Vor dreissig Jahren unterschrieb ich meinen Lehrvertrag in der Münstergass-Buchhandlung. Ein denkwürdiger Moment meines Lebens und eine gute Tat an mir selber, die ich niemals bereute habe.
Zugegeben, inzwischen bin ich müde. Der zurückgelegte Weg erscheint einerseits lang, gleichzeitig kommt es mir vor, als wäre ich auf der Stelle getreten, hätte mein ganze Berufsleben nichts anderes getan, als Abbau und irgendwo anders wieder Aufbau mit weniger von allem betrieben; beides unter Druck. Ich musste mich und andere Beteiligte sowie die Prozesse immer in grosser Eile anpassen. Angetrieben hat mich die Unabhängigkeit und Vielseitigkeit von Informationen, deren Verfügbarkeit und Verbreitung. Von meinem ersten Lehrlingslohn hab ich mir einen klitzekleinen Teil der WOZ erkauft, von einem meiner ersten echten Löhne eine Beteiligung an der cinématte und heute bin ich natürlich „Verlegerin“ #9824 bei der Republik und gute Kundin bei den Buchhandlungen im Netzwerk b-lesen.
Aber ist es denn wirklich so wichtig? Lohnt es diesen Kampf? Dreissig Jahre schaue ich bei Zerfall oder gar Zerstörung von Informationsstrukturen zu, die Basis der Demokratie sind. Heute beteiligte ich mich als Externe am Warnstreik bei der sda und muss sagen: Chapeau, die tun, was sie können! Sind schon gekündigt und doch hellwach bei der Sache. Aber ist es sinnvoll um etwas zu kämpfen, was so viele Leute gar nicht mehr wollen? Lohnt sich der Kraftakt, Menschen ohne Groll und Überheblichkeit zu erklären, dass ihre Infos echt nicht wie gewohnt aus „dem Internet“ kommen, wenn man die Schweizer Zeitung nicht mehr bezahlt, die SRG abschafft und die Depeschenagentur zu Tode spart?
Dass es wirklich keine Buchhandlungen mehr gibt, wenn man dort nichts kauft, auch nicht plötzlich vor Weihnachten, wenn’s dann so romantisch wäre? Bringt das überhaupt etwas? Diese Frage beschäftigt mich seit jeher und ich beantworte sie in der Regel mit einem enthusiastischen Ja. Denn das Neue, das Originelle, das Rettende: Es kommt auf leisen Sohlen. Es wächst in Gärten, die sorgfältig angelegt wurden, die jemandes Motivation und Stolz sind, für die sich jemand aufopfert.
Heute jedoch ist kein solcher Tag. Heute muss ich mehrmals „There but for Fortune“ hören, um mich morgen wieder aufzuraffen.
And I won’t be laughing at the lies when I’m gone
And I can’t question how or when or why when I’m gone
Can’t live proud enough to die when I’m gone
So I guess I’ll have to do it while I’m here
Glückwunsch! Und großen Respekt für die überwiegende Unverzagtheit: Ohne solche pragmatische Idealistinnen wie dich wären wir verloren.
Ohne Deinen beharrlichen Beitrag zur Widerständigkeit sähe es möglicherweise noch übler aus. Insofern wünsche ich Dir weiterhin die Fähigkeit, das Lohnenswerte an der Auseinandersetzung und auch die kleinen Erfolge zu erkennen, und immer wieder viel Kraft für den Weg.
…, verloren wären wir, da hat Frau Kaltmamsell Recht!
.“Chasak ve emaz“ mögen wir nicht mehr sein – aber dann machen wir weiter und mischen uns wieder unter die Hellwachen
Machen Sie bitte weiter. Die Kaltmamsell hat es schon gesagt.
Noch leben WIR und wir wollen es noch ein paar Jahre so genießen.
Bitte.
Vielen, vielen lieben Dank. Eure Kommentare helfen mir gerade sehr. Sie kommen aus berufenem Munde, ihr wisst alle mindestens so gut wie ich, was es bedeutet, sich über die Jahrzehnte zu wiederholen, an der und bei der Sache zu bleiben.
„… sich über die Jahrzehnte zu wiederholen – an der und bei der Sache bleiben.“
In unserem Beruf kommen in Wellen, in bestimmten Abständen, Bedürftige, die unser bedürfen. Die unser Wissen aufnehmen, es mitnehmen, es verändern.
Und doch gibt es jedesmal neue Herausforderungen, oder?
Wie wahr. Die Vorgängerkommentare!
Bei Gegenwind einfach mehr strampeln.
Obwohl: wie gut ich es kenne, das Müdsein!
Liebe Grüße
Liebe Tanja,
Deine Klage ist mir durchaus vertraut.
Darf ich Dich mit dem nachfolgenden Link zu einem Lesebesuch in Deine buchhändlerische Blognachbarschaft einladen?
https://leselebenszeichen.wordpress.com/bemerkungen-zum-buchhandel/
Mit verbindlicher Empfehlung
Ulrike von Leselebenszeichen