Roberto Saviano
Gomorrha
Hanser 2007
9783446209497
Originaltitel: „Gomorra. Viaggio nell’impero economico e nel sogno di dominio della comorra“ (2006)
Dieses Buch ist so oft und so gut besprochen worden, dass mich erst der Artikel aus der heutigen Zeitung darauf gebracht hat, es mir und anderen wieder in Erinnerung zu rufen. So begann der Artikel:
In der Nacht, wenn ihre dreihundert Büffelkühe in den Ställen schlafen, sehen Maria und Vincenzo Pennacchio am Horizont jeweils mehrere grosse Feuer lodern. In der Milch ihrer Büffel wurde Anfang März eine erhöhte Konzentration an Dioxin festgestellt, und Pennacchios sind überzeugt, dass die nächtlichen Brände verantwortlich sind für das Gift in der Milch ihrer Tiere. Was da seit rund zwei Jahren in einigen hundert Metern Entfernung regelmässig lodere, sei brennender Sondermüll, der von der Camorra heimlich verbrannt werde.
Saviano beginnt im Buch „Gomorrha“ seine Beschreibung der kampanischen Stadt Mondragone mit den Römern und dem verbleibenden grössenwahnsinnigen Geschichtsbewusstsein, die Büffelmozzarella-Hauptstadt zu sein. Er macht einen Ausflug in seine Kindheit, wo er vom Vater zum Mozzarella-Kauf geschickt worden war und berichtet wundervoll von der Unmöglichkeit zu entscheiden, woher die beste Mozzarella stamme. Die geschmacklichen Unterschiede von süsslich und zart über salzig und fest bis mild und rein sind einfach zu gross, es gebe nur eine Gemeinsamkeit: Den Nachgeschmack am Gaumen, „‚o ciato ‚e bbufala“ – der Atem der Büffelkuh. Ohne ihn keine taugliche Mozzarella.
Auch wenn es nicht danach klingt, Saviano hat ein knallhartes Sachbuch über das organisierte Verbrechen geschrieben. Nicht einfach über die Camorra, sondern auch über die erspriessliche Zusammenarbeit mit ihr in Kampanien, Italien, Europa, ja, der ganzen Welt. Saviano ist patriotisch, er erklärt ein Land, das er liebt, er will Zeugnis ablegen über die Gefahr, der die Menschen darin ausgesetzt sind. Er erzählt, was er sieht: Wie alte Bekannte, die sonst nichts mit ihrem Studium anzufangen wissen, Stakeholder des Mülls werden, wie Beamte alle Augen zudrücken, wie Chemiker Deklarationen fälschen, wie aus traumhafter Landschaft taumhafte Gewinnspannen werden, wenn man den eigenen Boden als Teppich mit Bergen und Tälern begreift, den man bloss hochzuheben braucht um alles darunter zu kehren. Wo Müllentsorgungsfirmen so erfolgreich mit den camorristischen Clans geschäften, wo die kommunale Verwaltung derart unterwandert ist, entsteht ganz selbstverständlich ein guter Ruf. Als Drehscheibe für illegalen Müll jeglicher Herkunft.
Das Dreieck Giugliano – Villaricca – Qualiano in der Provinz Neapel heisst längst nur noch Feuerland. Neununddreissig Mülldeponien, davon siebenunzwanzig mit gefährlichen Substanzen, die jährliche Zuwachsrate beträgt dreissig Prozent. (…) Die Roma sind beim Feuerlegen am tüchtigsten. Von den Clans bekommen sie fünfzig Euro für jeden niedergebrannten Müllhaufen. Es ist kinderleicht. Ein riesiger Müllberg wird mit dem Magnetband von Musik- und Videokassetten ringsherum markiert, dann wird der Müll mit Alkohol und Benzin übergossen und der Brandsalat als Zündschnur benutzt. Binnen weniger Sekunden steht alles in Flammen. Als wäre eine Napalmbombe explidiert. (…) Der tiefschwarze Rauch und das Feuer vergiften jeden Quadratzentimeter Boden mit Dioxin. Alles, was hier wächst ist krank, der Boden zunehmend unfruchtbar. Doch die Wut und das Elend der Bauern erweisen sich für die Clans wieder einmal als vorteilhaft. Sie kaufen den verzweifelten Bauern ihre Feldr zu einem Spottpreis ab und eröffnen neue Deponien.
Von 360 Seiten excellent geschriebener Dokumentation, macht der Müll ungefähr einen Sechstel aus. Schmuggel, Menschenhandel, Drogenexporte, Waffenimporte (aus der Schweiz, wie so oft), Manipulation ganzer Städte, Ausmerzung aller, die aufbegehren – aber mit wenig Spezialeffekten und ohne gesprengten Staatsanwälte. Stiller, leiser Terror der Clanwirtschaft, die gnadenlos und überall auf der Welt aus neugierigen Teenagern skrupellose Verbrecher für immer neue Organisationen zimmert.
Und wieder einmal muss ein Autor (Jg. 1979) abtauchen. Möge sein Leben noch lange andauern und leidenschaftliche Bücher hervorbringen. Es kann ja auch einmal Fiktion sein.