Bildungsartikel an- und damit wieder eine wichtige Hürde genommen. Dieser Abstimmungkampf ging ohne lautes Säbelrasseln vorbei, die Aktiven haben sich mit ihrer guten Vorbereitung das Resultat redlich verdient. Wie die PdA ihre Nein-Publizität stets genutzt hat, um die Klassengesellschaft anzuprangern, hat mir streckenweise auch gefallen.
Trotz positiven Nachrichten waren in meiner persönlichen Polit-Biografie Veränderungen fällig. Ich habe im Regierungsrat zwar mit-gewonnen, beim Wähleranteil aber empfindlich mit-verloren; es war das schlechteste Ergebnis der SP seit 1986.
Wenn ich mein Umfeld betrachte, stelle ich fest, dass viele die Arbeit der SP erst kritisch betrachten, dann vordergründig honorieren und zuletzt doch grün wählen. Über die Gründe kann ich nur spekulieren, und Spekulationen sollte man lassen, ausser sie wären besonders schmeichelhaft.
Meine abgemagerte Frusttoleranz hat mich veranlasst, in der Basispolitik eine Pause einzulegen. Nicht wegen der Sektion, sondern wegen der anspruchsvollen Nicht-Wählerschaft. Ein weiterer Faktor ist meine wachsende Unfähigkeit, auf den Konflikt mit anderen Linken zu verzichten. Dieser ist selten im Dienste der Sache, die Kantonswahlen haben es gerade wieder bewiesen. Es gibt dennoch Phasen, da habe ich keine Lust, mich mit Leuten zu verbünden, die erzählen, Kiffen sei wie Schokolade essen, nur weil ich irgendwo einen Veloweg möchte. Unvernünftig zwar, aber gefühlshaushälterisch nicht zu ändern (-> abgespeckte Frusttoleranz).
Seit vergangenem Freitag mache ich meine Freiwilligenarbeit im Quartierverein, weil sich dort die Frage nach inter-linker Einigkeit nicht stellt. Das bedeutet neben Handarbeit hauptsächlich die Bearbeitung lupenreiner Sachfragen im Interesse der Quartierbewohnerinnen und –bewohner, die im Stadtteil wie im Leben oft benachteiligt werden. Es bedeutet auch Empörungskult und derbe gewöhnungsbedürftige Ausdrucksweise, aber Präsident ist zum Glück ein anderer. Dass es die Menschen hier interessiert, ob eine von der SP, von der SVP oder vom Blindenverband den Krempel erledigt, wage ich zu bezweifeln. Es ist bekannt, wohin ich gehöre und auch, dass ich hier eine klitzekleine Minderheit bin. Doch ausser meiner Wohndauer in diesem Quartier und meinem Beruf spielte für die Wahl in den Vorstand nichts eine Rolle.
Natürlich gibt es noch einige intellektuellere Überlegungen für die Verlagerung meines Engagements. Dass sich parallel zur raumfüllenden Freiheitsdebatte die Gleichheitsdebatte verflacht hat, stört mich nämlich. Oft von der Liberalismusdiskussion überdeckt oder belächelt, wirkt sie inzwischen matt und langweilig. Weil Chancengleichheit in allen Verordnungen „gemainstreamt“ ist, werden zwar brav Schlagworte abgespult, doch nur, um am Ende wieder über den Freiheitsbegriff zu reden. Rütlischule und Banlieues sind gute Beispiele dafür, dass – trotz Bemühungen um eine differenziertere Berichterstattung – der Muslimanteil der Dauerbrenner der Wertedebatte bleibt. Und das ist mir einfach zu platt. Gespräche über Gleichheit beschränken sich allzuoft auf autonome oder populisitsche Kreise. Genau wie bei der Abstimmung von heute, von der ich unbestritten froh bin, dass nicht die PdA (samt Teilen der SVP) sie gewonnen hat.
„Die Freiheit des einzelnen Menschen steht im Widerspruch zur Gleichheit aller Menschen,“ sagte der Bundespräsident in seiner 1. Mai-Ansprache. Freiheit und Gleichheit sind ein Zielkonflikt, an dessen Ausgleich sich die Sozialdemokratie immer wird messen müssen. Und auch die Quartierarbeit, da mache ich mir keine Illusionen.
Aber ganz von der Freiwilligenarbeit zu lassen entspricht mir nicht und wäre auch peinlich für eine, die ständig die Bundesverfassung propagiert.
Bundesverfassung Artikel 6
Jede Person nimmt Verantwortung für sich selber wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei.
nicht dass ich dir den wochenstart vermiesen möchte, aber das ist der lieblingsartikel unserer lieben svp und mit ihm wird von krippen über sozialwerke, tagesschulen, versicherungsfragen etc. alles sabotiert …
Ja, danke für den Hinweis! Ich bin manchmal betriebsblind, du hast natürlich Recht, dass die SVP die Ja-Parole rausgegeben hat, habe korrigiert. Die Basis war gespalten und in „meinen“ Kreisen waren die von der SVP vehement dagegen.
Was du mit Sabotage meinst, musst du mir dann erklären, hier verstehe ich Bahnhof.
kann ich auch schriftlich nachliefern: ich meine den art. 6 bv, nicht die neue bildungsverfassung! jeder halbwegs linken idee, die etwas kostet odrso, wird von der svp eigenverantwortung, wenig staat etc. entgegengehalten. „also unsere frauen wollen keine krippen, mittagstische, tagesschulen und dann sollen wir das mit unseren steuern für die frauen zahlen, die nicht selber auf die kinder aufpassen mögen“ (o-ton, ich schwör’s). weil ich das so ziemlich oft zu hören bekomme, fällt es mir halt auf, wenn du plötzlich den svp-artikel neu besetzest.
ist aber auch gut, mal wieder den kopf zu lüften 😉
Aha, Bildunsartikel, Verfassungsartikel, Verwechslungsartikel 🙂
Du hast genau erfasst, was ich meine. Ich beanspruche diesen Artikel genauso wie die Rechten, ich interpretiere ihn bloss anders. Nicht nur die SVP, sondern auch ganz besonders die FDP neigt ja dazu, immer nur die Selbstverantwortungs-Hälfte zu zitieren und die zweite Hälfte in der besonderen Weise zu interpretieren, gemeinsam gute Bedingungen für die Banken und Kapitalhalter zu schaffen.
Ich glaube, wir Linken haben viel zu lange damit gewartet, die Verfassung und deren Interpretation für uns in Anspruch zu nehmen. Es heisst, „nach Kräften“ – aber das lässt der Pfarrsohn immer gerne aussen vor, da hast du absolut Recht. Du brauchst nicht zu schwören, ich kenne den O-Ton 😉
Es gibt noch viel zu tun für unsere Kinder. Und ich möchte mehr Verfassung und Interpretation im Unterricht, weil ich denke, dass es allgemein für die Integration nützlich wäre, nicht nur für die der Migrantinnen und Migranten.