Es war ein strahlend schöner Tag, das goldene Dach der Bibliothek glitzerte in der Sonne, die roten Vorhänge leuchteten und das Kloster erhob sich bunt ins Hellblau des Himmels. Wir Kinder sprangen über Gräben und Bäche, balancierten über Mäuerchen, duckten uns unter Gebetsfahnen hindurch und spielten hinter den kleinen Steinstupas Verstecken. Wenn einer Pilgerin ein Zipfel Tsampa aus der Tasche lugte, kicherten wir hinter ihrem Rücken und warteten, bis sie sich das nächste Mal flach hinlegte, um zu sehen, ob er nun dieses Mal herausfiel. Das letzte Stück zum Tempel legten viele so zurück, zuerst stehend, die Handflächen vor der Brust aneinandergelegt, dann sanken sie auf die Knie, liessen die Hände bis ganz nach vorne in dne Staub gleiten und legten zuerst den Oberkörper dann den Kopf vollständig auf den Boden, um sich ausatmend wieder zu erheben und ein Fussmass weiter zu sein. Von Wegrand aus betrachtet, wirkten die Pilger wie eine grosse Woge, die sich im schimmernden Licht den steilen Hang hinauf bewegte. Wir Kinder sprangen mitten hinein und darin herum, manche Pilger liessen sich von uns nicht stören, andere verscheuchten uns mit Zischen oder schnellen Bewegungen, so wie die penetranten Affen der Region. Ein Mönch winkte uns zu sich und schenkte uns Kandiszucker, den er sorgfältig aus einem kleinen violetten Beutelchen verteilte, damit auch wir endlich die Feierlichkeit des Anlasses erfassten.
Unsere Eltern waren Teil dieser Menge aus betenden Tibetern und gestrandeten Europäern, die in Begeisterung ausbrachen, als der Dalai Lama vor dem Eingang des Klosters erschien. Alle warfen weisse Gebetsschleier von hinten nach vorne, Reihe um Reihe. Wir sprangen auch hoch und versuchten möglichst viele Schleier zu erwischen und weiterzugeben. Da drängte sich die Mutter meiner Freunde zu uns durch und fädelte sich mit der kleinen Lobsang auf dem Rücken und ihren beiden Kindern Tenzin und Ghesa in eine Reihe ein, von der ich nicht erkennen konnte, wohin sie führte. Ich weiss nicht mehr, wie ich selber in diese Menschenschlange hineinkam, jedenfalls wurde ich vorwärts geschoben bis ich schliesslich vor dem Dalai Lama kniete, ihn über mein weissblondes Haar kichern hörte, seine Hand auf meinem Kopf fühlte und gesegnet weiterstolperte, um wieder spielen zu gehen.
Und wenn ich dieser Tage über die vielen Begegnungen mit dem Dalai Lama lese, denke ich an McLeod Gunj und muss lachen über dieses Mädchen, das keine Eintrittskarte und überhaupt gar nicht zu suchen brauchte.
In diesen Tagen habe ich auch daran gedacht, wie einfach alles war. Ein stämmiger Shik reichte aus, um den Dalai Lama zu bewachen. Im Vorbeigehen konnte man durchs Fenster einen Blick auf den Tisch werfen, wo der Gottkönig an seinen geliebten Uhren und Radios bastelte.