Aufgeräumte Vorbilder

Mit Tomi Ungerer hat mein letztes grosses Vorbild den Jordan überschritten (alle siehe oben im Banner-Header). Das ist noch schwer vorstellbar für mich, aber tut seiner Funktion als Modell in meinem Leben bestimmt keinen Abbruch. Wer seine Stimme und französisch-deutsch gemischte Sprache hören möchte, dem sei ein Gespräch ans Herz gelegt, das Claudia Dammann 2013 in Zürich, im Diogenes Verlag, mit ihm geführt hat. (Denen in Zeitnot empfehle ich Minute 18:00 bis 22:00 über Liebesallergie oder gar bis Minute 25:00 zu den Gründen fürs Kinderbuchmachen).
Ich habe die Gelegenheit genutzt, hier ein wenig aufzuräumen und die Links zu prüfen. Die Kategorie „CAS Schulleitung“ ist aufgehoben – diese Weiterbildung schliesse ich am 15. März ab, ohne darüber Wesentliches gebloggt zu haben. Ansonsten bleibt alles beim Alten auf nja.ch.

Zum Jahreswechsel

Da der allgemeingültige und mein persönlicher Jahreswechsel recht nah beieinanderliegen, kann ich ja gleich über beides nachdenken. Ich schwanke bei der Gelegenheit immer zwischen kategorischem Imperativ und emmentalerischer Dankbarkeit, wieder ein Jahr älter, noch immer gesund und doch bereit für das jüngste Gericht zu sein. Zudem habe ich jedes Mal, wenn eine neue Dekade im Anzug ist, das Bedürfnis, einen grösseren Schritt zu tun. Mit dreissig wollte ich unbedingt und erstmals im Leben ein Zimmer für mich allein (brauch ich nicht mehr), mit vierzig trat ich von allen Ehrenämtern zurück (netter Versuch) und auf mein Fünfzigstes hin kehre ich wohl wieder zurück zu den Wurzeln. Ich war immer eine Feministin. Weniger vorne auf der Demo, sondern eher die in der Delegation, die in den Achtzigern mit Architekten darüber stritt, warum beim Bau von Unterführung (Beleuchtung?) oder Parkplatz (Übersichtlichkeit?) oder der öffentlichen Toilette (wieder nur Pissoirs?), die Bedürfnisse der halben Bevölkerung ignoriert werden? Das immerhin ist erreicht, aber die Lohngleichheit, die Diversity in Firmen, Nein heisst Nein, die Verteilung der unbezahlten Arbeit und des Geldes – noch lang nicht erledigt.
Und weil ich damit rechne, dass die Nachkommen ein, zwei Generationen mit Populismus als relevante Kraft konfrontiert sein werden, investiere ich weiter in die politische Gegenbewegung. In die Sozialdemokratie und den Liberalismus als Begriff der Freiheit. Und damit meine ich nicht den blöden Spruch vom Glückes Schmied. Sondern die Unterstützung eines Selbstverständnisses, gerade von jungen Menschen aus aller Welt, das stabil aber nicht starr ist – das sich von Herkunft unabhängig zu machen vermag. Und die Förderung eines Zusammenlebens, wo sich die Freiheiten des einen und der anderen vielleicht harmonisch begegnen, aber ihre Grenzen ohne Unterdrückung oder gar Krieg aneinanderstossen. Ich weiss, wie schwierig das ist, denn mein Alltag fand noch nie in einer Blase statt, an manchen Tagen lasse ich so viele Federn, dass mich abends friert.
Seit ich denken kann, treibt mich das freie Wort um, die freie Presse – im Wissen um den hohen Preis, den so viele dafür zahlten und noch zahlen werden. Es wäre vermessen, zu glauben, ich könnte verhindern, dass Menschen (die niemand gewählt hat) durch Firmen ihre Macht über andere ausbauen, indem sie die Information okkupieren. Was ich aber tun kann, ist darauf hinzuweisen. Und mitzuhelfen, die freie Information zu fördern. Vielleicht sind das dereinst nur noch Bücher und Zeitschriften, die in Wohnstuben verlegt und in Hinterzimmern gedruckt werden. Es wäre ja nicht das erste Mal.
Frohe, lesereiche Adventszeit allerseits!

Pegasus, zum 126. Male

Heute gibt es gute Gründe, zynisch zu werden und noch bessere, es sein zu lassen. Zum Beispiel unsere Begegnungen mit anderen. Das sind so viel mehr, als unsere Vorfahren es sich je hätten vorstellen können. Die Perspektive wechseln, Meinungen aufschreiben, anlesen und kommentieren, die eigene Position verändern, sich selbst und einander finden – das inspiriert, deprimiert, wirkt mal verdunkelnd, mal erhellend. Der Dialog ist zur Voraussetzung geworden für das Leben im globalen Dorf, die Dialogfähigkeit zur weltumspannenden Schlüsselkompetenz.
In Buchhandlungen treffen Menschen und ihre Geschichten aufeinander – wo gibt es mehr Begegnungen? Wir haben die hehre Aufgabe, Orte und Zeit für Empathie zu schaffen. Das Verständnis zu fördern, indem wir Bücher verfügbar machen und ein Umfeld erschliessen, das Menschen anregt, sich zu bilden. Nicht allein im intellektuellen Sinne, sondern zu dem, was sie sein möchten in der Gesellschaft.
In dieser Nummer geht es um die individuellen und vereinten Kräfte von Buchhändlerinnen und Buchhändlern, die ihren Beruf gewählt haben, weil sie die Zukunft gestalten wollen. Überzeugt, am Ende der Gewissheit einen neuen Anfang zu finden.
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Moments in time

Das Schuljahr ist aus und damit enden auch viele Beziehungen, die für den Alltag prägend waren. Die hier Mitlesenden kennen es, doch viele Menschen meinen, die Schule sei träge und unbeweglich. Das Gegenteil ist wahr, Schule ist immer im Fluss und von grosser Resilienz. Jedes Jahr, wenn ich vor den Reden an den Diplomfeiern meine Agenda durchklicke und sehe, was ich mit diesen Klassen und Kollegien erlebt habe, erschüttert mich das fast schon. Es war so viel, es war teilweise so hart, manchmal so anrührend und schön.
Unsere Galerien der Feierlichkeiten sind online, „meine“ Feiern mit Buchhändlerinnen und den Fachleuten Kundendialog hinterliessen allüberall gute Gefühle. Die Lesung mit der sagenhaften Frau Gomringer wird noch lange nachklingen. Sie hat mir vor vollem Saal ein Kompliment für meine Vernunft gemacht, wow. Man attestiert mir Herzblut, Sozialkompetenz, Effizienz, Kommunikationstalent – aber Vernunft? Das wird mir unvergesslich bleiben.
Es ist so schön, die Menschen und Organisationen, die zu den Feiern beitragen, mit Impressionen zu versorgen! Ich schätze mich glücklich, dass wir uns einen Fotografen leisten, das ist bei vielen Schulen nicht möglich. Ich kämpfe intern dafür, dass wir hier Prioritäten setzen, auch in Zeiten von Handybildern – die ja einfach dazugehören. Nichts erreicht die Wirkung von guter Fotografie bei Verbänden, Spendern, Ehemaligen, Kolleginnen und Kollegen, der Floristin, den Catering-Powerfrauen, den Rednerinnen und Rednern, den Abschlussklassen und bei mir selber.
Nun mache ich Ferien, setze mich mit meinen ungelesenen Büchern und merkwürdigen (Alp)träumen auseinander. Leider steht es nicht in meiner Macht zu verhindern, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Aber es gelingt mir einigen, die den Weg überstanden haben oder ihren Kindern dabei zu helfen, einen Beruf zu lernen. Das erschient mir viel zu wenig, doch wenn sie sich bei mir verabschieden, sagen sie, es sei viel – und in diesem Moment glaube ich ihnen und bin glücklich.

Dank an die Abteilungsleiterin

Diary: Monday to Sunday

Ich schreib seit jeher irgend eine Form von Tagebuch, manches nur für mich, manches für mich und die Welt, manches nur für die Welt. Heute – als Rückblick – wieder einmal hier:
23.04.2018: Ich beginne die 4. von 5 Sequenzen meines CAS zur Schulleiterin. Es geht um Theorie und Praxis im Qualitätsmanagement. Diese Weiterbildung ist etwas in Vergessenheit geraten, aber die bis jetzt nötigen Leistungsnachweise habe ich erbracht und die Zugangsdaten zur Onlineplattform sind am richtigen Ort gespeichert, immerhin. Abends gehe ich noch ins Büro für allerletzte Korrektürchen und gebe das GzD für den „Pegasus“, der am nächsten Tag erscheinen soll.
24.04.2018: Morgens früh um sechs mache ich mir ein Picknick im Tupperware und gesund, aber ich vergesse es. Ich stehe also an der Fachhochschule für Essen an, das weniger gesund und in Plastik verpackt ist, während das Selbstgemachte in der immer wärmer werdenden heimischen Küche den Weg alles Irdischen geht. Meine Konzentration auf QM? Leidlich. Mühsame Heimfahrt mit Verspätung, Mann kommt aus Japan zurück. Ich träume schlecht, stehe lieber auf und beantworte sämtliche E-Mails (die ich erst am Morgen losschicke, denn Leute, die mitten in der Nacht mailen, sind verdächtig, schlecht organisiert, ungeliebt oder ausgebrannt).
25.04.2018: Trotz kurzer Nacht stehe ich gutgelaunt eine Minute nach Öffnung in meiner Lieblings-Bäckerei (unscheinbar, no website, von Frauen erfunden und geführt), um Kuchen auszuwählen für eine Birthday-Party in unserem Kurs. Um 7.00 Uhr auf dem Zug, wo ich mir von einem für mich brasilianisch aussehenden Asiaten die Schweiz erklären lasse. Es wird ein gelungener Tag und ein entspannter Abend: Uns Eltern erreicht die Nachricht, dass der Sohn seinen Bachelor (richtig gut) bestanden hat.
26.04.2018: Zurück in der Schule, wo Berge sich erheben und Sitzungen von einer Themenvielfalt mich erwarten, ob der mir leicht schwindlig wird. Das was gestern hätte fertig werden sollen mit dem, was heute zu tun ist und dringend für in einem Jahr budgetiert werden muss und sich aufgrund der Reform XY 2022 komplett ändern wird. Aber ich komme in den Flow und freue mich auf die Familienfeier zum Geburtstag des Sohnes, der nun schon 23 Jahre alt ist.
27.04.2018: Ich verschlafe die Hatha-Yoga-Lektion und lese statt dessen Erinnerungen an Israel, ein Land, das mir nah ist. Danach gehe ich zu meinem Termin auf die Polizeiwache, um eine Anzeige zurückzuziehen, denn die Chance, dass ich den Betrug nachweisen kann, ist einfach zu klein. Der Polizist führt mich freundlich an Fahnen, Halstüchern und Transparenten von Berner Sportvereinen vorbei ins Untergeschoss in einen heissen Raum ohne Lüftung. Er hat vor unserem Treffen extra Deo angesprayt, was mich beinahe zu Tränen rührt. Zurück im Büro muss ich eine Lernende aus der Klasse holen, um etwas zu (er)klären, worüber ich täglich bloggen könnte, ein Leben lang und immer noch nicht fertig werden würde. So ist es einfach mit den verschiedenen Werten. Ansonsten ein guter Tag, der beim gemütlichen Znacht mit Sohn und Freundin im Biergarten endet – wie auch die Wirkung des Heuschnupfenmedikamentes.
28.04.2018: Morgens holen wir die Mischpakete für uns selber und Freunde beim Bauern ab, er erläutert seine weiteren Pläne, die wahrlich innovativ und erhellend sind, wenn ich bloss nicht so müde wäre. Danach Computerkauf mit dem vollumfänglich erwachsenen Kind zu Geburtstag und Studienabschluss. Dann das Bisschen Haushalt, das sich schon eine ganze Weile staut; dazu Teile des Mischpakets auf dem Grill und YB-Match auf dem Handy.
30.04.2018: Mit dem Velo und dem hurtig gebackenen Hefekranz zu Mutter und Schwester in den wilden Westen. Während der Mann deren Steuererklärungen ausfüllt, lassen meine dreijährige Nichte und ich uns treiben. Sie trägt ihre Uhr heute ums Fussgelenk und wir setzen uns jedes Mal hin, um die Zeit zu lesen. Eis essen geht auch besser so.
Spaziergang mit Nichte am Steuererklärungssonntag

125. Pegasus: Freie Worte

Das neue Flügelpferd ist da. Weil wir am 3. Mai den internationalen Tag der Pressefreiheit begehen und sich dieses Jahr die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten zum 85. Male jährt, ist das ein wichtiges Thema. Es ist bei jungen Menschen hier nicht mehr so präsent – aber viele interessieren sich, wofür ich dankbar bin. Natürlich gibt es in der neuen Nummer noch anderes: Einer unserer Azubis hat zur Sinnfrage geschrieben und illustriert (S. 8), andere haben ein Biedermeier-Rätsel kreiert (S. 14) und eine Gruppe hat die Gedanken zur Grossmutter in Balladenform aufgeschrieben (S. 17). Ich freue mich über diese Ausgabe und hoffe wie jede Redaktion, sei sie noch so klein, viele andere auch.
Aus der Rubrik „In eigener Sache“:

Mit einer gedruckten Auflage von 400 Exemplaren und ca. 80 geöffneten PDFs gehören wir nicht zu den Meinungsmachern. Wir haben den Anspruch, neutral über die Buchbranche zu berichten und legen grossen Wert auf die Mitwirkung aller daran Beteiligten. Negative Entwicklungen im Bereich Berichterstattung und Meinungsfreiheit beschäftigen uns. Wenn wir können, beziehen wir Position. Ein Beispiel dafür ist der (Zer)Fall der sda/ats, zu dem wir oft twittern.
Die tragische Jahresbilanz der «Reporter ohne Grenzen» führt uns vor Augen, wie dankbar wir für die Demokratie und den Frieden im Lande sein können – beides ist nicht einfach Glück, sondern ein Ergebnis der Meinungs- und Pressefreiheit. 2017 sind weltweit mindestens 65 Berichterstatterinnen und Berichterstatter bei ihrer Arbeit getötet worden, die Hälfte davon nicht einmal in bewaffneten Konflikten, sondern weil sie gezielt ermordet wurden. 326 Medienschaffende befanden sich Ende letzten Jahres ihres Berufes wegen in Haft und 54 sind als entführt registriert. Falls Sie am 3. Mai 2018, am internationalen Tag der Pressefreiheit, eine Aktion machen, schauen Sie für Neuigkeiten auf der Website vorbei.
Die Entwicklung im Internet hat nicht nur zu Gratiskultur und Datenmissbrauch geführt, sondern auch dazu, dass wir vergessen, was für ein hohes Gut unabhängige Information ist. Dass Information für uns von Profis beschafft, bewertet und aufbereitet wird und dass sie unter allen Umständen frei bleiben muss.
Diesen Text zu lesen dauerte für Sie als geübte Leserin, geübten Leser, eine Minute. Das war Ihre Schweigeminute für all jene, die dafür ihre Existenz riskieren oder gar ihr Leben geben.

Zum internationalen Frauentag

In meiner Erinnerung war ich ein merkwürdiges Mädchen. Aber das ist lange her und ich weiss nicht, was mich zu der Frau gemacht hat, die mit 15 Jahren de Beauvoir gelesen und seither nie aufgehört hat, sich Frauenfragen zu stellen. Heute liegt meine Hoffnung bei den Stimmen der Mädchen, die enorme Kraft entfalten und sogar gehört werden. Von Malala Yousafzai bis Emma González: In den letzten Jahren vermochten viele junge Frauen, Menschen zu bewegen.
Wie meine Nichte. Hier ihre Geschichte, soweit ich davon Kenntnis habe. Die Familie ihres Vaters verlor im Februar eine Onkel und treuen Freund, den die Seinen liebten und der als weiser Dorfälterer weit herum geachtet war. Hunderte von Menschen strömten zu seinem Haus im kleinen Ort Pobergj, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Die Klageweiber sangen für jeden einzelnen neben dem Leichnam, sie erzählten in ihrem Lied von der Verbindung der Besucher zum Verstorbenen. Vor dem kargen Friedhof, auf dem das Grab ausgehoben wurde, bildeten sich lange Schlagen von Männern, denn ihnen ist die Beerdingung vorbehalten.

Kondolieren

Frauen beerdigen nicht, weder ihre Ehemänner, noch ihre Kinder. Sie verabschieden die geliebte Person daheim und danach beginnt für sie wieder die Arbeit und das Warten: Auf die Rückkehr der Männer, auf die nächste Schwangerschaft, auf den eigenen Tod. Die meisten Frauen akzeptieren das. Doch es gibt auch solche, die sich fragen, wann es ändert und ob sie das noch erleben werden? Ja. Sie haben es erlebt. Meine Nichte packte eine einmalige Gelegenheit, welche, ist ihr Geheimnis. Unbestritten ist: Zusammen mit ihrem Bruder und den Cousins führte sie als erstes Mädchen, als erste Frau, in der Geschichte des Dorfes einen Trauerzug an und nahm an der Beerdigung ihres Grossonkels teil.

Letztes Geleit

Als Trägerin des Portraits des Toten war sie die einzige ausser dem Imam, die während der Gebete am Grab aufrecht bleiben durfte. Da steht also ein Mädchen mit Pussyhat neben dem Vorbeter, weiteherum sichtbar, vor lauter knienden Männern. Ein unvergesslicher Moment. Wir verwandten Frauen – ob im Kosovo oder in der Schweiz – können gar nicht aufhören, ihn uns beschreiben zu lassen; wir weinen vor Glück und hoffen, das sei erst der Anfang.

Im Februar 2018 auf dem Friedhof in Pobergj

30 Jahre Buchhandel: Kraft los

Vor dreissig Jahren unterschrieb ich meinen Lehrvertrag in der Münstergass-Buchhandlung. Ein denkwürdiger Moment meines Lebens und eine gute Tat an mir selber, die ich niemals bereute habe.

Kurz nach der Lehre in der Münstergass-Buchhandlung an der Hermes

Zugegeben, inzwischen bin ich müde. Der zurückgelegte Weg erscheint einerseits lang, gleichzeitig kommt es mir vor, als wäre ich auf der Stelle getreten, hätte mein ganze Berufsleben nichts anderes getan, als Abbau und irgendwo anders wieder Aufbau mit weniger von allem betrieben; beides unter Druck. Ich musste mich und andere Beteiligte sowie die Prozesse immer in grosser Eile anpassen. Angetrieben hat mich die Unabhängigkeit und Vielseitigkeit von Informationen, deren Verfügbarkeit und Verbreitung. Von meinem ersten Lehrlingslohn hab ich mir einen klitzekleinen Teil der WOZ erkauft, von einem meiner ersten echten Löhne eine Beteiligung an der cinématte und heute bin ich natürlich „Verlegerin“ #9824 bei der Republik und gute Kundin bei den Buchhandlungen im Netzwerk b-lesen.

Aber ist es denn wirklich so wichtig? Lohnt es diesen Kampf? Dreissig Jahre schaue ich bei Zerfall oder gar Zerstörung von Informationsstrukturen zu, die Basis der Demokratie sind. Heute beteiligte ich mich als Externe am Warnstreik bei der sda und muss sagen: Chapeau, die tun, was sie können! Sind schon gekündigt und doch hellwach bei der Sache. Aber ist es sinnvoll um etwas zu kämpfen, was so viele Leute gar nicht mehr wollen? Lohnt sich der Kraftakt, Menschen ohne Groll und Überheblichkeit zu erklären, dass ihre Infos echt nicht wie gewohnt aus „dem Internet“ kommen, wenn man die Schweizer Zeitung nicht mehr bezahlt, die SRG abschafft und die Depeschenagentur zu Tode spart?
Dass es wirklich keine Buchhandlungen mehr gibt, wenn man dort nichts kauft, auch nicht plötzlich vor Weihnachten, wenn’s dann so romantisch wäre? Bringt das überhaupt etwas? Diese Frage beschäftigt mich seit jeher und ich beantworte sie in der Regel mit einem enthusiastischen Ja. Denn das Neue, das Originelle, das Rettende: Es kommt auf leisen Sohlen. Es wächst in Gärten, die sorgfältig angelegt wurden, die jemandes Motivation und Stolz sind, für die sich jemand aufopfert.
Heute jedoch ist kein solcher Tag. Heute muss ich mehrmals „There but for Fortune“ hören, um mich morgen wieder aufzuraffen.
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Zeichen des Dankes

Seit 2007, dem Jahr, in dem ich als Abteilungsleiterin Buchhandel angefangen habe, bedanke ich mich bei Lehrerinnen und Lehrern wie auch meinen Kollegen zum Jahresende mit einem Buchzeichen. Manchmal bestelle ich es auf einer Buchmesse, manchmal in einem Atelier, manchmal mache ich es auch selber. Dieses Jahr hat es Any, eine Kalligrafin, gezeichnet und beschrieben. Sie hat damit vielen Freude bereitet, sogar denen, die nicht speziell gern Bücher lesen.
In der Weiterbildung zur Schulleitern lerne ich zwar, dass solche Aktionen für ohnehin ständig überlastete Schulleitungen zur Falle werden können: Sie schürten Erwartungen, Undankbarkeit sei abzusehen. Aber für mich ist es kein Kriterium, ob ich den Standard halten kann und ich möchte das auch nicht vorleben, schon gar nicht auf Biegen und Brechen. Wenn es mit Originalität und etwas Nachtarbeit geht: Gut! Wenn beides nicht vorhanden ist: Auch ok. Die Aufmerksamkeit ist dabei ohnehin das Wichtigste, genau wie im Schulzimmer auch. Und sie kommt so oft zurück! Ich war gerührt von den mündlichen und schriftlichen Reaktionen auf das kleine Geschenk. Es ist manches aufgetaucht, das ich so nicht erwartet hätte. Zum Beispiel wird mein Lachen gemocht (ich halte mich im Arbeitsalltag tendenziell für humorlos). Ich gebe seit jeher viel dafür, auf allen neusten Kanälen erreichbar zu sein, aber dass dies noch immer geschätzt und so häufig vom Kollegium erwähnt wird, spricht gegen die Theorie der Abnutzung. Ein junger Lehrer fand für mich sogar ein Goethe-Gedicht, dem ich – trotz monumentalem Goetheunterricht sowohl in der Steiner- als auch an der Buchhändlerschule – noch nie zuvor begegnet war. Solche Zeichen lassen mich nicht nur innehalten, nein, sie machen mir erst meinen wunderbaren Job begreiflich.
Zeichen des Dankes 2017