Glanzmann

Kaspar Wolfensberger, Glanzmann
Kaspar Wolfensberger,
Glanzmann
Appenzeller Verlag 2004

Es gibt allerlei, was ich gar nicht gerne weiterempfehle. Einsame Aussichtspunkte, wunderbare Spazierwege, ausgestorbene Strände, leere Saunen.
Es passiert mir sogar ab und zu – und wider meine Berufung – bei einem Buch. Oder bei einem Protagonisten. Weil ich finde, das sei meiner. Die Hauptfigur in „Glanzmann“, Zangger, ist so ein Fall. Das Buch war bereits auf meiner persönlichen Bestenliste 2005; besprochen habe ich es jedoch nie.
„Glanzmann“ ist nach „Zanggers Seminar“ der zweite Roman von Wolfensberger. Weil ich ganz genau weiss, dass ein Autor nur weiter schreiben kann, wenn er sein Buch verkauft, ringe ich mich nun doch durch, den netten Leserinnen und Lesern hier diese Lektüre fürs Freibad ans warme Herz zu legen.
Zangger ist Psychologe, wohnt in Zürich, hat alles, was ein gestandener Mann braucht; beruflichen Erfolg, eine engagierte Frau, vier fast oder ganz erwachsene Kinder und einen besten Freund. Die Beschreibung von Beruf, Familie und Männerfreundschaft sowie der Stadt Zürich ist so unaufgeregt, dass ich mir ihre Prägnanz nicht erklären kann. Kein Lokalkolorit und doch ein klares Bild der Stadt. Keine perfekte Ehe aber auch keine aufgesetzten Streitereinen. Weder perfekte noch permanent pubertierende aber doch interessante Kinder, keine Staffage. Auch Seidenbast, der beste Freund, ist mehr als ein Nachfrager und Zuhörer. Im Gegensatz zu vielen Romanautoren, die einen Kriminalfall einweben, hat es Wolfensberger nicht nötig, die Nebenfiguren nur zudienen zu lassen. Gerade Seidenbast ist eine sehr eigenständige Person, schwul, Antiquar im Nebenberuf und wenn er etwas sagt, dann habe ich es nicht schon vorher gewusst.
Zur Handlung: Zanggers einstiger Förderer Glanzmann, ein geschwächter, alter, zuckerkranker Psychologe, ist besessen von einer bahnbrechenden Entdeckung, die er seinem ehemaligen Studenten mitteilen will. Doch als Zangger eintrifft, ist Glanzmann tot und seine Haushälterin auch. Was folgt, sind verschiedene Rückblenden in Glanzmanns und Zanggers Leben, die viele Verstrickungen bergen. Daneben läuft die nicht minder interessante Gegenwart: Zangger, der Seminare abhalten und gleichzeitig den Fall lösen will, bekommt die Probleme mit einem Studenten und auch die mit seiner Tochter kaum in den Griff und muss – wie übrigens schon im ersten Buch – feststellen, dass er einfach alt wird. Das analytische Vokabular hängt ihm zum Hals heraus und doch kommt er im Laufe der Geschichte nicht darum herum, sich an Details seiner Kindheit zu erinnern, die er zuvor sein Leben lang ausgeblendet hatte. Diese Stellen sind literarisch stark, frei von jeder Konstruktion und passen damit in die lange Tradition der schweizerischen Selbstbeobachtungen.
Für Leute, die gerne Schweizer Literatur entdecken, ist Wolfensberger ein Muss. Für Leute, die einfach nur Spannung auf hohem Niveau lieben, ist er ebenfalls sehr zu empfehlen. Auch denen, die einen guten Roman aus der urbanen Schweiz von heute suchen (ist selten genug). Und denen, die das Thema Missbrauch als lauernde Fallgrube menschlicher Existenz ertragen können. Und denen, die einen neuen, starken Protagonisten entdecken wollen.
Ich brauche keinen Brunetti, wenn ich Zangger habe. Und ich hoffe sehr, dass es nicht bei diesen zwei Romanen bleibt.

3 Gedanken zu „Glanzmann“

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