Jean-Noël Jeanneney, Googles Herausforderung

J-N Jeanneney, Googles Herausforderung
Jean-Noël Jeanneney
Googles Herausforderung
Für eine europäische Bibliothek
Wagenbach Taschenbuch 2006
9783803125347

Google hat im Jahr 2005 ohne Zustimmung begonnen, urheberrechtlich geschützte Werke ins Netz zu stellen. Auf die Reaktionen von Autoren und Verlagen versprach Google, die Verbreitung einzustellen, sobald sich der Urheber daran störe. Google minimierte das Urheberrecht zum nachträglichen Einspruchsrecht (Joachim Günter in der NZZ vom 4. November 2008). Das war Jeanneneys Motivation für dieses Buch. Für mich geht es im Folgenden weniger um eine Besprechung, als darum, meine eigenen Sorgen darzulegen. In der Diskussion um die ohnehin verlorene Preisbindung und den wachsenden E-Book-Markt droht der Urheber nämlich unter zu gehen.
Ich wurde später als Jeanneney auf das Geschäft mit dem „digitalisierten Wissen“ aufmerksam. Für mich wurde es im Oktober 2005 zum Thema, als Google sich an der Buchmesse der Diskussion stellte, die sich aus der Ankündigung ergeben hatte, es würden in sechs Jahren 15 Millionen gedruckte Bücher gescannt. Die Google-Vertreter (z.B. Adam Smith von Google Book Search) stritten dabei die Exklusivitätsansprüche auf das Wissen der Welt nicht einmal ab, sie verkauften sie bloss als ein Menschenwohl, gegen das Europa sich hinterwäldlerisch sträubte. Und ich fragte mich:

  • Welche Bücher, welche nicht?
  • In welchen Sprachen?
  • Was ist mit dem Copyright?
  • Jeanneney stellt die gleichen Fragen eloquenter und mit bibliothekarischem Wissen angereichert. Seine Lieblingsthemen sind die Erschliessung durch Volltextsuche und die europäischen Sprachen. Der Buchmarkt von Amerika und Europa ist ungleich, denn Amerika liest fast nur im Original (97%), Europa grösstenteils Übersetzungen. Damit begründet der Autor vor allem, dass „Old Europe“ sich der Scannerei schon rein sprachtechnisch nicht einfach anschliessen konnte. Auf der Grundlage der Informationswissenschaft entwirft er Pläne für den umfassenden Zugang zu digitalisierten Büchern, ohne Autoren und Qualität zu meucheln.
    Für ihn sind europäische Sprachen und Suchmöglichkeiten Ergebnisse jahrhunderte langer Arbeit und Teil unserer Identität. Das klingt romantisch, aber nur bis das Internet von Menschen befüllt wird, die nur Internet kennen.
    „Googles Herausforderung“ ist heute noch visionärer als es das bei seinem Erscheinen war. Inzwischen stehen Google Book Search eine Mehrheit der US Titel zur Verfügung, gerade neulich hat die weltgrösste Verlagsgruppe Random House die ihren überlassen und einen Gerichtstreit mit Google beigelegt. Die Verlage und Google sorgen mit ihren gegenseitigen Abkommen dafür, dass Millionen Menschen der Zugang zu Millionen Bücher gewährt ist. Wer kann da schon dagegen sein?
    Man nennt diese intransparenten Deals gerne pragmatischen Umgang mit dem Urheberrecht. Und schliesslich hat Google schon 125 Millionen Dollar springen lassen, um die Kosten bereits begangener Urheberrechtsverletzung zu begleichen und ein Register für urheberrechtsgeschützte Titel zu schaffen. Das Geld fliesst zwar, aber nur in Mini-Prozentsätzen oder nach Prozessen in die Kasse der Urheber. Trotzdem rechne ich mit baldiger europäischer Kooperation.
    Gesetze entstehen und vergehen, das war immer so und ist auch richtig. Die Frage, warum in einer Zeit, in der nach Innovation, Change und Quality geschrien wird, ausgerechnet das Copy Right ins Gras beissen muss, bleibt offen.
    Wir haben eine digitale Welt zu gestalten und dazu gehören Bücher. Dass wir dabei gierig und überfordert sind, macht uns blind für die Gefahr: Halbherzige Digitalisierung entfernt uns von Wissen. Für umfassende Digitalisierung ist Wissen Voraussetzung.

    6 Gedanken zu „Jean-Noël Jeanneney, Googles Herausforderung“

    1. google wird mir langsam zu gefährlich, die schalten und walten wie sie wollen und kommen üerall mit der: “ zum wohl der menschheit masche“ durch. orwell hatte wohl gar nicht so unrecht mit seinem: „big brother is watching you“ so habe ich gehört dass der neue google browser sämtliche persönlichen passwörter etc. speichert, ganz zu schweigen von der erhelichen datenmenge welche google üer seine benutzer sammelt und sie an firmen weiterverkauft welche diese verwenden können, so viel zum datenschutz.

    2. UG: Ich finde Google böse und ich brauche Google. Je widersprüchlicher eine Situation (beim Fliegen oder Autofahren, beim CO2-Ausstoss etc. haben wir das ja auch), umso wichtiger die differenzierte Kritik. Bisher ist mir nicht bekannt, dass Google Daten weiter verkauft. Google verkauft aufgrund seiner Datenfülle attraktiveren/teureren Werbeplatz. In diesem Beitrag geht es mir aber mehr um den Untergang des Urheberrechts, den Google gerade eben mitverursacht.

    3. natürlich da bin ich ihrer meinung (auch ich finde google gefährlich, brauche es jedoch ebenso.) ich denke es ist gerade diese abhängikeit unserer gesellschaft von google, welche ihnen solch uneingeschränkten machthandlungen erlauben, oder könnten sie und ich mir nichts dir nichts das urheberrecht missachten, ohne dass gross etwas dagegen unternommen wird.

    4. ES gibt schon Kooperation: die Bayerische Staatsbibliothek kooperiert mit Google beim Google Books Programm. Deutsche mittelständische Verlage wie Mohr Siebeck kooperieren auch. Die Verlage spüren einfach den Druck, die Sichtbarkeit für Ihre Bücher zu erhöhen, und bieten Ihre Daten bei Amazon und bei Google an. (Herausgekommen ist allerdings auch eine fantastische Ressource für die Wissenschaft.)

    5. jge – Ich wollte nicht vermitteln, es gebe zu wenig europäische Kooperation mit Google. Ich meinte, die Kooperation sei im Allgemeinen nicht reflektiert genug. In Europa ist die Kooperation partiell, aber noch nicht umfassend. Ich fürchte, dass man hier zu viel zu schnell über das Knie und die Köpfe der Urheber bricht, aber ich komme aus dem Buchhandel und nicht aus dem Bibliothekswesen.
      Der Wille des Uservolekes ist freier Zugang, was sich wunderbar mit Googles Ideen deckt. Das kann man in x Sprachen in Hunderten von Kommentaren im Netz nachlesen. Ich stelle die Frage, was das für die Urheber, die Innovation und die Qualität heisst und ob es wirklich ein Menschheitsinteresse ist, Google so mächtig sein und werden zu lassen.
      Dieses Buch ist sehr vielschichtig. Ich habe es zum 2. Mal gelesen, dieses Mal mit dem urheberrechtlichen Fokus. Aber man könnte es auch anders lesen, mit Schwerpunkt Kultur und Kooperation. Dann ginge es um die Frage, ob die Digitalisierung von Büchern – die ja als kulturelles Gedächtnis gelten – an unseren Synapsen und unserer Kultur mehr verändern als nur den Zugriff.

    6. Neue Information:
      http://www.arl.org/pp/ppcopyright/google/index.shtml; offenbar gibt es nun eine Vereinbarung in den USA zwischen Google und den Verlagen (nachdem Google ja Fakten geschaffen hatte).
      Ob die Digitalisierung unsere Synapsen verändert, ist eine interessante Frage. Erinnert mich an die Diskussion vom Sommer des Jahres, ob Google dumm macht (Nicholas Carr in The Atlantic und Reaktionen): http://www.theatlantic.com/doc/200807/google

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