Manifeste der Bestimmtheit

Vor vielen Jahren beschloss die damalige Sekretärin eines gern zitierten Professors der Pädagogik, die Bücher für ihren Eigenbedarf „versuchsweise“ zusammen mit der Fachliteratur an das Institut liefern zu lassen. Eine Idee, die ich als Buchhändlerin nach Kräften unterstützte, weil es ja Freude bereitete noch etwas anderes zu liefern als beispielsweise Abhandlungen über Lernschwächen von Scheidungskindern, wie sie damals in Mode waren.
Ich lieferte ihr also Sachbücher zur Ansicht, ich verpackte Geschenke mit dem einen Papier und legte das andersfarbige sicherheitshalber noch dazu, ich wählte Kinderbücher für ihre Nichten aus, nahm sie wieder zurück, wenn sie „scheusslich“ waren, ich radelte auch ausserhalb der Lieferzeiten zum Institut, damit sie den Reiseführer rechtzeitig bekam und ich nahm ihn natürlich wieder mit, wenn zwar genügend Restaurants, aber zu wenig Museen der ligurischen Küste verzeichnet waren.
Einmal wollte sie einen besonderen Krimi empfohlen haben, was damals noch schwieriger war als heute, weil in diesem Genre noch hauptsächlich Highsmith und Chandler dominierten. Ich und ein Kollege trafen die Wahl, lieferten zur Ansicht, die Dame behielt den Titel und schien zufrieden zu sein. Bis nach ein paar Tagen das Telefon klingelte und sie mich anfauchte, das sei das hinterletze Buch gewesen, die Pointe peinlich. Ich sagte sofort, wir nähmen es zurück und fügte an, ich würde es in die antiquarische Kiste stellen, vielleicht bereite es ja doch noch jemandem Vergnügen.
Und da verlor sie die Beherrschung. Sie rief meinen Vorgesetzten an, beschuldigte mich, sie des unsachgemässen Lesens bezichtigt zu haben, denn jedes von ihr gelesene Buch sie immer noch schöner, als das abgetaschte Zeug, das in den Buchhandlungen rumläge. Ich hätte meinen Beruf verfehlt und sie würde alles tun um ihren Vorgesetzen davon abzuhalten, je wieder in dieser Buchhandlung zu bestellen.
Wenn man als Lehrerin oder im Verkauf arbeitet, sind Verunglimpfungen und Unhöflichkeiten recht häufig. Es ist daher gesünder, schnell zu vergessen. Was meine Einnerung an diese Episode geweckt hat, war Herr Abendscheins lesenswertes Gleichnis von den „Gansen“, die ihre Ä-Punkte verloren hatten, was Kundin K. zu verzeihen von allem Anfang an nicht gewillt war. Abendschein merkt ganz richtig an:

Man könnte schnell über die Fallhöhe von Fehlern und ihre Behebbarkeiten ins Verhandeln kommen. Über pragmatische versus grundsätzliche Problembehandlungsansätze auf einem äusserst schwierigen Terrain sinnieren.

Ich musste lachen und weinen zugleich. Und dachte wieder einmal an den optimistischen Schiller, der den Buchhändlern folgenden Werbetext empfohlen hat:

Buchhändler Anzeige
Nichts ist der Menschheit so wichtig als ihre Bestimmung zu kennen;
Um zwölf Groschen Courant wird sie bey mir jetzt verkauft.

Bestimmungen werden in Buchhandlungen auch bey der Reklamation gefunden.

6 Gedanken zu „Manifeste der Bestimmtheit“

  1. Holla, zum Glück hat „unsere“ Sekretärin an der Uni nicht solche Allüren, obwohl sie es sich durchaus, nimmt man den akademischen Bekanntheitsgrad ihrer Kundschaft, leisten könnte.
    Ich für meinen Teil mag antiquarische Bücher, ob ein wenig abgelesen oder nicht, Bücher aus zweiter Hand sind bei mir immer gern gesehen. Ehrlich gesagt finde ich neue Bücher sogar ein wenig langweilig, aber bei Erstauflagen kommt man nun mal nicht drumherum. 😉

  2. Der Punkt ist einfach, dass es immer wieder Leute gibt, die denken, dass man es nicht sieht, wenn sie das Buch schon gelsen und für blöd befunden haben und dass es die Buchhändlerin dann einfach wieder zurück ins Regal stellen kann. Das geht aber nicht, weil Buchhandlungen NEUE Bücher verkaufen.

  3. So etwas kenne ich auch – allerdings etwas weniger scharf, aber umso entlarvender. Als eine Kundin um eine Empfehlung für ein Weihnachtsgeschenk für einen befreundeten Arzt bat, empfahl ich „Drei traurige Tiger“ von Cabreras Infante, war damals gerade aktuell und erforderte schon einen etwas intellektuelleren Kopf, den ich einem Arzt schon mal per se zubilligen würde. Und im Beratungsgespräch war das Wort „anspruchsvoll“ durchaus als gewünschte Eigenschaft gefallen. Es begab sich aber zu der Zeit, als das Weihnachtsfest schon um einiges vorüber war, die Hlg. 3 Könige ihren Myrrhe -, Weihrauch – und Goldstand wieder abgebaut hatten (wolle Myrrhe kaufen?“), daß besagte Kundin wutentbrannt in den Laden und auf mich stürzte und zu fragen beliebte, was für einen Mist ich ihr bzw. dem Beschenkten da angedreht hätte. Immerhin hat sie auf den Versuch eines Umtausches verzichtet, aber ich vermute, leider auch auf weitere Einkäufe. Ich ärgere mich eigentlich immer, wenn ich mal wieder feststellen muß, daß Buchgeschenke so eine Art Passepartout – Lösung sind, die eine Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und Vorlieben des Beschenkten anscheinend vollkommen unnötig machen. Als Gegengewicht möchte ich aber noch ein halbstündiges Beratungsgespräch für ein Reclam – Heft erwähnen, auf das ich mich mit einer weit über siebzigjährigen Kundin einließ, die ihre Enkelin beschenken wollte. Das gab zwar nur wenig Verständnis bei der Chefetage, aber eine zufriedene Kundin und vermutlich eine erfreute Enkelin… LG rollblau

  4. Oh ja, rollblau, zwei schöne Erlebnisse. Und mit der Beratungsgesprächs-Zeit ist es wie mit den Noten. Auf den Durchschnitt kommt es an 😉
    Es gibt viele positive Beispiele von Reaktionen und noch mehr neutrale (no news ’s good news).
    Ich hatte mal eine Laufkundin in Bern, die war derart begeistert von meinen Empfehlungen, dass sie mir eine Torte in Form der Kappelbrücke (die war damals gerade abgebrannt, die Kundin war Luzernerin) zustellen liess. Das gibt es immer noch, meine Schülerinnen bekommen auch ab und zu Geschenke oder Trinkgeld für besonders gute Empfehlungen.

  5. Diese Geschichte ist ja unglaublich! Geht es im Verkauf tatsächlich so zu und her? Da muss ich mich ja nicht wundern, wenn die Verkäuferinnen in meiner Buchhandlung immer so freundlich sind zu mir. Ich sage wenigstens immer guten Tag und Danke schön…
    Ich mag übrigens neue Bücher lieber. Die riechen so gut.
    Liebe Grüsse, Katia

  6. P.S.: Bücher zu verschenken ist etwas vom Schwierigsten, das es gibt! Denn, wenn es nicht „passt“, ist es fast so etwas wie eine Beleidigung („was, du schätzt mich SO ein??!!??). Ich verschenke Bücher nur SEHR nahestehenden Menschen, die ich SEHR gut kenne.
    Übrigens: „Jakob schreibt alles auf“ – wurde meinem Erstgeborenen vor bald 9 Jahren von (Ex-)BuchhändlerInnen zur Geburt geschenkt – ist immer noch regelmässig, d.h. sicher einmal pro Woche, in Gebrauch, mittlerweile bei Kind No 3.

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