Ich mache mir weder viel Hoffnung noch viel Illusionen, was die Chancen des Buchmarktes betrifft. Aber kampflos und kurzsichtig wie es viele Zeitungen machen, möchte ich die Buchinhalte und die Urheberrechte nicht verschleudert sehen. Deswegen freue ich mich über den europäischen Sand in Googles Getriebe. Aber vor den Details zum „Google Book Settlement“ erlaube ich mir ein paar subjektive Ausschweifungen.
Meine Motivation, mich immer noch gegen die Scannerei von Büchern zu wehren, ist wahrscheinlich mein unerschütterlicher Glaube an Bildung aller Schichten, die gleiche Motivation, die die Befürworter angeben.
Mein Grauen davor, dass ein Jugendroman in Originalsprache oder brauchbarer Übersetzung dereinst 150 Euro kosten könnte und dem Bildungsbürgertum vorbehalten wäre, nimmt trotz aller digitalen Möglichkeiten nicht ab. Nur wer Geld hat, könnte es sich noch leisten, seinen Sprösslingen Bücher als Rettungsringe in die elektronsichen Informationsfluten zu werfen und selber für 2000 Euro die letzte verbleibende Tageszeitung zu abonnieren. Natürlich kommt dazu noch meine Geschichte, die auch ein wenig mit der Buchhandelsgeschichte verknüpft ist und die mich neben der Begeisterung für Neues gelehrt hat, dass Bestehendes nicht selbstverständlich ist und es sich lohnt, sich die Überlegungen der Vorfahren zu Gemüte zu führen (s.a. Blogbeitrag zur Taschenbuchhistorie).
Die Felle des Urheberrechts sehe ich längst davon schwimmen, die Abmahnungen in Deutschland haben hier einen Bärendienst geleistet. Und so wie ich Kinder und Jugendliche erlebe, steht sogar die Urheberschaft zur Disposition. Ist doch egal, wer das Bild gemacht hat, ich brauch deines, du brauchst vielleicht mal meines – alles easy. Kommt mir vor wie im 16. und 17. Jahrhundert, als die Buchmacher und -händler fanden, es sei viel einfacher, Bücher „Bogen gegen Bogen“ (1 Bogen = 16 Seiten) zu tauschen, anstatt sie nach Inhalt zu bewerten und zu bezahlen. So-und-so-viele Bogen Erlasse der Inquisition gegen so-und-so-viele Bogen Descartes. Nicht schwer zu erraten, dass Überproduktion und Qualitätszerfall die Folge waren, was aber glücklicherweise zu neuen Einigungen führte. Eine davon war die Nürnberger Schlussnahme 1788, eine Vereinbarung über den Konditionshandel und Rabatte, die als Grundlage für den Handel mit Büchern in weiten Teilen bis heute gültig ist.
Nun zum „Google Settlement“, dem Vergleich zwischen Google und Verlagen mit dem Ziel, möglichst viele Bücher schnell und ungehindert digitalisieren zu können (s. Vorgeschichte in der Buchbesprechung Googles Herausforderung). Gestern wäre der Verhandlungstermin gewesen. Der Termin wurde auf Januar 2010 verschoben, weil europäische Rechtinhaber intervenierten (sie waren gar nicht oder nur unzureichend vertreten) und auch die Stellungnahme des US-Justizministeriums unerwartet kritisch ausgefallen war:
[Informationsquelle: Der gedruckte Buchreport.]
Es ist doch schön, für einmal von höherer Stelle bestätigt zu werden. Aber die Freude wird nicht von Dauer sein. Ich schätze, man wird sich darauf einigen, zwar die ganzen Bücher zu scannen aber nur kleine Ausschnitte europäischer Werke zugänglich zu machen, solange der Urheber nicht zustimmt. Und das wird vom Konsumenten – der mit dem englischsprachigen, vemeintlich kostenlosen Angebot vergleicht – so lange und so laut negativ bewertet werden, bis sich auch die Europäer damit abfinden, dass nur noch gelesen wird, was bei Google gescannt ist. Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, werden sich die Urheber von Spanien bis Rumänien dann sagen und so wird Google den Preis für Information und das Lesen an sich auch für Europa diktieren. Vielleicht noch in Kooperation mit Amazon.
Ich freue mich trotzdem über den Sand im Getriebe und ich werde meinen Nichten, Neffen, Enkelinnen und Enkeln auch gedruckte Bücher schenken, wenn sie über 100 Euro kosten. Und sollte ich es mir nicht leisten können, werde ich mit ihnen die ganzen verstaubten Schulbibliotheken abklappern und ihnen das Lesen mit Michel aus Lönneberga in alter Rechtschreibung oder mit den Leuten von Seldwyla in gotischer Schrift beibringen. Denn Internet hin oder her: Bauer wird auch dann noch der häufigste Beruf der Welt sein.
Chronistinnen-Pflicht:
Inzwischen hat auch in Paris ein Prozess gegen GoogleBooks begonnen, den französische Verlage angestrengt hatten. Diese werfen Google vor, geschätze 100’000 französische Bücher ohne jede Genehmigung gescannt zu haben. Die französischen Verlage lehnten in den vergangenen Wochen mehrere Vergleichsangebote von Google ab. Das Urteil wird binnen zwei Monaten erwartet. (Quelle: Buchreport express Nr. 40)
Ich bin zwiegespalten. Einerseits habe ich gerne viele Werke digital verfügbar. Andererseits stört mich das Ignorieren der Verwertungsrechte durch Google sehr. Allerdings bin ich auch mit den aktuellen Urheber-/Verwertungsrech auch unzufrieden.
Vorchlag für eine Nische: Wird es in Zukunft dann – quasi wie bei IKEA – Bastelsets für Bücher geben? Man kriegt den Block Papier, oder auch nur die Bögen, dazu den Umschlag, und zusammenleimen muss man selber. Erst dann kann man lesen. Das wäre doch ein hübsches Geschenk. Allerdings – vermutlich auch wieder teurer als binden zu lassen, oder?
Ich bin auch nicht glücklich mit dem (deutschen) Urheber- und Verwertungsrecht, deswegen die Erwähung des Bärendienstes. Auch die Vermischung mit der Open Access-Debatte ist eher kontraproduktiv. Aber für den Zwiespalt reicht es bei mir nicht.
Nun zu deiner schönen Nischenidee: Der gute zak, ein niederländischer, in Frankreich beliebter Cartoonist, hat auch schon ähnliche Überlegungen angestellt:
Quelle: Meine (analoge) Bibliothek:
zak, les temps changent / 2005 bei den l’éditions de l’AN 2