Meine Schülerinnen werden in die Bahnhöfe ausschwärmen, ich selber werde auf dem Schulgelände Lektüregeschenke und Buch-PR machen.
Aber den Blogbeitrag zum diesjährigen Welttag des Buches widme ich einem Frust-Thema. Also Vorsicht, Moral-Alarm.
Zum meiner Lehrzeit mussten wir uns im Buchhandel kaum mit Profidieben herumschlagen. Bücher waren nun mal nichts, was Hehler abnahmen. Gelegenheitsdiebe, die von unserer Sorglosigkeit profitierten und Junkies, die vom Stempelkissen bis zu den Büroklammern alles mitgehen liessen, prägten das Bild. Dazu kamen ein paar Trickdiebe, die man mit der Zeit kannte. (Das sind in den meisten Fällen die, die etwas Klitzekleines mit einer grossen Note kaufen und dann beim Wechselgeld Theater machen.)
Soweit, so vertraut. Dass Buchhändlerinnen und Buchhändler in Sachen Diebstahl eher naiv sind und in den Büchern irgend etwas Idealistisches aber nicht das Geld sehen, ist leider auch kein reines Märchen. Unternehmensberater empfehlen uns, regelmässig ein paar Regale leerzuräumen und den Gegenwert der ausgeräumten Bücher in Geld hinzulegen, damit wir endlich lernen, richtig darauf achtzugeben.
Die Gelegenheitsdiebe, Trickdiebe und Junkies sind uns erhalten geblieben. Zusätzlich haben wir noch die Profidiebe bekommen. Es gibt Banden, die unsere Stauräume suchen, uns ablenken oder dringenden Toilettenbedarf vortäuschen, um regelmässig die Porte-Monnaies des leutseligen Buchhandelspersonals mitgehen zu lassen.
Noch viel sprunghafter zugenommen hat jedoch der Diebstahl von Büchern und Non-Books im grossen Stil. Denn dieser Tage braucht man keinen Hehler mehr, heute gibt es einen direkten Markt für solche Ware. Online. Ist es nicht nett einen frischen Bildband, den neusten Sowieso und ein paar unterhaltsame Hörbücher zum Spottpreis zu bekommen? „Gebraucht“ wie neu!
Ich rechne zwischendurch mit meinen Schülerinnen aus, wie viele Taschenbücher wir verkaufen müssen, um einen geklauten neuen Irving zu decken oder wie viele Irvings wir an Mann und Frau zu bringen haben, bis wir uns ein elektronisches Sicherungssystem leisten können.
Dagegen freuen sich immer mehr Leute über immer mehr Schnäppchen beim Online-Shopping. Sie trösten einen in dieser kalten, vertechnisierten Konsumgesellschaft ohne liebevoll lächelnde Tante Emmas.
Der Computer im Netz ist ganz allgemein ein Selbstbedienungsladen ohne Kasse geworden. Die Standardsoftware wird geklaut weil Bill Gates böse ist, Bücher werden gescannt weil Google gut ist, Bilder und Texte werden sowieso kopiert, was das Zeug hält. Schriften werden gestohlen, obwohl das heutige Konsumentenauge kaum eine Arial von einer Frutiger zu unterscheiden weiss, geschweige denn eine Ahnung von den Schriftschnitten hat. Das Scheiben brennen hat sich schon lange zum beliebten Kindersport entwickelt. (Das Kind in diesem Haushalt hasst die Erinnerung an den Tag, als seine Begeisterung dafür von der aufgebrachten Mutter brutal gebrochen und der ganze Stapel CDs an die Stelle ihrer Entstehung zurückgebracht wurde.)
Ach ja, falls es morgen in der Presse einmal mehr untergeht: Der 23. April ist der World Book and Copyright Day.
Damit wünsche ich einen erfolgreichen Start in die neue Woche und gebe zur Feier des Tages allen den kostenlosen Rat, niemals Urheber zu werden.
Die Buchhandlung meines Vertrauens hat seit ca. 2 Jahren Kameras und ein elektronisches Warensicherungssystem. Zwar ist niemand mit einer Lastwagenladung da wieder raus, aber steter Tropfen höhlt bekanntlicherweise auch den Stein. Und alle zwei oder drei Tage ein verschwundenes Hardcover ist schon auf einen Monat gerechnet ein erklecklicher Betrag. Ich denke, das war eine sich schnell amortisierende Anschaffung. Ich erinnere mich übrigens noch an Vor – Internet – Zeiten, wo das Verticken geklauter Bücher auch schon im großen Stil – von Kneipe zu Kneipe – funktionierte. Da waren es dann hauptsächlich Kunstbände, also Sachen, die auf einmal viel Geld brachten. Und das waren keine Junkies, sondern eher gewerbsmäßig organisierte Banden. LG DerGeist
danke, nehme mir besonders die letzten beiden zeilen zu herzen, da ich mir zu obigem nichts vorzuwerfen habe;-) good day 2 u.
DerGeist: Das Verscherbeln im grossen Stil habe ich Vor-Internet in der Deutschschweiz nicht gekannt, aber ich war ja erst ab Ende Achziger im Buchhandel und auch nicht überall gleichzeitig.
Manchmal gab es Bücher, die nicht mehr verkauft werden durften (das waren meinem Empfinden nach früher noch mehr als heute) und von denen wurden möglichst überall die Restposten erworben, um sie dann teurer und unter der Hand zu verkaufen. Ist allerdings ein anderer Fall, da die Ausnahme.
Der Handel mit sog. „gebrauchten“ Büchern über vertrauenswürdige Anbieter wie Amazon hat derart zugenommen, dass sich der Bücherklau heute nachhaltig lohnt und der Buchhandel unbedingt und rigoros reagieren muss, genau wie das die Buchhandlung deines Vertrauens getan hat.
lizamazo: Dir auch guten Tag!
Nur als Ergänzung: manche Leute verwenden auch Standardsoftware mit dem Pinguin oder mit dem Apfel. Und ob Bill Gates böse oder gut ist, interessiert sie nicht 😉
Was aber die Schriftarten betrifft: Zumindest haben sich etliche Leute noch ein Gefühl für Lesbarkeit bewahrt. Sie sagen dann, dass dieses Buch gut oder jenes Buch schlecht lesbar sei. Sie können meist überhaupt nicht sagen, warum sie das fühlen — aber es stimmt oft.
Ach stafanolix! Der mit dem Apfel kommt immer! Wenn ich mich einen Abend lang gut unterhalten will, brauch ich bloss zu sagen, ich finde Microsoft hat gute Produkte zu einem angemessenen Preis.
Du hast absolut recht in Sachen Schriftbefindlichkeit. Und hätte ich einen differenzierten Beitrag verfasst hätte ich auf Tschichold, der genau mit dieser Ansicht, dass Schrift immer wahrgenommen wird, missionierte und auf den neuen Film Helvetica hingewiesen. Es regt sich nämlich Widerstand gegen die typografische Willkür!