Schön gemacht

Die Islandseite unserer Lernenden in der Fachpresse. Ich habe volles Vertrauen, dass solche Buchhändlerinnen nach der Lehre geschmackvolle Onlineshops hinbekommen. Darum geht’s nämlich. Auch in Hamburg, wo die vor drei Jahren wider aller Vernunft gegründete Online- und Offline-Buchhandlung Stories! auf November eine weitere Filiale eröffnet. Ist das Buch am Ende doch nicht tot? Aber Steve Jobs. Überall und sogar aus der Buchbranche wird einem Visionär Respekt gezollt. Noch lebendig ist Umberto Eco. Sein Verleger stellt den neuen Titel (erscheint am Samstag) persönlich vor. Der klingt dabei wie ein alter Dozent meiner Buchhändlerschule: Eine Nachricht aus einer fernen, analogen Zeit, in der Lehrer mit Gesten und Worten versuchten, Bilder im Kopf der Schüler zu erzeugen.

Nachtrag: Der hierzulande unbekannte Lyriker Tomas Tranströmer kriegt den Literaturnobelpreis. Wieder einmal Hanser, siehe oben.

Ein paar News

Ich war vier Tage in den Abruzzen (Bilder folgen in separatem Post, auch wenn’s schon unendlich viele gibt) und weiss wieder, weshalb ich selten Kurzurlaub mache. Ich bin einfach nicht so gut im schnellen An- und Abschalten. (Aber die Bekenntnisse haber ich also hinbekommen.)
Wieder daheim haben wir viel gewaschen und sogar geflickt, wenn auch nicht alles, was nötig gewesen wäre. Es war mir zuwider, doch das Kind hat eine Menge geholfen. Das Kind war nämlich in seiner Geschichts-Projektwoche in Berlin gewesen und die Jungendherberge, das Stasi-Museum, die Gespräche mit Dissidenten, die vielen Stadtführungen (Schwerpunkt Entwicklung Nikolaiviertel und Rosenstrasse), natürlich auch die abendlichen Ausgänge, die Fahrten im Liegewagen und die paar Tage mit den Eltern in Italien haben der Kleidung einiges abverlangt.
Heute musste wieder alles parat sein für einen dreiwöchigen Aufenthalt in der Westschweiz. Dank langwieriger Debatte haben wir ein für alle – Kind, Eltern, Schule – akzeptables Programm zusammenbekommen. Erste Woche: Wohnen in Lausanne (Kanton Waadt), arbeiten bei einem Distributeur in Corminboeuf (Kanton Freiburg). Zweite Woche: Wohnen und Sprachschule in Delémont (Kanton Jura). Dritte Woche: Wohnen bleiben im Jura und arbeiten in einer Librairie in Neuchâtel (Kanton Neuenburg). Auch wenn all die tausend Hochglanzsprachaufenhalte, für die das Kind das Zielpublikum ist, sicher etwas für sich haben, finde ich es passender, sich zuallererst seinen Nachbarn zuzuwenden.
P.S. Mein tagespolitischer Schreikrampf ist ungehört in der Waschküche verhallt. Entschuldigung an die ausländische Leserinnen und Leser: Ich habe nicht die Nerven, näher darauf einzugehen.

Bekenntnis-Kult

Anfang Jahrtausend gab’s in der Schweiz das Magazin „kult“, vielleicht erinnert sich jemand. Die Auflage war vergleichsweise hoch, denn „kult“ wurde an „ausgewählten Kultstätten“ gratis abgegeben, so auch in der Buchhandlung, in der ich damals arbeitete. Das Magazin baute auf Werbung und die Zielgruppe wurde gleich im Impressum definiert:

Vorwiegend ausgeh- und konsumfreudige 18-38jährige Leserinnen und Leser, aber auch ausnehmend viele Prominente, Medienschaffende, Werber und Szeneleader oder anders ausgedrückt: Die für die breitere Masse Jugendlicher als Vorbild dienenden Vorreiter und Opinionleader in den verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens.

Ich mochte die Zeitschrift, weil ihre Autoren gegen jede Art von Bigotterie anschrieben und nicht selten das Gegenteil vom Medienmainstream. Einige von ihnen publizierten schon damals in bekannten Magazinen (z.B. Henrik Broder oder Viola Roggenkamp), andere sind seither berühmt geworden (z.B. Wiglaf Droste, Sibylle Berg, Else Buschheuer).
Warum ich drauf komme? „kult“ war das erste mir bekannte Magazin, das 2.0 versuchte, wie’s ab da im Netz üblich wurde und heute zu jeder Gratiszeitung dazu gehört. Zum Beispiel Verschiedensten die gleichen Fragen stellen war kultig, „Ist es wahr, dass der Sex mit Italienern besser ist?“ und sowas halt.
Unter anderem gab es in „kult“ eine Rubrik Was-ich-mag-und-was-ich-nicht-mag. Das war immer eine Seite à zwei Spalten pro Heft, die irgend einem, der für die Schweizer Szene grad relevant schien, zur Verfügung gestellt wurde. Ob es sich nun um einen DJ handelte oder um eine Werbefotografin, die Rubik war beliebt, der Antrieb, originell zu sein, entsprechend.
Ich weiss nicht ob es einen Zusammenhang hat oder Zufall war, jedenfalls nutzte eine unserer Deutschlehrerinnen diese Bekenntnisse für die Vorstellungsrunde der Azubis am Anfang der Lehrzeit. Seither wurden unsere Neuen immer wieder gebeten aufzuschreiben, was sie mögen und was nicht, so auch dieses Jahr. Doch war’s heuer das erste Mal, dass die Azubis und Lehrerinnen und Lehrer zum Mitmachen aufforderten.
Deswegen brüte ich nun also über Confessions in Keywords. (Ausgerechnet ich, die ich noch nie ein Stöckchen gefangen, nach einem Jahr entnervt zu twittern aufgehört habe und ganz allgemein mit Stichwortaufforderungen wenig anfangen kann, womit ich immerhin schon ein Bekenntnis hätte.) Zum Glück fahre ich ein paar Tage nach Italien. Eine passende Destination zum Nachdenken. Und Bekennen.
Ci vediamo!

Erste Male

Ich verliess ein so richtig zettelverklebtes Büro wie ich mir früher vorstellte, dass es unfähige Beamte haben. Und ich hasse es genug, um morgen noch einen Zettel-Abtrag-Tag einzulegen.
Das war eine ereignisreiche Woche, vieles war
zum ersten Mal
führte ich an der Schule ein Tagesprotokoll von morgens um 07.30 bis abends um 19.00. Die Notwendigkiet war mir bisher nur aus anderen Institutionen bekannt, in denen ich gearbeitet habe, zum Beispiel in Heimen für Menschen mit Behinderung. Aber neue Herausforderungen bergen immer auch neue Anforderungen.
machte ich einen Unterrichtsbesuch über ganze drei Lektionen, was sich als unerwartet sinnvoll erwies. Denn eine Lektion kann harmonisch wirken, die nächste leicht angeknackst und wer dann noch eine Stunde länger bleibt, dem offenbaren sich die Probleme.
war ich im Wartsaal. Eine Neueröffnung junger Weggefährten mit pragmatischen Einstellung zur Ausgabebereitschaft bewegter Freundinnen und Freunde. Literatur, Tee, Kaffee, Wein und Bier – ein Plättli und ein Teller Pasta. Alles was es braucht, sowohl zum Arbeiten wie zum Freizeiten.
Olander aus dem Sonderangebot
blüht der Oleanderstock, den ich in Eile und mehr aus Verlegenheit im Sonderangebot des Supermarktes gekauft hatte, um der Prüfung und Prüfungsbuchhandlung im letzten Juni neben all der Druckfarbe noch ein klein wenig pflanzliche Farbe zu verleihen.

Schulwochenende

Gesternabend habe ich etwas gemacht, was ich nie zuvor gemacht habe: In einem Aufzug voller Azubis zu meiner Kollegin gesagt, dass das eine richtig beschissene Woche gewesen sei. Natürlich habe ich mich bei den Anwesenden entschuldigt und versichert, dass es mit ihnen nichts zu tun hätte. Einer antwortete, dass sie wohl dem einen oder anderen Lehrer ebenfalls eine beschissene Woche beschert hätten, die anderen nickten.
Auch wenn es sich an unserer Schule nicht gehört, derartiges zu äussern: Vielleicht schadet es gar nicht, wenn die Lernenden ab und zu einmal merken, dass sich hinter der Projektionsfläche Lehrperson ein Mensch verbirgt.

Danke, Daniel Keel.

Er war Buchhändler, deswegen haben Buchhändler seinen Verlag geliebt: Seine Auswahlkriterien waren für unsereins nachvollziehbar, seine Bücher verkäuflich. Wir mochten die Bücher, die er machte, wir mochten was er sagte und wie er es sagte, wir schätzten die visuelle Unverwechselbarkeit, die seine Frau Anna Keel dem Verlagsprogramm verschafft hat. Uns gefielen die Verlagsvorschauen, das Diogenes Magazin, die Leporellos mit den klassischen Spezialitäten.

Fuck Fiction - Belletristikwerbung 1971 von Diogenes

Vor ungefähr vierzig Jahren schrieb Daniel Keel eine Replik auf einen Essay, der den Untergang der (guten) Belletristik beklagte, die ich besonders gerne lese, wenn mir Twitter, die Digital Natives & Co. zum Hals raushängen. Loriot illustrierte ca. 1973 den Diogenes-Belletristikprospekt entsprechend. (Will ich morgen in der Schule, d.h. in der Diogenes Verlagsgeschichte in meinem Büro-Büchergestell raussuchen, werde kommentieren.)
Hier geht einer, der seine Autoren pflegte, mit ihnen früh frühstückte oder spät nachtesste, der Papier und Schriften bewusst auswählte, der nur originalgetreue Umschläge tolerierte und bei miesem Druck ohne mit der Wimper zu zucken 20’000 davon wieder einstampfen liess – bref: Einer, der verlegte. R.I.P.
„Danke, Daniel Keel.“ weiterlesen

BAM 2011

Die nächsten Tage bin ich an der Berufsbildungsmesse. Ich werde morgen Achtklässlern aus dem ganzen Kanton erklären, was eine Buchhändlerin den lieben langen Tag macht, dass sie eher drinnen als draussen arbeitet, dass sie mehr mit Menschen und weniger mit Tieren zu tun hat. Dass sie einen PC braucht und ausser Kisten heben keine Schwerarbeit verrichtet. Die Fragen kommen aus einem Fragebogen, den die Jugendlichen im Rahmen der Berufswahl ausfüllen müssen. Am Wochenende berate ich dann mehr die Eltern, die sich Sorgen machen, dass die Tochter Buchhänderlin werden möchte, obwohl die doch nichts verdienen und am Ende ohne jede Sicherheit dastehen, weil „gerne lesen“ weissgott nicht reicht fürs Leben. Ich freue mich sehr! Ich liebe Messen (Nomen es omen).
Der deutsche Berufsfilm über die Buchhändlerin von 2010 ist zwar wenig originell, aber genau deswegen sehenswert für junge Leute, die sich für den Buchhandel interessieren. Er zeigt, was eine durchschnittliche Ausbildung so beinhaltet. Gedreht wurde in einer Filiale des Hamburger Traditionshauses Heymann.
So long!