Die Prüfungsbuchhandlung „Futura“ ist fertig eingerichtet, die Notebooks stehen bereit, das Internet ist zugänglich, die CD-ROMs sind installiert, der Kassenstock ist gezählt, die Bleistifte sind gespitzt, die Büchergutscheine geordnet und die Titel-Auswahl der Lernenden habe ich nach deren Wünschen präsentiert. Es sieht aus wie eine klitzekleine Buchhandlung und wird den Rest der Woche mein Wohnzimmer sein.
Die praktische Abschlussprüfung dauert für jede Kandidatin eine Stunde. Es werden zwei Kandidatinnen gleichzeitig geprüft, je eine halbe Stunde in „Verkaufsgespräch“ und eine in „Bibliografieren“. Die Beurteilungskriterien sind unterschiedlich.
Im Verkaufsgespräch wird der Umgang mit der Kundin beurteilt, in „Bibliografieren“ der Umgang mit den Hilfsmitteln. Die Kundin ist immer eine Expertin, das ist in allen Verkaufsberufen so, auch bei den Textilverkäuferinnen, die direkt in den Läden geprüft werden. Man hat auch Pilotversuche mit Alltags-Kundschaft gemacht, aber es hat nicht funktioniert. Nicht nur, weil Kundschaft unterschiedlich (angenehm) ist, sondern weil in der Prüfungssituation meistens keine kommt, da schlotternde Kandidatinnen und Experten mit Klemmbrettern nicht besonders anziehend wirken.
Im einen Teil der Schulzimmer-Buchhandlung wird wie gesagt bibliografiert, vom Cornelsen-Lehrmittelverzeichnis bis zum Electre steht alles zur Verfügung, um Bestellanfragen möglichst rasch und richtig beantworten zu können. Es geht in diesem Qualifikationsverfahren um den effizienten Weg, die richtige bibliografische Auskunft geben zu können. Hier wird nicht der Auftritt benotet, es zählen Weg, Ziel und Suchstrategie.
Meine Domäne ist der andere Teil, das Verkaufsgespräch. Meine Expertin „spielt“ die Kundin und hat auch die Fragen erstellt, ich schreibe das Protokoll und mache die laufende Beurteilung, die wir danach 5 Minuten besprechen. Dafür haben wir im Laufe der Jahre eine gute Vorlage erarbeitet, an der wir aber jedes Jahr noch feilen.
Es gibt für alle gleich lange Prüfungen, die zur Hälfte auf die Gewohnheiten der Kandidatinnen zugeschnitten sind. Die andere Hälfte ist buchhändlerisches Allgemeinwissen wie „Grüessech, ich will Auto fahren lernen und brauche so eine CD dazu“ oder „Ich brauche das Buch, in dem ich das Zivilgesetz finde“ oder „…warum ist das so dick und so billig und das andere so dünn und so teuer?“ oder „Wir lesen in der Schule so ein Buch in Englisch und ich brauche es dringend sofort in Deutsch.“ Telefonate (aufs Handy) und Anfragen per E-Mail gibt es auch.
Und lächeln müssen die angehenden Buchhändlerinnen fast immer, sogar am Telefon. Freundlich, lösungsorientiert, erfolgsinteressiert und nahe am Produkt – wer sich so verhält, hat keine Probleme, die Prüfung zu bestehen.
[Mehr Fotos gibt’s nach und nach im Kommentar und
Beobachtungen zur Prüfungszeit bei niemehrschule.]
Hochinteressant! Und der richtige Aufhänger für eine Frage, die mich seit einem nochmaligen Scheitern beim kleinen Buchhändler beschäftigt: Kann ich von einer Buchhändlerin erwarten, dass sie mir eine Dostojewski-Übersetzung empfehlen kann?
Auf meine Frage hin hatte eine buchhandelnde Dame alle vorhandenen Übersetzungen am Computer aufgerufen, den Bildschirm zu mir gedreht, darauf gedeutet und gesagt: „Also, die da gäbe es.“
Ja, können Sie. Aber offenbar haben Sie wirklich einen inkompetenten Haufen erwischt. Leider kann ich auch nicht garantieren, dass hier meine Schülerinnen und Schüler sattelfest wären, aber die sind ja auch noch jung. Dass man den Kunden den Bildschirm nicht vorenthält, ist allerdings schon gut, die meisten schätzen es nicht, wenn die Buchhändlerin sie nicht „mitschauen“ lässt. Aber wenn eine Empfehlung gewünscht ist, dann nützt es natürlich nichts, den Bildschirm zu drehen.
Dostojewskij übersetzt meiner Meinung nach Swetlana Geier im Ammann Verlag am besten (phänomenal), aber ich kann kein Russisch, habe auch nicht Sprachen studiert und kann es vielleicht nicht unbedingt besser beurteilen als Sie. (Auch das erwarte ich von einer Buchhändlerin, dass sie sieht, wenn sie nicht kompetenter ist als die Kundschaft). In München kenne ich von den Kleinen nur die jüdische Buchhandlung, die immer ausgezeichnetes Personal hatte, wenn ich da war.
Habe noch herumgefragt. Tenor: Nein, man kann diese Kenntnis / diese Art Beratung nicht (mehr) erwarten, ausser von wirklich sehr erfahrenen Buchhändlerinnen. Die Gründe dafür sind zu zahlreich, um sie hier zu erläutern. Allerdings waren sich alle (von Azubis bis Expertinnen) eining, dass man in einer kleinen Buchhandlung ungefähr diese Reaktion erwarten kann:
Oh ja, Tanja, darüber hätte ich mich sehr gefreut. Anhand der Prospekte hätte ich dann daheim ein wenig recherchieren können und wäre am Wochenende drauf mit einem Bestellwunsch wiedergekommen.
Ich glaube auch nicht, daß eine Empfehlung möglich ist. Aber ein paar Anhaltspunkte sollte man – wenn man nicht gerade Jungbuchhändler ist – angeben können. Die Geier – Übersetzungen kenne ich nicht, habe aber damals die Presselobeshymmnen verfolgen können und weiß zumindest, daß sie Leuten die bislang andere Übersetzungen kannten, eher ungewohnt erscheinen wird, die Übersetzungen im Piper – Verlag fand ich nie sonderlich angenehm zu lesen, sodaß mein Favorit immer noch die Artemis – Winkler/dtv – Übersetzungen sind. Bei anderen Autoren wird es noch schwieriger, denn da werden Übersetzungen kaum diskutiert – außer sie sind grob daneben. (Wer kennt schon die Wielandsche Shakespeare – Übersetzung oder könnte die Friedübersetzung mit der damals bei dtv unternommenen Neuübersetzung abgleichen ?) Das Problem ist ja meist nicht die Unkenntnis der zu übersetzenden Sprache, sondern daß kaum jemand Original und Übersetzung liest – aus Zeitgründen, wegen der doppelten Kosten oder des verdoppelten Platzbedarfes. Ich lese nur Englisches im Original, da außer Latein und eben Englisch kaum Fremdsprachen vorhanden sind. Aber ich muß mich auch auf eine Version beschränken. LG rollblau
Danke, Rollblau, Buchhändler der alten Schule! Es gab vor ca. 5 Jahren eine Frankfurter Buchmesse, auf der Übersetzungen einer der Schwerpunkte waren. Hast du auch zu den fünf Leuten im Publikum bei den Podiumsgesprächen gehört ? 😉
Artemis-Winkler ist das, wovon ich am meisten gelsen habe. Aber die Geier (Brüder Karamasow – ich hatte ein Leseexemplar von dem kostspieligen Buch erhalten) schien mir nicht ungewohnt.
Auf der Frankfurter Buchmesse war ich noch nie. Aus Kostengründen und weil meine Ausbilder das nicht als Bestandteil der Ausbildung ansahen (auch ein fälliges Herstellungsseminar, das sogar in Berlin stattfand, aber drei Tage erfordert hätte, durfte ich nicht mitmachen – frage mich also nie ! nach Details der Buchherstellung). Ich war nur einmal auf der Leipziger Buchmesse, als es noch die DDR gab. Dummerweise habe ich einige in einer Buchhandlung gekaufte Bücher mitgeschleppt, was später ausgiebige Befragungen durch die Volkspolizei zur Folge hatte… Immerhin habe ich den Kassenzettel nach etlichen Viertelstunden finden können. Aber das war recht herbe und eindrücklich. 😉 – Manchmal werden in Kritiken die Übersetzer gelobt, aber das nachzuvollziehen oder gar im Gedächtnis zu behalten, ist schwierig. Besser sind Verrisse der Übersetzung, denn dann wird sowas auch an Beispielen belegt. Ich erinnere mich noch lebhaft an die vernichtende Kritik über die Übersetzung von Lemprieres Wörterbuch (Norfolk). Nur auch da erübrigt sich die Frage nach einer Empfehlung, denn es gibt nur eine Übersetzung, zumal da selten nach gefragt wird; und ungefragt ist der Hinweis auf eine problematische Übersetzung eher verkaufshemmend bis kundenvertreibend… 😉 LG rollblau
Oh, nur so wenig Messen? Die Peripherie ist sowohl in Leipzig wie Frankfurt sehr interessant, eben z.B. wenn sich Übersetzer unterhalten.
Oh, die Berfragung durch die Volkspolizei… Ja, die gab es offenbar oft, auch Schweizer Verlagsvertreter, die in der DDR eingekauft haben, wurden hüben und dürben bespitzelt und hier in der Schweiz gewissenhaft fichiert. Das war tragsich und manchmal auch amüsant alles zu lesen, als es nach langem Kampf endlich Akteneinsicht gab. Sicher verstaubt auch von dir irgendwo ein Dossier.
Ja, es gibt eine Menge verkaufshemmende Arugmente, bei Stammkundschaft kann es allerdings sein, dass es sich sogar lohnt, sie anzubringen. Piper hatte zum Beispiel ein ziemliches Problem mit der Übersetzung ihres Autoren-Duos Carlo Fruttero und Franco Lucentini. Die Bücher waren eigentlich ab der ersten Auflage sehr beliebt und ein Übersetzung aus dem Italienischen ist auch nicht gerade das, was man unmöglich nennen könnte. Aber Piper hat es bei einem Roman – ich glaube, es war die „Sonntagsfrau“ – sogar geschafft, mitten-im-Roman-den-Übersetzer-zu-wechseln! Das habe ich dann den Kunden schon gesagt, das war eine Frage von Ehre und PR. Furchtbar, was in der ersten Häfte Untertasse hiess, war in der zweiten Hälfte ein Teller, sogar die Übersetzung der Strassennamen war in erster und zweiter Hälfte ungleich.
Ich glaube, in den Neuauflagen ist das Problem nun behoben.
Das mit der Befragung war nix Politisches, die hatten nur den Verdacht, ich hätte die Bücher auf der Messe entwendet… Hatte ich aber nicht und konnte es irgendwann auch beweisen. – Bei Stammkunden geht das, und in der Schweiz ist es vermutlich auch etwas wahrscheinlicher, daß Italienischkenntnisse vorhanden sind. Ein Wechsel des Übersetzers mitten im Buch ist etwas ungeschickt und die Folgen wären theoretisch zu vermeiden, wenn der Nachfolger Zeit hätte (und entsprechend bezahlt würde), den ersten Teil kontrollierend zu lesen. Änderungen des bestehenden Teils aber fallen, glaube ich, unters Urheberrecht. Und wenn nun beide auf ihren Arbeitsansätzen bestehen, bliebe nur noch, Teil 1 ein zweites Mal übersetzen zu lassen. Aber das kostet Geld und wirft die Terminplanung um. Piper war damals noch ein Einzelverlag, mag sein, daß sie es sich schlicht nicht leisten konnten. LG rollblau
Aha! Bücher werden allerdings überall sehr gerne geklaut, da kann man nicht genug aufpassen!
Klar, es gibt für jeden verlegerischen Kapitalfehler eine Begründung, aber das macht ihn nicht kleiner. Und die Argumente interessieren die Kundschaft keinen Deut, die findet dann einfach das Buch Mist. Murakami ist ein gutes Beispiel dafür, dass man Übersetzerin wechseln kann ohne die Sprach-Stimmung zu verlieren – allerdings pro Buch und nicht mitten drin.
Meine Erfahrung im Zusammenhang Liquidität und Qualität der Übersetzungen ist genau die Gegenteilige: Unabhängige Verlage schlampen viel weniger. Ammann und Diogenes (Schweiz) und Wagenbach (Deutschland) sind gute Beispiele dafür, aber auch Hanser, der mit der Übernahme von Zsolnay (Österreich) und Nagel & Kimche (Schweiz) sehr gewachsen ist, leistet sich wenige Schnitzer und hat ein paar wirkliche Herausforderungen (v.a. in seiner edition akzente).