Ging verloren / wurde vergessen

  • Ein AHV-Ausweis
  • Ein Reclam „Stella“ von Goethe
  • Ein Reclam „Romeo und Julia“ von Shakespeare
  • Eine Kapuzenjacke grau
  • Ein „New Headway Pre-Intermediate Student’s Book“
  • Ein „Texte, Themen und Strukturen“
  • Eine schwarze Strickjacke
  • Ein leerer Ordner
  • Drei Stabilo-Bosse
  • Ein ZGB, kaufmännische Studienausgabe
  • Ein Karabiner (Haken, nicht Gewehr)
  • Ein Kreuzworträtselbuch „von leicht bis schwer“
  • Ein halbvoller Kaffeebecher
  • Ein halb ausgefülltes Blatt „Conjugez les verbes au futur“
  • Ein Pack Papiertaschentücher
  • Eine Lieblingsjeansjacke
  • Nur heute… Nicht dabei ist alles Verlorene, was ich mit Gefundenem zusammenbringen konnte.

    Azubis sollen überholen

    Inzwischen haben mich alle Lernenden, die ich in der Buchhandlung ausgebildet habe, entweder von Diplomen oder vom Einkommen her überholt. Sogar die Lernende, die bei mir nur eine zweijährige Bürolehre gemacht hat, was wirklich nicht gerade das Karrieresprungbrett ist. Dass mich meine Azubis überflügeln sollen, war stets mein Ziel und es gefällt mir sehr, dieses nun erreicht zu haben. In solchen Momenten bedaure ich es, dass ich „nur“ noch im schulischen Bereich ausbilde. Es ist einfach schon etwas ganz anderes, die Lernenden selber auszuwählen und täglich mit ihnen zu arbeiten.
    Gestern war ich an der Bachelor-Feier meiner ersten Lernenden, die inzwischen längst meine Freundin ist. Ich erinnere mich sehr gern an ihre Lehrzeit. Die Lehraufsichtsbehörte erteilte mir die Ausbildungsgenehmigung nur widerwillig und nahm mich und den Arbeitsplatz genau in Augenschein. Dies vor allem, weil wir beide den gleichen Jahrgang hatten (sie machte Buchhändlerin als Zweitausbildung). Diese Kontrollen und viele andere Erlebnisse haben uns sehr amüsiert – es war eine tolle Zeit und es begann gleich danach mit dem Internet eine noch tollere Zeit.
    Nun arbeiten wir schon fast fünfzehn Jahre zusammen. Sie hat jetzt den Bachelor in Informationswissenschaft gemacht und auch schon ein Buch und unser neues Bilbiografier-Lehrmittel geschrieben. Und sie unterrichtet glücklicherweise an „meiner“ Abteilung das Fach „Bibliografie und Recherche“.
    Daran denke ich, wenn mich heutige Azubis fragen, ob es ein Vor- oder ein Nachteil sei, mit den Vorgesetzten aus der Lehrzeit weiter zusammen zu arbeiten. Ich glaube, wer sich wohl fühlt, muss nicht weg von der ehemaligen Lehrmeisterin oder dem ehemaligen Lehrmeister. Man kann sich auch neben denen ganz gut entwickeln.

    Kollegialität bei Spickzetteln

    Ich schätze und sammle Spickzettel und freue mich über Gleichgesinnte. Ich weiss eingermassen mit der Spickerei umzugehen und kann einschätzen, wie erfolgreich oder -los ich und meine Schülerinnen und Schüler im Spick-Metier sind. Kurz: Meine diesbezüglichen Herausforderungen halten sich im Rahmen. Zum Glück muss ich fast nur am Anfang und am Ende der Lehre ein paar spickbare Begriffe vermitteln, der Rest sind entweder offene Fragen oder Open-Book-Tests.
    Obwohl die Spick-Problematik bei mir nicht drängt, treibt mich neuerdings eine kollegiale Frage um: Verlagt es das Kollegialitätsprinzip, andere Lehrpersonen zu informieren, wenn bei ihnen gespickt wird? Da ich ständig die Schulzimmer aufräume und immer gern nach Spickzetteln suche, finde ich auch. (Wenn möglich archiviere ich sie, aber oft sind sie fix, also irgendwo aufgekritzelt.)
    Nicht erwischt worden? Dann ist’s eben so – ist meine Meinung.
    Nun habe ich diese Woche wieder einmal ein paar Spickzettel aus Tests im Fach Wirtschaft und Rechnungswesen entdeckt, die auf Buchplakate, welche wir in unseren Schulzimmern aufhängen, aufgemalt waren. Die habe ich – eher zum Amüsement – einer Kollegin gezeigt. Sie fand es selbstverständlich, dass ich nun alle Kolleginnen und Kollegen über diese Gefahr informieren müsse.
    Unkollegial möcht ich gar nicht sein. Aber ich kann unmöglich alle informieren. Es gibt viel zu viele pfiffige Ideen für Spickzettel! Der Mensch in einer Schule lernt weder für den Lehrer noch fürs Leben, sondern für eine akzeptable Note! Für die Promotion! Das eidgenössiche Fähigkeitszeugnis! Der Mensch ist rational, der Mensch in der Schule ist nicht blöd und das ist gut so.
    Was sie irgendwo abschreiben oder nachschauen können, lernen die meisten nicht freudig auswendig. Ich glaube, ich begebe mich ab sofort auf Mission mit dieser Erkenntis. Das ist auch kollegial. Laufend über Spick-Gefahren zu informieren oder gar Spickzettel zu analysieren und Kolleginnen und Kollegen zuzuordnen übersteigt meine Möglichkeiten.
    Buchplakat mit Spickfunktion
    „Kollegialität bei Spickzetteln“ weiterlesen

    Lehrzeit war

    Altpapier sammeln, Post holen, lesen, Stempelkissen auffüllen, Verben konjugieren, auf Bleistiften kauen, Bestellungen in Bestellkästen ablegen, Reclambändchen anmalen, beleidigt sein, im VLB nachschlagen, mit Vertretern scherzen, die Buchmesse erleben, zu viel bestellen, Aigus und Graves vergessen, Vertrauen gewinnen, Buchtipps schreiben, Vorschauen alphabetisieren, Börsenblatt lesen, unverhofft einschlafen, Freunde fürs Leben finden, übergangen werden, eingestossene Einbände flach hämmern, Branchenwitze machen, wissenschaftliche Terminologie auswendig lernen, Eltern aus den Augen verlieren, mit dem Japanmesser Fingerteile abschneiden, Kohlepapier zwischen Briefbogen legen, auf der Hermes hacken, Büchertische betreuen, abstreichen, abrechnen, Postkarten zählen, Angst haben, Literaturgeschmack entdecken, gelobt werden, Müll rausbringen, einzahlen, empirische Sozialforschung verkaufen, niedergeschlagen sein, Schaufenster gestalten, Toilettenpapier auffüllen, putzen, Proben schreiben, Kleingeld beschaffen, Theater lieben lernen, früh aufstehen, Buchlaufkarten tippen, aus BZ-Kisten eine Bar bauen.
    ***
    Aufs Ganze: Der neue Pegasus.
    Auf das neue NZZ Folio: Der Lehrlingsreport.

    Berufemix: Lehrerin-Buchhändlerin

    Ich hatte schon oft Schülerinnen, die Lehrerin gewesen sind, bevor sie noch die Ausbildung im Buchhandel gemacht haben. Sie zu unterrichten ist immer ein wenig mit Bammel verbunden, weil man ja weiss, dass sie wissen, wie es sein müsste. Allerdings sind das auch die, die einem ab und zu ein positives Feed-back geben oder gar loben, wenn eine Stunde besonders gut gelungen ist.
    Ich habe neulich eine Lehrerin-Buchhändlerin getroffen, die nun seit fünf Jahren in einer Buchhandlung arbeitet (zur Häfte des Gehalts, das sie als Lehrerin verdienen könnte). Sie ist im zweiten Beruf zufriedener, weil sie „mit der Arbeit fertig ist, wenn sie die Buchhandlung verlassen hat. Keine Elterngespräche, keine Korrekturen.“
    Sie ist mir wieder eingefallen, als ich heute korrigiert habe (die schwarze Spielzeugpistole brauche ich für die Taubenvertreibung).

    Korrekturen heute

    Bei mir war die Umstellung von der Buchhandlung auf die Schule gut, weil ich eben die Arbeit selber einteilen, erstmals im Leben zu Ladenöffnungs- und Bürozeiten ein privates Telefongespräch führen und das „Das-Kind-hat-Ferien-Problem“ eingermassen lösen konnte.
    Ich sehe in beiden Arbeitssituationen gleich viel Vor- und Nachteile. Was ich aber nicht mehr zurück möchte, ist der Mix. Zehn Jahre lang jobbte ich sowohl als Buchhändlerin wie als Lehrerin, was fachlich ideal, aber organisatorisch anstrengend und pädagogisch herausfordernd war. Besonders dann, wenn ich meine Lernenden aus der Firma im Unterricht hatte, sie natürlich nie bevorzugen und benachteiligen sollte und immer höllisch aufpassen musste, dass ich sie nicht versehentlich über Prüfungsthemen vorabinformierte.

    Dschungel (der) Erinnerungen

    Das Kind ist vom Gymansium grundsätzlich begeistert. Endlich ist Schule interessant, endlich einzelne Fächer! Nicht länger Birchermüesli wie „Natur, Mensch, Mitwelt“, sondern Biologie, Chemie, Physik, Geschichte. Gestern war in Biologie der Dschungel dran. Da habe ich ein paar meiner Erinnerungen aus dem indischen Urwald erzählt, was – für mich selber überraschend – auf so viel Interesse stiess, dass ich sogar das schmale Fotoheft unserer Indienreise hervorgeholt habe.
    Das Kind fand, ich solle mehr darüber bloggen. Ich fragte mich wozu, es sei doch jeder schon überall auf der Welt gewesen. Als Beispiele führte ich seine Klassenkollegen auf, die teilweise in Afrika und auch schon in Asien gereist sind, dort gelebt haben oder immer noch leben, die Eltern haben globale Jobs, Facebook ist ihre Heimat. Nein, meinte das Kind, der Unterschied sei riesig. Nur schon das wenige Geld, das wir gehabt hätten, habe zu völlig anderen Erlebnissen geführt. Ich hielt entgegen, dass es heute vermutlich mehr Blogs und Bücher mit Reiseberichten von Leuten gäbe, die extra ohne Sicherheitsnetz reisten. Die Abenteurerquote sei heute garantiert höher, aber vielleicht hätten die halt später Kinder oder nähmen diese eher auf ungefährlichere Reisen mit.
    Es wird sich schon wieder einmal die Gelegenheit ergeben, aus meiner Kindheit auf Reisen zu erzählen. Aber ich könnte das gar nicht chronologisch, dafür habe ich zu viel vergessen und so manches auch – grundlos ebenso wie glücklich – verdrängt.

    Tanja und Ima 1978 in Mudumalai

    Lesebilanz

    Im Moment muss ich viel schreiben (Lehrpläne, Pegasus, Konzepte, Berichte) und deswegen fehlt mir die Musse, hier so richtig sorgfältig Bücher zu empfehlen.
    Aber am Sonntag ziehe ich traditionell Bilanz über meine Leserei und schaue, was ich in der nächsten Woche lesen will. Das kommt davon, dass viele Literaturbeilagen und Feuilletons am Samstag erscheinen und auch davon, dass man als Buchhändlerin gar keine andere Zeit hat zum reflektierten oder sekundären Lesen als den Sonntag.
    Ich habe letze Woche gelesen und kann jedem ans Herz legen:

  • Nadia Budde, Such dir was aus, aber beeil dich!
  • Henning Mankell, Die italienischen Schuhe (zum zweiten Mal)
  • Karl Krolow, Aspekte zeitgenössischer deutscher Lyrik (zum x-ten Mal gelesen; in Auszügen)
  • E.M. Cioran, Aufzeichnungen aus Talamanca
  • Ich lese gerade oder in Bälde:

  • Loetscher, War meine Zeit meine Zeit
  • Stamm, Sieben Jahre
  • Streeruwitz, Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin.
  • Roth, Das sterbende Tier
  • Ich möchte lesen, aber trau es mir gerade (noch) nicht zu:

  • Grossmann, Eine Frau flieht vor einer Nachricht