Mehr als mein halbes Leben arbeite ich nun für den Buchhandel. Und die Vorstellung, damit aufzuhören, ist mir ein Graus. Dass der Buchhandel für mich ein Teil der Welt ist, für den sich der hohe Einsatz lohnt, habe ich längst gestanden. Einige Buchhändlerinnen und Buchhändler verlassen die Branche leichten Herzens, vor allem in Deutschland hat der Beruf viel Ansehen eingebüsst. Aber es gehen auch viele ungern weg und versuchen sogar dann noch eine Stelle im Buchhandel zu finden, wenn die Vernunft (Arbeitszeit, Lohn, Zukunfts- und Aufstiegschancen) andere Wege wiese. Weshalb?
Um ein gutes Soritment zu pflegen, muss man aufmüpfig sein, denn das wirklich Neue verkauft sich nicht von Anbeginn – ja, vielleicht nie – in Stapeln. Gleichzeitig hat der Buchhandel auch etwas Konservatives, Bewahrendes. Ich kenne einige in der Buchbranche, die Trends problemlos wittern, aber ihren Kompassnadel nach (vermeintlich) vergangenen Werten ausrichgerichtet halten und genau damit erfolgreich sind. Vielleicht ist es die Verbindung zwischen dem, was war und dem, was kommen wird, die uns gefällt und uns hält?
(…) dann die vielen wunderbaren Bücher und wunderbaren Menschen, die mit Büchern zu tun haben
wie mir ein am Buchhandel „Klebender“ – wie er sich selber nennt – zum Neujahr schrieb.
Vielleicht ist es bei mir auch einfach „Heidi“. Das wichtigste Buch in meinem Leben, weil es ein Jahr lang mein einziges war. Wer gern liest und sich jemals länger in der unschönen Lage befunden hat, (fast) nichts zum Lesen zu haben, wird sich bis ans Ende seiner Tage für Bücher stark machen, Reich-Ranicki ist weissgott nicht das einzige berühmte Beispiel dafür. Der Diogenes Verlag hat neulich erste Leseerfahrungen von Schriftstellern zusammengetragen (soweit ich weiss, ist das entsprechende Büchlein nicht einzeln zu bestellen, trotzdem: 978 3 257 79722 0). Darin habe ich gelesen, dass das prägende Leseerlebnis bei Ingrid Noll ebenfalls das „Heidi“ war. Sie hat ihre Kindheit in China verbracht und schreibt zu ihrem damaligen Lieblingsbuch:
Heidi, das arme Tröpfli, wird gleich zu Beginn der Erzählung zu seinem Grossvater auf die Alm gebracht, dick verpackt in mehrere Textilschichten, damit es alle Habe beisammenhat. Als sant-energische Vorgängerin der Pippi Langstrumpf tut Heid das Unerhörte: Auf halbem Weg zu Höhe schält es sich aus seinen Kokons, entledigt sich der schweren Schuhe und springt von da an nur noch im Unterhemd vergnüglich fürbass.
Ich weiss nicht, wie oft ich mein Heidi-Buch gelesen habe, weil ich keine Ahnung habe, wie schnell oder langsam ich mit zehn Jahren im Lesen gewesen bin. Fünfzig oder hundert Mal? Trivialität hin oder her – fernab von daheim kann man wenig Besseres lesen als Spyris Heidigeschichte. Wie Ingrid Noll beweist, braucht man dafür nicht einmal Schweizerin zu sein:
Eigentlich ist dieses Buch eine Heimwehgeschichte, denn Heidi gerät wider Willen nach Frankfurt, einer wohl schon zur damaligen Zeit hektischen Grossstadt. Die dort ansässigen Menschen kamen mir weitaus exzentrischer vor als das schweizerische Naturkind. Das geradezu scheussliche Fräulein Rottenmeier (…) sagt Adelheid zu Heidi, was ich als bodenlose Unverschämtheit empfand.
Für mich war es herzzerreissend, wie sehr meine Heldin unter dem Verlust ihrer Heimat litt. Deswegen favorisierte ich das Happy End, um endlich Heidis wiedergefundene Lebensfreude teilen zu können. Auf der Alm, wo blaue Enziane, rote Himmelsschlüssel, goldene Ziströschen und duftende Prünellen in frischen Lüften und hellem Sonnenschein gedeihen und wo der Wind in hohen Tannen braust – dort fand ich mein heimliches Paradies im heimischen Ostasien.
Mir gefiel der Schluss auch gut, aber am allerhäufigsten habe ich den Anfang gelesen, da, wo Heidi zum Grossvater kommt. Er steckt als erste Mahlzeit für die Enkelin ein grosses Stück Käse auf eine lange Gabel und dreht es über dem Feuer hin und her, bis es goldgelb ist. Bei mir gab es damals keinen Hartkäse (einzige Ausnahme war in Kabul, dort fand man Emmentaler und alles andere auch). Und gleich nach dem Essen kommt die Stelle, wo Heidi sein Lager auf dem Heuboden erhält und der Mond durch die kleine Öffnung unter dem Dach auf seine roten Backen scheint. Ich hatte auf unserer Indienreise viele verschiedene Nachtlager, manchmal im Auto, meistens im Zelt. Fast nie hatten wir elektrisches Licht, dafür waren wir dem Sternenhimmel nah (und deswegen hat mein Heidi-Buch auf jeder Seite einen Wachsfleck). Aber immer, wenn ich den Kopf aus meinem grossen Schlafsack streckte und den Mond sah, wusste ich: das war auch Heidis Mond.
mein allererstes einziges dünnes büchlein war „pole poppenspäler“ von theodor storm….
tut gut, das hier von dir und ingrid noll zu lesen!
und am buchhandel kleben, das sagt mir auch einiges- und ich will versuchen, beruflich was zu ändern, weil das mit den ritalinkindern oder den echt wahnsinnig ehrgeizigen eltern pack ich immer weniger…
gruß von sonia
Huch, wenn du vom Lehrerinnenberuf in einen Buchberuf wechseln willst, liebe Sonia, musst du mit sehr viel weniger Einkommen rechnen. Aber ich kann dich gut verstehen. Meine Schwester ist Heilpädagogin und das ist im Moment kaum auszuhalten (was man zur Verfügung hat und was erreicht werden soll, driftet derart auseinander…) Könntest du nicht innerhalb des Schulwesens wechseln?
schöner text, tanja! eines meiner magischen bücher war ein in der bibliothek ausgeschaubtes französisches von chatwin über patagonien. als ganzes habe ich es nie gelesen (als ich es eroberte war ich neuen oder zehn und konnte nur mit einem dix ganz langsam lesen. sehr schwierig, „était“ zu verstehen, in der ersten fremdsprache, wenn man noch keinen plan von wortarten etc. hat…). trotzdem, es handelte von meer, einem kind, und das schlimmste ist, ich weiss nicht mehr, wo es geblieben ist.
Ich habe meinen Beruf gewechselt. Fünf Jahre lang arbeitete ich als Lehrerin und seit drei Jahren bin ich ein Bestandteil des Buchhandels. Ich bereue es nicht. Vor allem auch nicht aus der finanziellen Sicht, denn als Lehrerin arbeitete ich in Polen für – umgerechnet – ungefähr 200 Euro im Monat.
Mein erstes Buch, an das ich mich erinnere, war „Winnie the Pooh“ von Milne. Der dumme alte Bär ist immer mein Freund gewesen und bis jetzt geblieben.
erstmal schönen dank für die isbn- habe das büchlein sehr günstig bekommen. bin gespannt darauf, es wird mir zugeschickt.
mit dem beruf, das ist schwierig, denn es muss geld gegen gesundheit aufgerechnet werden. womit klar ist, was wichtiger ist….
mal sehen, wie das nächste halbe jahr sich gestaltet.
gruß von sonia