerzug an und nahm an der Beerdigung ihres Grossonkels teil.

Letztes Geleit

Als Trägerin des Portraits des Toten war sie die einzige ausser dem Imam, die während der Gebete am Grab aufrecht bleiben durfte. Da steht also ein Mädchen mit Pussyhat neben dem Vorbeter, weiteherum sichtbar, vor lauter knienden Männern. Ein unvergesslicher Moment. Wir verwandten Frauen – ob im Kosovo oder in der Schweiz – können gar nicht aufhören, ihn uns beschreiben zu lassen; wir weinen vor Glück und hoffen, das sei erst der Anfang.

Im Februar 2018 auf dem Friedhof in Pobergj

30 Jahre Buchhandel: Kraft los

Vor dreissig Jahren unterschrieb ich meinen Lehrvertrag in der Münstergass-Buchhandlung. Ein denkwürdiger Moment meines Lebens und eine gute Tat an mir selber, die ich niemals bereute habe.

Kurz nach der Lehre in der Münstergass-Buchhandlung an der Hermes

Zugegeben, inzwischen bin ich müde. Der zurückgelegte Weg erscheint einerseits lang, gleichzeitig kommt es mir vor, als wäre ich auf der Stelle getreten, hätte mein ganze Berufsleben nichts anderes getan, als Abbau und irgendwo anders wieder Aufbau mit weniger von allem betrieben; beides unter Druck. Ich musste mich und andere Beteiligte sowie die Prozesse immer in grosser Eile anpassen. Angetrieben hat mich die Unabhängigkeit und Vielseitigkeit von Informationen, deren Verfügbarkeit und Verbreitung. Von meinem ersten Lehrlingslohn hab ich mir einen klitzekleinen Teil der WOZ erkauft, von einem meiner ersten echten Löhne eine Beteiligung an der cinématte und heute bin ich natürlich „Verlegerin“ #9824 bei der Republik und gute Kundin bei den Buchhandlungen im Netzwerk b-lesen.

Aber ist es denn wirklich so wichtig? Lohnt es diesen Kampf? Dreissig Jahre schaue ich bei Zerfall oder gar Zerstörung von Informationsstrukturen zu, die Basis der Demokratie sind. Heute beteiligte ich mich als Externe am Warnstreik bei der sda und muss sagen: Chapeau, die tun, was sie können! Sind schon gekündigt und doch hellwach bei der Sache. Aber ist es sinnvoll um etwas zu kämpfen, was so viele Leute gar nicht mehr wollen? Lohnt sich der Kraftakt, Menschen ohne Groll und Überheblichkeit zu erklären, dass ihre Infos echt nicht wie gewohnt aus „dem Internet“ kommen, wenn man die Schweizer Zeitung nicht mehr bezahlt, die SRG abschafft und die Depeschenagentur zu Tode spart?
Dass es wirklich keine Buchhandlungen mehr gibt, wenn man dort nichts kauft, auch nicht plötzlich vor Weihnachten, wenn’s dann so romantisch wäre? Bringt das überhaupt etwas? Diese Frage beschäftigt mich seit jeher und ich beantworte sie in der Regel mit einem enthusiastischen Ja. Denn das Neue, das Originelle, das Rettende: Es kommt auf leisen Sohlen. Es wächst in Gärten, die sorgfältig angelegt wurden, die jemandes Motivation und Stolz sind, für die sich jemand aufopfert.
Heute jedoch ist kein solcher Tag. Heute muss ich mehrmals „There but for Fortune“ hören, um mich morgen wieder aufzuraffen.
„30 Jahre Buchhandel: Kraft los“ weiterlesen

Ein Traum

Als Hardcore-Träumerin seit Kindsbeinen ist für mich das nächtliche Aufwachen und Aufschreiben alltäglich. Dennoch kommt es kaum vor, dass ein Traum in seiner ganzen Länge dokumentierbar ist und ich ihn so komplett erinnere. Das finde ich denkwürdig.
Ich sass in der Todeszelle. Ich trug diesen orangen Anzug, den man aus den Nachrichten und Filmen zum Thema kennt. Vor der schweren Metalltüre, aber erstaunlicherweise innerhalb meiner Zelle, stand ein kräftiger Wachmann mit nettem Gesicht. Ich bin nicht ganz sicher, aber es könnte Guillaume Cizeron, der Paartänzer im Eiskunstlauf, gewesen sein. Das Wandtelefon meiner Grosseltern schrillte, ich wusste sogar seine Nummer: 809 12 70. Ich hob ab und war unsicher, mit welchem Firmennamen ich mich melden sollte. Noch unentschlossen, hörte ich am anderen Ende schon die aufgestellte Stimme meiner kunstaffinen Französischlehrerin, die mir mitteilte, sie würde die Biennale di Venezia vorzeitig abbrechen, um mich rechtlich zu vertreten. Dank eines brandneuen Handys mit endloser Akkulaufzeit, welches Ellen de Generes für meine Verteidigung gesponsort habe, werde das kein Problem sein, wobei diese Telefonspende das einzige sei, was Ellen für mich tun könne, das lasse sie mir ausrichten und viel Glück. Weiter liess mich meine Französischlehrerin-Anwältin wissen, ich bekäme einmalig Freigang und zwar nur genau eine Stunde. Ich fragte „wohäre?“ (wohin) und sie meinte, das dürfe ich selber wählen, ich müsse mich jedoch sofort entscheiden, man warte bereits auf meine Antwort. In dem Augenblick begriff ich den Ernst der Lage und erkannte, dass es die einzige Karte war, auf die ich setzen konnte, gar meine letzte Chance im Leben und sagte: „In die Schule.“
Dann wachte ich auf.

Traum in der Nacht vom 26. November 2017

Zwischen den Stühlen

Ich schreibe allerlei, aber nicht hier, was ich immer ein wenig bedaure. Drei halbfertige Beiträge harren meiner Bearbeitung. Der Buchmessebesuch dieses Jahr muss unbedingt festgehalten werden, er war mein 23. und lustigster. Auch meine Schulleiterausbildung hat inzwischen Highlights und Dämpfer erfahren, die eigentlich in mein Tagebuch gehörten. Und den Nachruf auf einen der besten ehemaligen Lehrer unserer Schule habe ich – auf Wunsch vieler – auch fast fertig.
Aber es soll nicht sein im Moment. Die mir zur Verfügung stehenden Worte sind an anderer Stelle gefragt und ich muss mich arg konzentrieren, damit sie sich nicht aus dem Staub machen. Denn das wäre schlecht, ich habe redeintensive Prüfungen und Tagungen und die Ehre, am Samstag ein Referat zu halten. Gerade dieses erscheint mir noch immer als sehr unwirklich, so als Bernerin in einem Kreis hochgebildeter Menschen aus Zürich. Vor allem auch der Ort. Ich war noch nie im Leben an der ETH. Doch ich versuche einfach, meinem Auftrag, den die Veranstalterin mit gegeben hat, treu zu bleiben.

Programm Tagung Lebendiges Buch 1

Ich werde nach bestem Wissen die Brücke schlagen zwischen dem Ausnahmebuchhändler Heinrich Fries, der in seinen 60 Berufsjahren nationale Bekanntheit erlangt hat und der heutigen unbekannten Buchhändlerin auf ihrem unbequemen, dafür freien Platz zwischen allen Stühlen.

Programm Tagung Lebendiges Buch 2

Zwischenstand

Worüber ich bloggen würde, wenn ich weniger Schlaf bräuchte:

  • Social Media und deren Relevanz aus Sicht von Menschen u20; dazu nämlich geben meine Azubis morgen eine Weiterbildung für Lehrpersonen und Mitarbeitende der Verwaltung.
  • Eine Standortbestimmung meiner Weiterbildung zur Schulleiterin (eine Arbeit ist abgegeben, eine in der Mache, eine in Planung) und ein Ausblick für mich selbst.
  • Die Konsequenzen aus der fehlenden Integration von Zugewanderten aus patriarchalen Gesellschaften.
  • Den Wandel der Frankfurter Buchmesse im Laufe von drei Jahrzehnten (ich werde dieses Jahr ebenda zum 25. Mal meine Kilometer abrennen).
  • Die Angst meiner geschätzten, politisch versierten deutschen Freundinnen und Freunde vor der AfD, die meiner Meinung nach zu gross ist.
  • Das wunderbare Buch „Hillbilly Elegy“ von J.D. Vance, weil mir selten etwas so geholfen hat, anderen meine Schwäche für Schwache, die bei näherer Betrachtung unglaubliche Stärken haben, zu erklären.
  • Leider sind meine Tage zu voll zum Bloggen und in den Nächten melden sich die Lebensjahre in Form einer Müdigkeit, die ich hoffentlich bald einmal als Geschenk betrachten werde.